30.09.2014

MAZ

"Verlage investieren zu wenig in die Qualität des Online-Journalismus“

Hohes Tempo, wenig Zeit: Nachwuchs-Journalisten müssen heute keine farbigen Reportagen oder geistreiche Essays schreiben können, sondern vielmehr mit dem Smartphone Videos schneiden, oder fehlerfrei tickern und Push-Mitteilungen verschicken. Darauf reagiert nun die Journalistenschule MAZ. Neu ist "Online" in der Diplomausbildung als Vertiefungsrichtung integriert. Warum ist das nötig und welches sind die Dozenten für Live-Ticker und Listicles? Nach Phasen des Pröblens sei nun "die Zeit der Qualität im Onlinejournalismus" angebrochen, erklärt Dominique Strebel. Zudem kritisiert der MAZ-Studienleiter die Unsitte schriftlicher Interviews.
MAZ: "Verlage investieren zu wenig in die Qualität des Online-Journalismus“

Herr Strebel, wir haben telefoniert, anschliessend habe ich Sie gebeten, diese Fragen schriftlich zu beantworten. Stört Sie das?
Ja. Schriftlich geführte Interviews kommen meist hölzern und langweilig daher. Formuliert wird dann etwa so: "Stören ist nicht wirklich der adäquate Ausdruck, denn auch schriftlich geführte Interviews können durchaus informativ sein, falls der Interviewpartner Übung darin hat, sich nicht in komplexen Termini, sondern in eingängigem Sprachduktus auszudrücken."

Machen es sich Journalisten wie ich zu einfach? Oder anders gefragt: Welche Meinung haben Sie als MAZ-Studiengangsleiter zu schriftlichen Interviews?
Schriftliche Interviews sind nur die drittbeste Lösung. Wer ein Interview mündlich führt, kann Zwischentöne heraushören und situativ nachfragen (hier hätten Sie mündlich sicher nachgefragt, was denn die zweitbeste Lösung sei). Schriftlich geführte Interviews tendieren zur Unlebendigkeit. Zudem besteht die Gefahr, dass die Interviewten unwidersprochen an den Fragen vorbei ihre PR-Botschaft in den Text laden.

Im Online ist die Zeit knapp. Handelt es sich deshalb um minderwertigen Journalismus, sozusagen um Journalismus 2. Klasse?
Online-Journalismus ist kein Journalismus 2. Klasse. Im Gegenteil: News lassen sich mit digitalen Tools bestens verifizieren und schnell verbreiten. Lange Story-Formate können online wunderbar vielfältig erzählt werden. Aber heute ist es leider Tatsache, dass die Verlage zu wenig in die Qualität des Online-Journalismus investieren. So werden junge Online-Journalisten noch zu wenig in den journalistischen Grundfertigkeiten ausgebildet.

Sie bieten am MAZ nun eine Vertiefungsrichtung Online an. Warum?
Nach einer Anfangsphase des Pröbelns "on the job" ist im Online-Journalismus die Zeit der Qualität und damit der Ausbildung angebrochen: Dozenten mit mehrjähriger Praxis im Umgang mit Quellenverifikation, Online-Schreib- und multimedialen Erzählformen, mit Leserreportern, Kommentaren etc. können ihre Erfahrungen an Studierende weitergeben. Die Studierenden tragen das Gelernte in die Redaktionen und helfen so den Medienhäusern beim Strukturwandel.

Wo orten Sie Defizite?
Die Defizite sind vielfältig: Gewisse Zeitungen wie zum Beispiel die "Neue Luzerner Zeitung" haben noch kein eigentliches Online-Konzept. Andere Redaktionen wie zum Beispiel der "Blick" sind so übereifrig, dass sie in einer Push-Meldung schreiben können: "Hoeness for Gericht: Staatsanwalt fordert 5,5 Jahre Knast". "20 Minuten" und "Tages-Anzeiger"/Newsnetz machten die Chatpartnerin von Geri Müller flugs zu einer 21-Jährigen, obwohl sie 33 Jahre alt ist. Und selbst die "Neue Zürcher Zeitung" zitierte Tweets des waghalsigen UBS-Investmentbankers Kweku Adoboli, die nicht von ihm, sondern von einem Fake-Account stammten. 

Kürzlich machte auf Twitter eine Fotomontage die Runde, auf der suggeriert wird, dass ein einziges Bild auf drei unterschiedlichen TV-Kanälen, also im ukrainischen, russischen und israelischen Konflikt, verwendet wird (vgl. z.B. nzz.ch). Schliesslich stellte sich heraus, dass es sich um eine bewusste Fälschung handelt. Ist es Ihrer Ansicht nach legitim, den Medienschaffenden auf diese Weise einen Spiegel vorzuhalten?
Unbedingt. Da müssen neue journalistische Reflexe eingeübt werden, die jederzeit und im Schlaf spielen: Ist das Foto, die Website, der Tweet, das Facebookprofil, das Video echt? Stimmt der Urheber? Ist sie verlässlich? Welche Interessen stehen dahinter? Darf ich es unter medienrechtlichen und medienethischen Gesichtspunkten veröffentlichen?

Kennen Sie weitere fatale Fälle mangelnder Quellenüberprüfung?
International war sicher die Berichterstattung nach dem Bombenattentat am Boston Marathon der grösste Verifikationsgau. Selbst Medien wie AP, CNN und die BBC publizierten gravierende Falschmeldungen. So wurden etwa zwei unbescholtene Bürger – teilweise mit vollem Namen und im Bild – als Verdächtige gemeldet, obwohl sie das nie waren.

Was genau lernen Ihre Studierenden in diesem Zusammenhang?
Sie lernen die unumgänglichen ersten Kurz-Checks von Websites, Twittermeldungen, Facebook-Accounts, Bildern und Videos. Mit vertretbarem Aufwand können sie Urheber eruieren und die Echtheit überprüfen.

Neben Quellenverifikation ist auch der Umgang mit PR ein wichtiger Inhalt. Was lernen die Studierenden da?
Sie überprüfen konkrete Pressemitteilungen des Tages, ob sie Wahres vermelden, recherchieren zusätzlich den Hintergrund, bereiten ein Recherchegespräch mit dem verantwortlichen Mediensprecher vor, führen mit ihm ein Telefongespräch und versuchen, auch die ausgeblendeten Teile der Story zu erhellen. Daraus entsteht ein Infotext, auf den der Mediensprecher am Nachmittag ein Feedback gibt, ob es dem Journalisten gelungen ist, aus der abhängigen Information unabhängige Information zu machen. Neben einem Überblick über die PR- und Kommunikations-Landschaft Schweiz erzählt den Studierenden zudem ein Medientrainer, wie er Politiker und CEOs schult. So lernen Medienschaffende die Tricks der andern Seite kennen und können besser darauf reagieren.

Und warum müssen Journalisten multimediales Scrollytelling oder Listicles beherrschen?
Weil es interessante neue Online-Erzählformen sind, deren sinnvollen Einsatz sie beherrschen sollten – genau wie (animierte) Infografiken, Bildstrecken oder Audioslideshows.

Wer unterrichtet diese Themen; können Sie einige Namen nennen?
Franz Ermel, Watson-Redaktionsleiter; Hansi Voigt, Watson-Geschäftsführer und Chefredaktor; Stefan Ryser, Creative Director bei "20 Minuten"; Martin Oswald, Leiter der Webredaktion von SRF 3; Thomas Angeli, Redaktor "Beobachter" und Recherchetrainer bei SRF.

Und zum Schluss nochmals auf die Metaebene: Was, denken Sie, wäre besser heraus gekommen, wenn wir dieses Interview mündlich geführt hätten?
Da ich davon ausgehe, dass Sie eine hartnäckig nachfragende Interviewerin sind, hätten Sie nachgehakt, weshalb ein schriftliches Interview nur die drittbeste Lösung sei, hätten konkrete Beispiele von Pressemitteilungen eingefordert, die im Kurs Umgang mit PR beübt werden, kritisch beleuchtet, ob multimediales Scrollytelling wirklich zu den Basics einer Diplomausbildung gehören. Zudem hätten sie sich erklären lassen, was denn die unumgänglichen Kurzchecks der Quellenverifikation genau sind, und an einem guten Dutzend Stellen, wo ich allzu viel PR für die Ausbildung mache, nachgehakt, um wirklich möglichst unabhängige Informationen zu erhalten. Ich hätte dann in spannenden, lebendigen Antworten gekontert. Sie hätten dagegengehalten und so hätten wir ein unterhaltsames Pingpong auf hohem Niveau gespielt. Tja. Schade. Vielleicht das nächste Mal?

Fragen: Edith Hollenstein, Bild: zVg


Dominique Strebel betreut am MAZ (zusammen mit Bernd Merkel) die Diplomausbildung Journalismus. Zudem ist er Co-Präsident des Schweizer Recherche-Netzwerkes investigativ.ch und Redaktor der Medienrechtszeitschrift "Medialex".

 



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