24.07.2014

Hannes Grassegger

"Die Schweizer lassen sich bislang wie Schäfchen ausnehmen"

Der Journalist Hannes Grassegger hat mit "Das Kapital bin ich. Schluss mit der Digitalen Leibeigenschaft" einen fulminanten Essay publiziert, in dem er das Leben in der digitalen Welt und das Schicksal der persönlichen Daten analysiert. Er kommt zur Schlussfolgerung: Daten sind der wichtigste Rohstoff des 21. Jahrhunderts, und es wird Zeit, dass sich der Einzelne seine Daten von den grossen Unternehmen wie Google und Facebook zurückholt. Im Gespräch mit persoenlich.com erklärt Grassegger seine Überlegungen und sagt, wie die Medienhäuser von der Situation profitieren könnten.
Hannes Grassegger: "Die Schweizer lassen sich bislang wie Schäfchen ausnehmen"

Hannes Grassegger, in Ihrem Buch "Das Kapital bin ich. Schluss mit der Digitalen Leibeigenschaft" schreiben Sie über das Leben des Individuums im digitalen Zeitalter und fordern dazu auf, persönliche Daten zu verschlüsseln und zu verkaufen. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Essay zu schreiben?
Es ist die Frage, wie wir davon profitieren können, dass unser digitalisiertes Leben, meine persönlichen Daten, von anderen so fleissig genutzt wird. Ich habe mich in vielen journalistischen Texten mit dem Leben im "neuen digitalen Zeitalter", wie Google-Verwaltungsratspräsident Eric Schmidt es nennt, befasst. Im letzten Sommer habe ich für einen Think Tank der ETH ein Journal betreut, das Big Data als Oberthema hatte. Da fragte ich mich, was eigentlich wäre, wenn innerhalb dieses neuen Paradigmas die Daten plötzlich knapp würden. Als Ökonom hab ich die Schlussfolgerung gezogen, dass sie ungeheuer wertvoll würden - und darin liegt der Schlüssel. Diese Daten kommen aus uns heraus, die gibt es nur, weil es uns gibt. Wenn ich die verknappe, kann ich Geld dafür verlangen, ganz einfach, weil eine Nachfrage da ist.

Zu dieser Zeit kamen auch die Enthüllungen von Edward Snowden und damit der Beginn der NSA-Affäre. Was hat das Buch damit zu tun?
An dieser ganzen Debatte interessiert mich vor allem, dass es einer der wenigen Fälle ist, in dem die Medien das ganz grosse Narrativ unseres Zeitalters aufgreifen: Den epochalen Wandel von einer rein analogen in eine neue Welt, die aus Bits und Atomen besteht. Interessanter als die Überwachung von staatlicher Seite finde ich dabei, wie Unternehmen wie Google oder Facebook unsere Daten nutzen und verwerten.

Sie meinen, die Unternehmen seien gefährlicher als die Geheimdienste?
Ich vertrete die Ansicht, dass die Geheimdienste - vor deren angeblicher Allmacht uns ständig erzählt wird - in Wirklichkeit Versager sind. In einer Stelle im 70er-Thriller "Die drei Tage des Condor" erklärt Robert Redford: "Wir vom CIA lesen alles, was auf der Welt rauskommt." Genau das ist bei den Geheimdiensten passiert. Die haben alles gelesen und aufgenommen, und dabei ist ihnen der Kopf geplatzt. Doch die Wirtschaft profitiert viel mehr von Otto Normalverbraucher als die Geheimdienste. Die Profiteure und wirklich wichtigen Player in diesem neuen Modell sind die Unternehmen, die sich mit Big-Data-Technologien beschäftigen, neben Google zum Beispiel Acxiom oder Experian - und da regt sich überhaupt niemand darüber auf.

Was machen diese Unternehmen genau?
Das sind Seelenhändler. Zwischenhändler meines Privatlebens. Facebook ist nichts anderes als eine Benutzeroberfläche, in die man sein Innenleben eingeben soll - "what’s on your mind", wird man gefragt. Diese Leute handeln damit. Es gibt eine ganze Verwertungskette von diesen persönlichen Daten, die der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind. Unsere Gedanken und Gefühle sind dieser Rohstoff, wir selber sind die Erdölquelle - aber wir sind nicht selber die Ölscheichs geworden.

Inwiefern sind diese Daten der Rohstoff, was macht sie so wertvoll?
Aus den Daten lassen sich Lebensumstände und Intentionen erkennen. Wenn zum Beispiel jemand ein Kind erwartet, gibt es ein klares Konsummuster - von der Wiege über Windeln bis zum Kinderwagen. Das sind Hunderttausende von Franken, die ausgeben werden. Und wer zuerst diese Informationen bekommt, profitiert davon. Ich schicke eine freudige Geburtsanzeige via Email an meine Freunde – schwupps, Google darf laut AGB jeden Gmail-Account durchsuchen, auswerten und diese Informationen weiterverkaufen. Wir stellen unsere Gefühle und Gedanken in den digitalen Raum, und andere Leute haben sich die angeeignet. Ähnlich wie es im Hochmittelalter völlig normal war, dass das Land dem Grundherren gehörte, denken wir jetzt, es sei normal, dass Facebook die Plattform besitzt, auf der alle unsere Gedanken, Gefühle und Freundeskreise versammelt sind. Genau wie es sich damals geändert hat, ist es jetzt auch dabei, sich zu ändern. Diesen Wandel erleben wir gerade. Hier entbrennt grade der Verteilungskampf des 21. Jahrhunderts. 

Können wir diesen Wandel gestalten und beeinflussen?
Zur Zeit haben die Nerds das Ruder in der Hand. Sie steuern die Silicon-Valley-Firmen und es wird immer so getan als ob nur IT-Experten übers Netz reden dürfen. Ich finde, die Diktatur der Nerds muss vorbei sein. Als Ökonom beschäftige ich mich mit Fragen des Eigentums. Wenn ich sehe, wie Google und Facebook aus dieser neuen Ökonomie riesige Profite machen, überlege ich mir, dass das doch auch für den Einzelnen möglich sein sollte. In meinem Buch mache ich einen Vorschlag, wie das aussehen könnte: Und zwar sollten wir unsere persönlichen Daten, die wir bis jetzt einfach ins Netz fliessen lassen, uns aneignen. Sie künstlich verknappen und verschlüsseln. Den Schlüssel können wir dann gegen Geld zur Verfügung stellen. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel an meinen Ortsdaten interessiert ist, kann ich unter meinen Bedingungen begrenzten Zutritt zu einem Teil meines digitalen Lebens gewähren. So können wir einerseits Geld verdienen und andererseits Teile auch ganz wegsperren.

Und das wäre realistisch und machbar für jeden Einzelnen?
Das Netz ist von Menschen gebaut, wir können es auch modifizieren. Die Verschlüsselungstechnologie ist sehr weit fortgeschritten, die steht im Prinzip bereit. 

Wäre das auch für Journalisten interessant?
Das von mir beschriebene Modell kommt eigentlich aus dem Journalistischen: Ich habe Gedanken und Gefühle, und die verkaufe ich, das sind meine Texte, das ist mein Output. Ich versuche eine Geschichte zu erzählen, mich selber zu einer Person zu machen und zu verkaufen. All das ist schon ein Agieren in dieser neuen Ökonomie.

Gibt es hier Chancen für die Medienhäuser, die bis anhin eher zu den Verlierern der Digitalisierung zählen?
Die Medienhäuser stehen in diesem epochalen digitalen Wandel an vorderster Front. Es ereignet sich eine gewaltige Mediatisierung unseres gesamten Lebens, sie hätten als Erste  davon profitieren können. Stattdessen verschenken sie ihr Potential. Die Medien haben viel Wissen über den digitalen Wandel angehäuft, verstecken aber beispielsweise die Texte darüber meist weit hinten in Digitalressorts. Dabei prägt die Digitalisierung unser aller Alltagsleben vielleicht mehr als eine Wahl. Mir ist was Interessantes passiert: Ich habe am 9. Februar, dem Tag der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative, in der "NZZ am Sonntag" einen Artikel darüber veröffentlicht, wie das Internet sich fragmentiert. Dieser Artikel war auf nzz.ch der meistgelesene Artikel am Tag der Abstimmung und in den Folgetagen. Die fragen sich immer noch, warum der so gut gelesen wurde. 

Was schliessen Sie daraus?
Mir ist klargeworden, was für ein Potential in diesen Netzthemen drinsteckt. Wir befinden uns in einer Welt aus Bits und Atomen, doch die Medienhäuser nutzen dieses Material nicht erzählerisch. Stattdessen fixieren sie sich auf die Form. Kürzlich hat der Journalist Cordt Schnibben bei Tamedia einen Vortrag über die Zukunftsperspektiven von "Spiegel" und "Spiegel Online" gehalten. Er hat eine Reihe von hochinteressanten Ideen gebracht und am Schluss gesagt: Übrigens, auch der Inhalt muss stimmen. Aber darum geht es doch: Der Inhalt ist doch, warum die Leute mit uns reden. Die Medienhäuser verstecken sich hinter der Form, statt sich auf die eigentliche Ware - die sie zum Content degradieren - zu konzentrieren. Die sollten mal ins Kino gehen, um zu sehen, was grade passiert: Es gibt reihenweise Hollywood-Blockbuster über den digitalen Wandel wie "The Internship", "The Secret Life of Walter Mitty" oder "Sex Tape". Das ist so ein spannendes Mainstream-Thema, das können wir doch nicht in irgendwelche Nischenregionen abschieben. Für das alltägliche Leben der Leute sind die AGBs von Facebook oder Google vielleicht massgeblicher als die staatlichen Gesetzeswerke. Die Verleger kapieren nicht, dass sie in dieser neuen Ökonomie auf dem wahren Kapital sitzen, nämlich den Kundenlisten und dem Wissen über die Präferenzen der Kunden. Die erwähnten Datenhändler sind auch schon in Verhandlungen mit den grossen Medienhäusern und versuchen, dieses Kapital zu mobilisieren.

Die Medienhäuser beschweren sich gerne über Google und rufen die Politik auf, etwas zu machen, andererseits gehen sie auch Kooperationen ein. Was würde Sie ihnen raten?
Das Vertrauen in Google ist enorm gesunken. Darin besteht eine Chance für Medienhäuser, die etwas aufrecht erhalten haben: den direkten Kontakt zu den Menschen. Diesen Kanal sollten sie aber nicht nur in die Push-, sondern auch in die Pull-Richtung nutzen. Mit diesem Kapital steht das Medienhaus zwischen dem Individuum und Google, und da bietet sich jetzt eine Eintrittsmöglichkeit. Es steht gerade ein Evolutionsschritt an, was die Internetnutzung angeht. Unternehmen werden bald Lösungen anbieten, wie Internetnutzer mit dem Gefühl der Nacktheit und Überwachung umgehen können. Dabei stehen Google & Co. eher auf der Verliererseite – darum lobbyieren sie gerade auch so massiv in der EU und speziell in Deutschland.

Und in der Schweiz?
Die Schweizer lassen sich bislang wie Schäfchen ausnehmen. Die AGBs hier sind im Vergleich zu EU-Nachbarländern wesentlich negativer für die Konsumenten. Da hat die Politik versagt, und der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat eine viel zu schwache Position. Die Datenschutzfrage ist zu einer Verbraucherschutzfrage geworden.

Wie weit liegt Datenschutz in der Verantwortung des Einzelnen, wie weit bei Politik und Unternehmen?
Wir müssen uns selber helfen, da alle Institutionen versagt haben. Der Staat ist viel zu langsam, die Geheimdienste haben ja nur versucht, dem hinterherzukommen, was die Web-Monopolisten aufgebaut haben und deren Server anzuzapfen. Dort liegt die Ware, um die es geht, nämlich unsere persönlichen Informationen. Die Ausstattung der Datenschutzbehörden ist lächerlich im Vergleich zu den Mitteln der Konzerne. Deren AGBs sind heute so umfassend, da blickt ja nicht mal der oberste Schweizer Datenschützer mit all seiner juristischen Fachkenntnis durch. Wir können nur hoffen, dass der Markt anfängt zu spielen. Es wird bald Firmen geben, die mir helfen, das Internet - das ich sehr liebe und schätze - und die zunehmend digitalisierte Welt zu betreten und zu benutzen, und zwar nach meinen Regeln und Wünschen.

Sie sehen das also optimisch?
Ich zeige in meinem Essay "Das Kapital bin Ich", wie wir am Schluss sogar besser dastehen könnten als jetzt. Unsere Kinder werden nicht begreifen können, dass wir früher einfach alles verschenkt haben. Wir sind naiv und blauäugig ins Netz reingelaufen, doch die paradiesischen Zeiten sind jetzt vorbei - wir haben in den Apfel gebissen. 

Hannes Grassegger: Das Kapital bin ich. Schluss mit der Digitalen Leibeigenschaft. Kein & Aber, Zürich 2014. 80 Seiten. CHF 9,90. 

Interview: Lukas Meyer//Bilder: Wikipedia/Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (Bauern liefern dem Grundherrn ihre Abgaben, Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert, ganz oben), Kein & Aber/Guadalupe Ruiz (Portrait Hannes Grassegger)



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