24.04.2014

Ron Orp

Das urbanste Medium der Schweiz wird zehn Jahre alt

20 Prozent aller Zürcher klicken sich jeden Morgen durch Ron Orp's Mail und wollen wissen, was in ihrer Stadt abgeht. Gegründet haben den Newsletter, den es mittlerweile in zwölf Städten gibt, die zwei Zürcher Werber Romano Strebel (Bild links) und Christian Klinner vor genau zehn Jahren. Ein Gespräch über Ehekrisen, Hipster, das "Gefühl" einer Stadt und die anstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten.
Ron Orp: Das urbanste Medium der Schweiz wird zehn Jahre alt

Ron Orp ist mit 87 Prozent Lesern aus der Stadt oder der Agglomeration das urbanste Medium der Schweiz. Herr Strebel, Herr Klinner, Sie sind die Experten: Was ist im Moment DAS Stadtgespräch in Zürich?
Romano Strebel: Das Gleiche wie immer: Liebe und Glück.
Christian Klinner: Dazu gibt es immer wieder schöne Geschichten. Ein Beispiel ist der Forum-User Schnüffisheim: Er fand, dass es in Zürich einen Ort geben sollte, an dem sich Singles ungezwungen treffen können. So entstanden vor etwa sechs Jahren die Schnüffisheim-Partys. Die User selber haben sie ohne unsere Hilfe ins Leben gerufen, das ist so wohl nur über Ron Orp möglich. Schnüffisheim hat dann eine Partnerin gefunden. Gut: Einige Jahre später – auch in unserem Forum – hat er nach einem Scheidungsanwalt gefragt. Aber es zeigt: Wir decken wirklich alles ab, von Jobs über Wohnungen bis hin zu Affären, Ehen und Ehekrisen.

Wie viele Ron Orp-Babys gibt es schon?
Strebel: Es gibt Dutzende.                             
Klinner: Wir wollen unseren Lesern ein Gefäss geben, um Dinge selber zu initiieren. Darum haben wir auch die Crowdfunding-Plattform 100-Days.net gestartet.

Wie läuft diese Plattform eigentlich? Ist der Crowdfunding-Hype nicht schon fast wieder vorbei?
Strebel: Medial vielleicht. Aber der Durchbruch passiert erst jetzt. Crowdfunding wurde ein Thema für sämtliche Branchen. Wir sind mittlerweile die grösse Plattform der Schweiz. Täglich gehen etwa drei neue Projekte live. Deren Anzahl hat sich 2013 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt, in diesem Jahr rechnen wir nochmals mit einer Verdopplung. 50 bis 60 Prozent aller Projekte sind erfolgreich.

Apropos Erfolg: Als Sie vor zehn Jahren Ron Orp gestartet haben, haben Sie erwartet, dass es den Newsletter 2014 noch gibt?
Klinner: Wir hatten nie einen Businessplan für Ron Orp und starteten mit 7000 Franken. 5000 Franken gingen damals in die Webseite, der Rest in den Markenschutz. Dann legten wir einfach los in Zürich, rechneten aber nicht im Traum damit, dass aus dieser Idee einmal ein so grosses Projekt werden könnte.
Strebel: Geglaubt haben wir an unsere Idee aber immer. Weil sie ein Bedürfnis von uns selber abgedeckt hat. Wir haben Ron Orp aufgrund eigener Erfahrungen entwickelt, das ist eine gute Voraussetzung. Die Ernüchterung kam dann in den ersten 12 Monaten: Wir merkten, dass es extrem viel Initiative braucht, damit die Leute unsere Idee aufnehmen. Sie waren zu faul, um sich damit auseinanderzusetzen. Wir rechneten damit, dass sich zumindest unsere Freunde sofort anmelden. Aber auch das war nicht so einfach. Nach einem Jahr wurde Ron Orp aber plötzlich zum Selbstläufer.

Damals haben Sie mit Ron Orp eine fiktive Figur kreiert, welche die Perlen…
Klinner: Halt. Ron ist nicht fiktiv. Er kann heute einfach nicht am Interviewtermin teilnehmen, weil er unterwegs ist. Vielleicht kommt er später noch dazu.

Spass beiseite: Zu Beginn haben Sie quasi die Perlen der Stadt ausgegraben, Geheimtipps für die wirklich kulturinteressierten, "hippen" Einheimischen gegeben. Heute kennt Sie jeder. Events, die Sie im Newsletter empfehlen, sind nichts Besonderes mehr. Ron Orp wurde quasi zum Mainstream. War das so beabsichtigt?
Klinner: Wir wollten gar nie Geheimtipps geben. Von der Idee her wollte Ron Orp schon immer die Leute inspirieren und vernetzen. Das ist unser Credo. Wir denken nicht in Mainstream und Underground, In- und Outsider. Wir empfehlen genauso Konzerte im Hallenstadion, wenn wir sie toll finden. Ich finde, unsere Auswahl ist besser geworden.

Inwiefern?
Klinner: Früher haben wir den Newsletter nebenbei gemacht, Ron selber war auch immer betrunken und keine grosse Hilfe. Heute haben wir ein Redaktionsteam – insgesamt sind es 18 Leute in allen Städten –, das sich wirklich auf die Perlen konzentrieren kann. Ob uns viele Personen oder nur wenige Insider kennen, ist kein Qualitätsmerkmal.

Am Anfang waren Ihre Abonnenten eher Zürcher, heute sind es oft Neuzuzüger, die sich orientieren wollen.
Strebel: Die Zielgruppe hat sich erweitert mit den Jahren, ganz klar. Wenn man neu nach Zürich kommt, braucht man halt einfach drei Dinge: ein Velo, eine Freitag-Tasche und Ron Orp. Die Vielfalt unserer Abonnenten ist spannend. Es gibt auch jene, die uns seit Jahren treu sind. Denn: Der Inhalt und die Selektion wurden um Meilen besser.

Wie hat sich der Inhalt in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Strebel: Es sind Gefässe hinzugekommen, zum Beispiel das Forum. Dieses ist sehr wertvoll für eine Stadt. In der Rubrik "fragt Zürcher" werden täglich Fragen gestellt, die umgehend beantwortet werden. Das Forum ist eine Art "living Wikipedia" der Stadt. Heute ist Ron Orp das "Gefühl" der Stadt!

Warum wurde der Newsletter in London und Brasilia eingestellt? Lief er nicht?
Strebel: Dort lag er stark in den Händen einzelner Personen. Im Fall London und Brasilia mussten sich die Verantwortlichen entscheiden, ob sie Ron Orp hauptberuflich machen wollen oder nicht. Sie haben sich dagegen entschieden. Es war bei beiden Städten ein Kapazitätsproblem, Abonnenten gab es genügend.
Klinner: Das Problem ist nicht der Mangel an Abonnenten, sondern die Kommerzialisierung. Das ist an manchen Orten schwieriger als hier.

Wie sieht denn Ihr Finanzierungsmodell aus? Können Sie von Werbeeinnahmen leben und alle Mitarbeiter anständig bezahlen?
Klinner: Ja, inzwischen schon. Am Anfang gabs für uns keinen Lohn, weil wir Ron Orp in der Freizeit gemacht haben. Seit Januar 2008 sind wir in unseren Räumlichkeiten hier in Zürich und machen Ron Orp hauptberuflich. Wenn man sich ausschliesslich auf eine Sache konzentrieren kann, wächst diese entsprechend schneller. Im März 2008 hatten wir bereits einen Redaktor, im Juni jemanden im Verkauf.
Strebel: Es braucht viel, bis man von einem solchen Internetprojekt leben kann. Viele versuchen es vergeblich. Das Tolle an unserer Geschichte ist, dass wie nicht fremdfinanziert und dadurch extrem agil sind. Wenn der Werbemarkt ein Downsizing anzeigt, müssen wir uns entsprechend verändern können. Deshalb stehen wir heute stark da und haben keine Angst. Wir erfinden uns immer wieder neu und produzieren neue Sachen.

Zum Beispiel?
Strebel: Wir verkaufen unsere Kompetenz, das Wissen, das wir mit Ron Orp aufgebaut haben. Wir arbeiten für diverse Kunden im Bereich Community Building oder Storytelling. Das sind weitere Einnahmequellen – und Entwicklungen, die man erkennen können muss. Nur so können wir uns wieder neu positionieren, wenn es nötig ist. Wir finden dies spannend und hatten noch nie Angst vor Veränderungen.

Dafür, dass Sie Veränderungen mögen, macht Ihre Webseite aber einen etwas antiquierten Eindruck. Auch die Ladezeiten sind extrem lang.
Strebel: Ja, das stimmt. Ron Orp wird neu Ende Sommer. Die Seite wird ganz neu aufgesetzt.

Eine weitere Einnahmequelle wären Partnerschaften. Sind Sie wirklich unabhängig in der Auswahl der Tipps oder gibt es Veranstalter, die Sie bezahlen, damit sie im Newsletter aufgenommen werden?  
Klinner: Nein, wir sind völlig unabhängig. Das würde doch unsere Glaubwürdigkeit zerstören!

Wer ist Ihre grösste Konkurrenz?
Klinner: Wir sind eine Mischung aus Marktplatz, Forum, Musikblog, Veranstaltungskalender und vielem Weiterem. Diese Vielfalt ist unsere Stärke. Darum haben wir nur pro Bereich Konkurrenten, zum Beispiel Homegate. Aber niemand bringt alles zusammen.
Strebel: Unser Mantra: Wenn Facebook dich mit deinen Freunden vernetzt, vernetzen wir dich mit deiner Stadt. Wir wollen die bunte – und gut ausgesuchte – Vielfalt der Stadt jeden Tag präsentieren.

Im Moment suchen Sie einen Redaktionspraktikanten. Sie schreiben, dass Diplome keine Rolle spielen. Hauptsache Hipster?
Klinner: Wichtig ist, dass er oder sie ein Gespür für die Stadt hat, kreativ ist und natürlich schreiben kann. Der Zugang soll jenen nicht vermauert werden, die kein Publizistik-Diplom haben. Leidenschaft und das Verstehen unserer Mission sind wichtiger.

Ron Orp wird zehn. An Geburtstagen darf man sich etwas wünschen. Ihr Wunsch?
Strebel: Dass wir weiterhin ein so tolles Team haben, das ruhig und motiviert arbeitet (lacht). Im Ernst: Ich finde unser selbstständiges Leben und Arbeiten sehr attraktiv, ich würde gerne nochmals zehn Jahre so weitermachen.
Klinner: Ich auch. Wir stehen erst am Anfang. In Zürich liest 20 Prozent der Stadtbevölkerung Ron Orp. Und die Zeichen stehen immer noch auf Wachstum, in allen Städten.

Und was schenken Sie Ron Orp, der nun leider bis zum Schluss unseres Gesprächs nicht aufgetaucht ist, zum 10. Geburtstag?
Strebel: Er bekommt am 29. April ein grosses Geburtstagsfest. Wir sperren für ihn eine ganze Strasse und haben sogar ein Ron-Bier kreiert. Das wird ihm gefallen.

Interview: Seraina Etter



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