21.10.2014

René Burri

"Ich musste früh erkennen, dass ich kein Paparazzo bin"

Interview mit dem verstorbenen Magnum-Fotografen aus dem Jahr 2011.
René Burri: "Ich musste früh erkennen, dass ich kein Paparazzo bin"

René Burri ist tot (persoenlich.com berichtete). Der grosse Zürcher Fotograf erlag am Montag einem Krebsleiden. Zu seinen Ehren veröffentlichen wir hier ein Interview, das "persönlich"-Chefredaktor Matthias Ackeret im Jahr 2011 - vor der Verleihung des Schweizer Medienpreises - geführt hat.

Herr Burri, mit dem Schweizer Medienpreis haben Sie erstmals in der Schweiz eine Auszeichnung gewonnen. Was bedeutet dies für Sie?
Es ist für mich eine grosse Ehre, dass mir, einem Zürcher, dieser Preis in Bern verliehen wird. Ich habe eine sehr enge Beziehung zu Bern. Als Jugendlicher habe ich dort auf dem Hof meines Grossvaters Fliegen gefangen.

Sie sind schon sehr lange im Geschäft. Inwiefern hat sich die Fotografie in den letzten 50 Jahren verändert?
Ich finde es schon gut, dass dank der technischen Errungenschaften heute jeder fotografieren kann. Das ist für uns Fotografen ein Wink, sich wieder auf die eigentliche Arbeit zu besinnen und so zu fotografieren, dass man in 50 Jahren immer noch weiss, wie die Welt ausgesehen hat. Wenn möglich ohne Photoshop.

Ihr berühmtestes Bild ist das des rauchenden Che Guevara, welches zu einer Ikone wurde. Rückblickend gesehen: Ist es mehr Fluch oder Segen?
Weder noch, obwohl mich das Bild überhaupt nicht reich gemacht hat, im Gegenteil. Es ist auf T-Shirts, Weinfiaschen, ja sogar Kondomen abgedruckt, ohne dass ich daran einen Rappen verdient hätte. Ich kann mir auch keinen Advokaten leisten, der all diese Fälle verfolgt. In Zürich gibt es ein Restaurant, in welchem mein Che an die Wand gemalt wurde. Man offerierte nicht einmal einen Gratiskaffee.

Wie erlebten Sie den kubanischen Freiheitshelden?
Ich habe Che Guevara 1963 drei Stunden lang in seinem Büro im Innenministerium fotografiert. Während dieser Zeit hat er mich keines Blickes gewürdigt, sondern hatte nur meine Begleiterin, die amerikanische Reporterin Laura Bergquist, im Visier, welche ihn für das amerikanische Magazin "Look" — neben "Life" die wichtigste Zeitschrift — interviewte. Mal war Che wütend, dann wieder charmant und zündete Frau Bergquist, ganz Gentleman, eine Zigarette an, während er selbst Zigarren rauchte. Ein Aufeinanderprallen der Ideologien. Mein Vater hat die gleichen Zigarren wie Che geraucht. Ich nahm ihm übel, dass er mir während des Fotoshootings keine offeriert hat. Am Anfang des Gesprächs stellte ich Lampen auf, doch Che winkte mürrisch ab. "Es ist ja dein Kopf, der fotografiert wird, und nicht meiner", dachte ich. Hinter den geschlossenen Jalousinen wirkte er wie ein gehetztes Tier. Öffnen mochte er die Läden trotzdem nicht.

Wie kamen Sie überhaupt zu diesem Auftrag?
Nach der Raketenkrise gingen Che und Fidel Castro 1962 zur UNO in New York. Damals hatte sich Laura Bergquist völlig in Che, der damals bereits sehr berühmt war, verknallt. Che versprach, ihr Kuba zu zeigen und sich interviewen zu lassen, sofern sie eine Reisebewilligung von CIA und FBI für Kuba bekäme.Bergquist schaffte dies und erhielt die Interviewzusage kurz vor Jahresende. Da Magnum keinen Fotografen hatte, der zu dieser Zeit abkömmlich war, rief man mich an. Als neutraler Schweizer war dies sowieso von Vorteil. Ich befand mich zu dieser Zeit gerade mit meiner Familie in den Skiferien in der Schweiz. Da ich den Ausbruch der kubanischen Revolution bereits einmal verpasst hatte, wollte ich diesen Auftrag unbedingt ausführen. Ich packte sofort meine Koffer und reiste über Wien nach Prag, von wo uns eine Tupolew nach Kuba brachte. Als wir durch Havanna fuhren, kamen uns vom Platz der Revolution Panzertruppen entgegen, und ich glaubte, ja ich befürchtete, dass ich mein Fotoshooting erneut verpasst hätte. Dem war aber nicht so. Ich drückte sechs Filme durch. Das Bild erschien erstmals - entgegen der ganzen Magnum-Doktrin - beschnitten im "Look"-Magazin, und es war in der Zeitschrift auch überhaupt nicht erkennbar, dass es später so berühmt werden würde.

Zu welcher anderen Person, die Sie fotografiert haben, haben Sie eine ähnliche Beziehung gehabt wie zu Che Guevara?
Es hiess immer, Burri sei prominentengeil. Das stimmt überhaupt nicht. Dank der Fotografie konnte ich einige Leute, wie beispielsweise Picasso oder Le Corbusier, persönlich kennenlernen. Ich musste schon früh erkennen, dass ich mich nicht zu einem Paparazzo eigne.

Warum eigentlich nicht?
Ich wollte auch als Fotograf niemals mit der Tür ins Haus fallen. Ich hatte als junger Fotograf in New York ein Schlüsselerlebnis. Eines Morgens in Manhattan segelte plötzlich eine wunderschöne Frau mit schwarzer Brille an mir vorbei. Es war Greta Garbo. Ich war so perplex, dass ich vergass, meine Leica hochzuziehen. Seither weiss ich, dass ich kein Paparazzo bin. Schön an dieser Geschichte ist, dass ich sie seither wie in einer Endlosschleife in zwanzig Sekunden erzählen kann. Höchstwahrscheinlich ist sie auch viel besser, als das Bild je gewesen wäre.

Wen haben Sie sonst noch verpasst?
Max Frisch beispielsweise, obwohl wir im Tessin praktisch Nachbarn waren und ich ihn dank meines ehemaligen Lehrers Gottfried Honegger sehr gut kannte. Trotzdem habe ich es immer verpasst, ihn zu fotografieren. Als ich ihn in der Kronenhalle traf, musste ich ihn meinem Kollegen Henri Cartier-Bresson vorstellen. Auch wieder eine verpasste Chance.

Wen fotografieren Sie am liebsten?
Meine Frau und meinen Sohn.

Interview: Matthias Ackeret/Bild: Keystone



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