05.05.2015

World Press Photo

"Es geht nicht um Politik, sondern um Liebe"

Mit seiner Aufnahme dieses schwulen Paares in Russland hat Mads Nissen den renommierten "World Press Photo"-Award gewonnen. Noch vor Eröffnung der Ausstellung am Mittwochabend hat persoenlich.com den Fotojournalisten aus Dänemark in Zürich getroffen. Im Interview sagt er, wie er seine Projekte aussucht, weshalb die Ausstellung in Moskau wohl nicht stattfindet und wie er Jon und Alex dazu gebracht hat, sie im Bett zu fotografieren.
World Press Photo: "Es geht nicht um Politik, sondern um Liebe"

Herr Nissen, wissen Jon und Alex, dass dieses Foto mit dem "World Press Photo"-Award 2014 ausgezeichnet wurde?
(lacht). Ja! An jenem Tag im Februar, als ich von World Press Photo informiert worden bin, war es eine meiner ersten Handlungen, dass ich Jon und Alex über diese grossartige Neuigkeiten informierte. Gleichzeitig wollte ich sie warnen.

Ihre Auszeichnung rückt die beiden Darsteller ins internationale Scheinwerferlicht. Das kann für sie sehr gefährlich sein.
Genau, diese Auszeichnung hat zwei Seiten: Einerseits wollen LGTB (engl. Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) respektiert werden, auch in Russland. Und wenn dies nicht der Fall ist, wollen sie, dass die Welt davon erfährt. Aus dieser Perspektive bringt dieser Preis die grossartige Möglichkeit international Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Jon und Alex gehören zu einer jungen Generation von LGTB, die sich nicht länger verstecken wollen. Sie wollen sich nicht beugen. Sie sind gereist, etwa nach Amsterdam oder Berlin, und haben dort gesehen, wie Schwule behandelt werden könnten. Daher verstehen sie nicht, warum ihnen nicht auch in Russland Respekt, Toleranz und Rechte zugestanden werden. Sie sind tapfere junge Leute. Auf der anderen Seite müssen sie – wie auch ich – vorsichtig sein. Denn wer sich so exponiert und so eine Art Journalismus macht – wer einige der Mächtigsten in Russland kritisiert – sollte nicht überrascht sein, wenn diese hinter einem her sind.

Haben Sie noch Kontakt und die beiden selber angerufen?
Nein, eine Freundin rief die beiden an, denn ich hatte die Kontaktdaten nicht.  Zudem war es mir wichtig, dass Jon und Alex genau verstehen, was dieser Preis bedeutet. Sie konnte ihnen die Tragweite dieser Auszeichnung viel verständlicher erklären, weil sie russisch spricht. Stellen Sie sich vor, die beiden hätten besorgt reagiert und gesagt: "Wir wollen nicht, dass dieses Foto um die Welt geht". Ich hätte meine Eingabe von World Press Photo zurückziehen und auf den Preis verzichten müssen! Doch das war nicht der Fall: Jon und Alex freuen sich sehr über den Preis. Sie posten noch immer laufend Infos über Facebook oder Twitter und freuen sich offensichtlich, ein Teil davon zu sein.

Was sagten Sie den beiden, damit sie einwilligten Sie in ihr Schlafzimmer zu lassen?
Mein Motto lautet: "Wenn du etwas wirklich willst, und den Menschen deine ehrliche Absicht erklären kannst, dann kann man als Fotograf alles fotografieren, was man möchte". In diesem Fall gelang mir das auch, weil ich über ein Jahr lang am Thema "Homophobie in Russland" arbeitete und die Leute dadurch, dass ich mehrmals wiederkam, Vertrauen zu mir fassten. Das ist keine berufliche oder berufsethische Angelegenheit, sondern meine Absicht als Mensch: eine Person mit einem guten Herzen zu sein. Anstatt die Leute einfach zu fotografieren, erkläre ich ihnen immer, warum genau ich sie fotografieren will. In diesem Fall erklärte ich Jon und Alex, dass ich dokumentieren will, was hinter LGTB steht: Liebe und pure Anziehung. Denn darum geht es doch am Schluss: nicht unbedingt um Religion oder Politik, sondern um Liebe.

Sie haben sich der Thematik aus Entrüstung über einen Vorfall bei einer Parade angenommen. Dieses Bild ist also ein politisches Statement.
Das würde ich nicht so sagen. Ich kein Aktivist, sondern ein Journalist, der seine Geschichten auf Basis von tiefverwurzelten persönlichen Werten aussucht. Ich wollte mit dieser Arbeit auf die Diskriminierung aufmerksam machen und die Menschen zeigen, die davon betroffen sind. Diskriminierung bedeutet "to dehumanise", also "entmenschlichen". Meine Arbeit soll im Gegenzug sozusagen "to rehumanise". Ich fotografiere keine verrückten, ausgeflippten LGTB, sondern reale Menschen, zum Beispiel Jon und Alex.

Wann ist etwas eine Story?
Ich verstehe mich als Vertreter einer neuen Generation von Journalisten. Wir fühlen uns nicht mehr unbedingt dem Gebot der Objektivität verpflichtet wie unsere älteren Kollegen. Es geht uns weniger darum objektiv zu sein, denn das ist sowieso eine Illusion. Wir haben weniger Berührungsängste, persönlich Stellung zu beziehen, mich für Menschenrechte engagieren. Ich will mit meiner Arbeit Veränderungen bewirken. Wenn mich Dinge empören, mich emotional berühren, sind das für mich Geschichten, die ich erzählen will.

Können Ihre Bilder der Arbeit "Homophobie" (vgl. z.B. Fototableau NZZ.ch) auch die Sichtweise der Russen auf Schwule und Lesben verändern?
Ja, das hoffe ich.

Wird Ihr Foto in Russland überhaupt diskutiert?
Das ist genau das Problem: Die grossen russischen Medien berichteten nicht darüber, dass dieses Foto den World Press Photo Award erhalten hatte. Der Zugang zu diesen Mainstream-Medien ist beschränkt, denn sie sind direkt und eng verbunden mit den Mächtigen im Land.

Wann gastiert World Press Photo dieses Jahr in Moskau?
Ob die Ausstellung nach Moskau gelangt, ist unklar. Langjährige Sponsoren zogen sich plötzlich zurück, so dass die für den Mai geplante Ausstellung wahrscheinlich nicht durchgeführt werden kann, - ausser es kommt über das gestartete Crowdfundig genügend Geld zusammen.

Würden Sie überhaupt auftreten oder fürchten Sie sich, nach Russland zu reisen?
Dass es für mich gefährlich ist, nach Russland zu reisen, glaube ich nicht,  - oder zumindest hoffe ich es. Bisher wurde ich weder angegriffen, noch bedroht. Aber keine Frage: In Russland gibt es viele, sehr gewalttätige Leute, die Menschenrechtsaktivisten oder Oppositionelle angreifen. Je stärker der Einfluss meines Fotos ist, desto eher gerate ich in Gefahr. Doch viel realer und näher ist die Gefahr für Leute wie Jon und Alex. Es kam vor, dass extrem gewaltbereite Gruppierungen Schwule angegriffen, verschleppt, gefoltert und dabei gefilmt haben. Die Angreifer waren mit Baseballschlägern bewaffnet. Ich dokumentierte einen Fall bei dem jemandem mit dem Luftgewehr ins Auge geschossen wurde, so dass er ein Auge für immer verlor. Wenn ich sehe, wie LGTBs im Umfeld dieser Gewaltbereitschaft leben, macht es mich natürlich nervös. Denn auch ich könnte Opfer davon werden.

Bei allen Ihren Arbeiten im Zusammenhang mit Menschenrechten. Waren Sie je von Zensur betroffen?
Ja, vor allem in China, wo ich zwei Jahre lang lebte. Alleinschon wenn man online geht, spürt man Zensur. Aber auch draussen im Feld, wenn Leute Angst haben, mit einem zu sprechen.

Sie sind bei "Politiken" angestellt. Die Redaktion befindet im gleichen Gebäude wie diejenige von "Jyllands-Posten", der Zeitung, die die Mohammed-Karikaturen veröffentlichte. Wie gross sind da die Sicherheitsvorkehrungen?
Ich arbeitete noch nie in einem Medienhaus mit so strengen Sicherheitsvorkehrungen. Sie sind so strikt, dass ich mit niemandem darüber reden darf. Als ich bei "Politiken" anfing, kam es mir vor als würde ich einen Arbeitsvertrag bei Barack Obama unterschreiben (lacht). Ich selber bin zwar mit vielem was "Jyllands-Posten" tut nicht einverstanden, denn sie hat ja auch eine total andere politische Ausrichtung als "Politiken". Doch die Pressefreiheit ist nicht verhandelbar. Daher sind alle Mitarbeitenden in diesem Gebäude solidarisch mit ihnen und nehmen diese verschärften Vorschriften auf sich.

Welche weiteren Pläne haben Sie?
Ich will noch tiefer in diese Thematik eintauchen und herausfinden, warum in der russischen Gesellschaft eine extreme Gewaltbereitschaft und weit verbreitete Ablehnung LGTBs gegenüber existiert.


Die Ausstellung "World Press Photo 15" im Folium - alte Sihlpapierfabrik im Sihlcity Zürich dauert vom 7. bis am 13. Mai. Am Mittwoch, 6. Mai findet die Vernissage statt, zu welcher geladene Gäste anwesend sein werden. "World Press Photo" wird in der Schweiz bereits zum achten Mal von Keystone präsentiert. 

Mads Nissen absolvierte sein Studium an der Danish School of Journalism in Kopenhagen. Von 2004 bis 2006 arbeitete er für die dänische Zeitung Politiken und anschließend als freischaffender Fotojournalist für Zeitschriften wie Newsweek, TIME, Der Spiegel, Stern oder Sunday Times. Er dokumentierte u. a. die Nahrungsmittelkrise im Niger, die Überbevölkerung auf den Philippinen oder den Regenwald am Amazonas. Nissen erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Das von World Press Photo zum Pressefoto des Jahres 2014 gekürte Bild ist Teil eines grösseren Projekts zum Thema "Homophobie in Russland".

Interview: Edith Hollenstein, Bilder: WPP

 

 



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