01.10.2014

Die Apple Watch verändert die Uhrenindustrie – entweder aus Lust oder aus Leid

Apple hat der Schweizer Uhrenindustrie den Kampf angesagt mit der neuen Apple Watch. Marketing-Bluff oder ernst zu nehmende Bedrohung? Wird Biel gewinnen oder Cupertino? Was kaum jemandem bewusst ist: Die Schweizer Uhrenindustrie war das erste Opfer der Digitalisierung. In den 1970er Jahren brachten die Japaner Zeitmesser auf den Markt, die so genau und so billig waren wie nie zuvor. Es dauerte kaum ein Jahrzehnt, bis die Schweizer Uhrenindustrie am Ende war. Erst als Nicolas Hajek die maroden Uhrenfirmen neu ausrichtete und die Swatch lancierte, begannen die Schweizer Hersteller ihre Produkte und Fähigkeiten aus einer anderen Perspektive zu sehen und sich neu zu erfinden. Damit kreierte die Schweizer Uhrenindustrie eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Zwar stammen heute weniger als drei Prozent der weltweit verkauften Zeitmesser aus der Schweiz, doch vereinigen sie zwei Drittel des wertmässigen Marktanteils auf sich.

Wie konnte das gelingen? Grossmeister Hayek ging nach einer Art Sechs-Punkte-Plan vor, ganz im Sinne von Steve Jobs Diktum: "Die Menschen wissen nicht was sie wollen, bis man es Ihnen zeigt." Der Plan beinhaltete, wieder gross zu denken, das Selbstverständnis von der Handwerker-Feinmechaniker-Tradition zum Lifestyle-Unterstützer zu wandeln (Swatch als Modeartikel) und dieses Prinzip auch auf Luxusuhren anzuwenden: So wurden Uhren zu sozio-mentalen Glaubenssystemen, die Lebensknappheiten wie Selbstbestimmtheit, Status, Geld oder Gesundheit bewirtschaften.

Als nächstes investierte die Uhrenindustrie dank kapitalstarken Eigentümern in Technologie, Mitarbeitende, Infrastruktur und hochprofessionelle Vertriebsorganisationen. Neu aufgestellt, startete eine noch nie da gewesene Innovationswelle und man begann damit, seine Kunden für Uhrmacher-Themen zu begeistern und sie in ganz neue Preisregionen zu entwickeln. Am wichtigsten war aber der letzte Punkt des Plans: die Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen und Menschen mit Ideen und Visionen ans Ruder zu lassen.

Schweizer Uhrenindustrie verletzt
Wie bereit ist das erfolgsverwöhnte Biel heute für die Herausforderer aus Cupertino? Viele Manufakturen vernachlässigen ihre heimischen Märkte in Europa und unterwerfen ganze Uhrenkollektionen dem asiatischen Geschmack, anstatt sie respektvoll und behutsam zu entwickeln. Kunden werden gnadenlos ausgenommen mit bis zu fünf Preiserhöhungen in nur einem Jahr, um dann kurze Zeit später mit "Kollektionsbereinigungen" wieder zurückzurudern. Solche Manöver reduzieren das Vertrauen und sensibilisieren die Aufmerksamkeit für Neues. Das macht die Schweizer Uhrenindustrie verletzbar.

Genau in diese Lücke sticht die Apple Watch. Apple ist zum wertvollsten Unternehmen der Welt geworden, weil Cupertino es wie kein anderes Technologieunternehmen versteht, über Design und Marketing seinen billig in chinesischen Sweatshops zusammengebauten Produkten ein menschliches Antlitz zu geben und sie beziehungsfähig zu machen. Genau deshalb ist die Apple Watch eine Gefahr für die Uhrenindustrie – die Kaufmotive sind dieselben. Der Kampf wird nicht über technologische Features ausgetragen sondern über die Positionierung auf Lebensknappheiten, über Lebensstile und dem Zugehörigkeitsstreben der Menschen.

Die Schweizer Uhrenindustrie ist deshalb gut beraten, sich zu hinterfragen und sich intensiv mit neuen Themen – wie beispielsweise Software – auseinanderzusetzen. Fakt ist, dass die Uhrenindustrie derzeit im mittleren Preissegment am stärksten wächst und dass bis 2018 gemäss ersten Studien bereits 450 Millionen intelligente Uhren über den Ladentisch gehen könnten. Dieser Umsturz in der Branche kann auch die Schweizer Hersteller nicht kalt lassen. Cupertino zwingt Biel also dazu, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen. Die Rezepte dazu – siehe Sechs-Punkte-Plan – sollten eigentlich bekannt sein. Unternehmen, die ihre Marken nur ausbeuten, nicht genug investieren, nicht klar positioniert sind oder es sich zu einfach machen, werden erhebliche Probleme bekommen und letztlich untergehen.

Klaus-Dieter Koch ist Managing Partner und Gründer von Brand Trust, einer Managementberatung für markenzentrierte Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum. 

Bild: Keystone



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