04.07.2012

Oskar Freysinger datet Nadine Strittmatter

Die neue Radio-Sendung „Focus Blinde Date“ auf DRS3 deutet bei seiner Premiere von letztem Montag mit Model Nadine Strittmatter und SVP-Nationalrat Oskar Freysinger grosses Potenzial an. Der Sender beschreibt das Format als „eine Stunde, in der alles möglich ist“. Das wollen wir auch gerne glauben und konstatieren doch, dass in der ersten Sendung die Grenzen des Möglichen nicht einmal touchiert wurden. Dies rührt vor allem von der unglücklichen Paarung bestehend aus einem Schwatzmaul und einem Modell, das am Radio seine Vorzüge nicht zeigen kann und im Redeschwall des SVP-Schöngeists untergeht. Dass das Duo perfekt funktionierte, wie Denise Jeitziner auf Tagesanzeiger.ch schreibt, stimmt nicht. Es sei denn, das perfekte Blind-Date besteht aus dem Monolog eines Selbstüberschätzten. Ausserdem: Man wünscht keiner Frau ein Blind-Date mit Oskar Freysinger. Roger Schawinski pflegt die Gäste seiner Radio-Sendung Doppelpunkt als Erstes zu fragen: „Wer sind Sie?“ Die Frage hat bei ihm ihre Unschuld verloren. Der Radio1-Hörer weiss, dass sich der Moderator schon diebisch freut und es kaum erwarten kann, seinen Gast – es handelt sich nur sehr selten um eine Frau – ausgehend von dieser Frage Schritt für Schritt zu sezieren. In der Laien-Sendung „Blinde Date“ wird die einfache Frage nach der Identität des Anderen renaturalisiert: Freysinger fragt Strittmatter ganz naiv: „Wer bist du?“ Weil er die junge Frau, die ihm freundlicherweise eine Stunde lang ihr Ohr leiht, tatsächlich nicht kennt. Hierbei sind wir bereits bei einem grossen Plus dieser Sendung: Sie kann nicht vorbereitet werden. Live gesendet wird sie leider nicht. Dies wäre aber sehr wünschenswert, da Eskalationspotenzial und Wagnisaspekt noch grösser wären. Die Gäste erscheinen an diesem Blind-Date mit dem bescheidenen Rucksack ihrer Bildung, ohne dass sie sich vorbereiten könnten. Zusammengefasst: Strittmatter scheint mehr über die Welt zu wissen („Ich weiss schon, wer du bist. Dich habe ich erst grad kürzlich im Schawinski gesehen“), Freysinger wiederum weiss mehr über sich selbst: „Ich bin ein Unfall in der Politik.“ Die Sendung ist nur etwas für Leute, welche die Selbstthematisierung anderer Menschen schätzen oder zumindest ertragen: In diesem Falle diejenige von Oskar Freysinger. Von ihm hören wir interessante Selbstreflexionen wie: „Meine Zukunft ist wahrscheinlich teilweise hinter mir.“ Als Musiker bringt er es fertig, in drei Wochen zehn Lieder in den Kasten zu bringen. Der Mann ist eine Potenz: Nicht genug, dass er Gymnasiallehrer und Politiker ist, nein, er ist auch Schriftsteller, Drehbuchautor, Barde und Musicalschreiber – Letzteres exklusiv für seine Frau. Dass Woody Allen seinem Drehbuch, das angeblich in einer Schublade in Hollywood liege, interessiert sein könnte, hält der Walliser für durchaus möglich. Leider entwickelt sich in dieser Konstellation kein Flirt. Freysinger wäre dieser zuzutrauen gewesen, würde dem Rossschwanz-Träger nicht seine Eitelkeit im Wege stehen, die ihn zu massloser Geschwätzigkeit verführt und angesichts derer Strittmatters Fragen bei zunehmender Gesprächsdauer vor allem ein beredtes Zeugnis ihres Anstandes und weniger ihres Interesses ablegen. Auch nach Freysingers Hinweis („Ich bin der Oskar, im Fall“), siezt Strittmacher ihr onkelhaftes Date immer wieder. Von der Modell-Frau lernen wir vor allem eines, das wir nach der Sendung auch gerne glauben: „Ich kann sehr gut zuhören.“ Das Figurenkabinett der prominenten Persönlichkeiten in der Schweiz ist zwar begrenzt, doch sollten ein paar originelle Paarungen durchaus möglich sein: Klaus J. Stöhlker datet mit Sybille Berg, Mike Shiva trifft Sven Epiney. Ziehen sich Gegensätze an? Stossen sie sich ab? Dergleichen Wahrheiten sollten nun auf den öffentlichen Prüfstand gestellt werden. Natürlich haben wir uns diese Fragen schon zigmal gestellt. Trotzdem freuen wir uns immer wieder, sie zu behandeln – zumal aus der Warte des Beobachters oder akustischen Voyeurs, wie es in diesem neuen und vielverprechenden Sendeformat möglich ist. Aber nicht nur bei der Auswahl der Gäste könnte DRS3 seine Steuerungsfunktion noch mehr wahrnehmen, sondern auch bei den Fragen, welche die Blind-Date-Gäste einander optional zur Belebung des Gesprächs stellen können. „Wann haben Sie zum letzten Mal den Kühlschrank abgetaut?“ gibt einem schläfrigen Date kaum neue Impulse.


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