17.12.2013

SRF

Mit eigenen Waffen in die Enge getrieben

Schawinski zu Gast bei "Schawinski": Aus Anlass der 100. Talksendung hat Roger Schawinski für einmal die Front gewechselt und sich den kritischen Fragen von Sandro Brotz gestellt. Der "Rundschau"-Moderator war gut vorbereitet und konnte seinen früheren Chef mehrmals aufs Glatteis führen.
SRF: Mit eigenen Waffen in die Enge getrieben

17.30 Uhr, Studio 8 im Leutschenbach – alles ist bereit für die Aufzeichnung der Sendung. Für die  100. Ausgabe  von "Schawinski" will sich der provokative Talkmaster für einmal selber auf den Gästesessel setzen. Wahrscheinlich hätte er sich lieber von Club-Moderatorin Mona Vetsch befragen lassen, doch die SRF-Zuschauer hatten sich in der Online-Wahl für den "Rundschau"-Mann Sandro Brotz entschieden. "Ich freue mich, dass ich Roger Schawinski interviewen konnte. Diese Herausforderung nahm ich sehr gerne an", sagt Brotz im Anschluss an die Sendung zu persoenlich.com.

Typische Einleitung bleibt aus
Doch vorerst – nach einem misslungenen Start erst im zweiten Anlauf – eröffnet Brotz die Sendung mit den Worten: "Willkommen zur Rundschau, einer Rundschau durchs Leben" und stellt sogleich die erste Frage: "Roger, bist du zufrieden mit dir?". Damit verzichtet Brotz auf die Schawinski-typische Einleitung. Die Frage nach dem "Wer sind Sie?", lässt er aber nicht vollständig weg, sondern wird sie in verblüffender Form stellen – jedoch erst am Schluss der Sendung.

Im Vergleich mit Club-Moderatorin Mona Vetsch oder 10vor10-Sprecher Stephan Klapproth ist Brotz deshalb eine gute Wahl, weil er seinen konfrontativen und thesengeleiteten Interviewstil einsetzen konnte, der dem Sendekonzept von "Schawinski" ziemlich genau entspricht. Vielleicht sogar rührt Brotz‘ Schawinski-ähnliche Technik auch aus jener Zeit, als er beim Medienpionier sozusagen in die Lehre ging: Bei Schawinskis Tele Züri erlernte Brotz das TV-Handwerk. Zudem gehört er zum Gründungsteam von Radio 1, wo er zuletzt Programmleiter war.

Lehrling befragt den Meister
Wenn also der frühere Lehrling seinen Meister befragt, ist durchaus zu erwarten, dass die Sendung Neuartiges bietet. Doch wirklich Umwälzendes erfahren die Zuschauer nicht. Dafür liefern die beiden ein unterhaltsames TV- Spektakel und Brotz gelingt es mehrmals, Schawinski auf Glatteis zu führen. Am Offensichtlichsten als es um seine bedeutendste Niederlage geht. "Welches ist dein grösster Misserfolg?", fragt Brotz scheinbar harmlos. Für eine Antwort muss Schawinski nicht lange überlegen: "Mein grösster Misserfolg? Das kann ICH doch nicht beantworten!", wehrt er schleunigst ab. Brotz aber ist gut vorbereitet, sodass er Schawinski postwendend vier Niederlagen zur Auswahl aufzählt: der misslungene Rückkauf von Radio 24 vor zwei Jahren, die Einstellung von Opus Radio und - knapp zehn Jahre später - diejenige von Tele 24 sowie "sein teures Hobby: Radio 1". Damit hatte Schawinski nicht gerechnet. Er rechtfertigt sich wortreich und umständlich.

Boulevard-Prominenz statt Meinungsmacher
Auch wenn die Sendung nicht durch Erkenntnisgewinn besticht, bietet sie Unterhaltungswert. Vor allem deshalb, weil Schawinski sich gegen ähnlich choreografierte Attacken wehren musste, wie er sie für gewöhnlich gegen seine Gesprächspartner fährt. Brotz unterstellt, dass "Schawinski" entgegen der anfänglichen Selbstdeklaration nicht zur "brisantesten Talkshow der Schweiz" geworden ist, da Schawinski mit der Zeit etwas zahmer geworden sei und jetzt statt "wichtige Entscheidungsträger und Meinungsmacher aus Wirtschaft und Politik" auch Boulevard-Prominenz wie Melanie Winiger, Hausi Leutenegger oder Mike Shiva in die Sendung einlädt.

Diese Unterstellung vermag Schawinski nicht abschliessend zu widerlegen. "Ich bedaure, dass Bundesräte nicht in meine Sendung kommen", gesteht er ein und schiebt die Schuld den Medienberatern im Hintergrund zu, die "nur geglättete, weichgespülte Interviews zulassen". Ähnlich thesengeleitet werden die Themen "Frauenquote bei den Gästen", "Opportunismus gegenüber der SRG", "politischer Überläufer", "temperamentvoller Chef" oder "Internet-Banause" abgehandelt.

Schawinski Ehefrau im Studio
Völlig unerwartet dann der Schluss: Die Frage nach dem "Wer bin ich?" soll nicht Roger Schawinski selber beantworten, "sondern diejenige Person, die dich noch besser kennt als du selber", verspricht Sandro Brotz und fügt nach einer kurzen Pause an: "Wir haben diese Person eingeladen: Sie ist hier!". Es ist Schawinski förmlich anzusehen, wie seine Gedanken kreisen. Wen um Himmels Willen hat Brotz ohne sein Wissen eingeladen? Als dann seine Ehefrau Gabriella Sontheim im Studio erscheint, steht Schawinski die erleichterte Verblüffung ins Gesicht geschrieben. Dieser kurze Auftritt seiner sonst öffentlichkeitsscheuen Gattin hat für viele Zuschauer mehr ausgesagt, als Fakten über Schawinski, die alle schon bekannt sind.

Rundschau-Moderator Brotz wirkte nur zu Beginn nervös – genau so wie Schawinski. Der Moderator hielt Tempo und Spannung hoch, doch entgegen der anfänglichen Ankündigung, vermochte er seinen Gast nicht wirklich "ins Schleudern zu bringen". Dazu hätte er sich noch näher an die Grenze zu intimen – fast schon Fremdscham-Gefühle auslösenden – Fragen wagen müssen, – so wie es Schawinski tat, etwa in den Talks mit Christoph Mörgeli oder Karin Keller-Sutter mittels Fragen zu Unfallfolgen oder Kinderlosigkeit.

Lob für Schawinskis Sendung
Schawinski zeigte Mut, dass er sich überhaupt auf sein eigenes Format einliess und so das Jubiläum auf aussergewöhnliche Art zelebrierte. Beim anschliessenden Geburtstagsapéro im Studio Leutschenbach lobte der abtretende Chefredaktor, Diego Yanez, Schawinskis Sendung: "Bei aller Kritik tut sie unserem Sender gut und bringt frischen Wind ins Programm." 

Text: Edith Hollenstein



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