11.12.2014

Die NZZ taumelt

Weil kein Zürcher mehr Präsident des Verwaltungsrates der "Neue Zürcher Zeitung" werden wollte, hat der welsche Topmanager Etienne Jornod diese Aufgabe übernommen. Er muss aufräumen und nachholen, was in den letzten dreissig Jahren versäumt wurde; die Erhaltung des Rufes des einstigen Zürcher Weltblatts.
von Klaus J. Stöhlker

 

Weil kein Zürcher mehr Präsident des Verwaltungsrates der "Neue Zürcher Zeitung" werden wollte, hat der welsche Topmanager Etienne Jornod diese Aufgabe übernommen. Er muss aufräumen und nachholen, was in den letzten dreissig Jahren versäumt wurde; die Erhaltung des Rufes des einstigen Zürcher Weltblatts.

Nach Ulrich Bremi, dem heute schweigenden legendären Zolliker, hat der Urner Franz Steinegger als VR-Präsident die NZZ in den Niedergang begleitet. Wie die schweizerische FDP unter ihm den Anschluss an die Entwicklung verlor, geschah dies auch dem FDP-Leibblatt, der "Neue Zürcher Zeitung". Der Rettungsversuch mit dem talentierten St. Galler Bankier Konrad Hummler schlug fehl, weil Franz Steinegger auch Hummler zurücktreten hiess.

Etienne Jornod erbte einen Verwaltungsrat, der seinen mangelnden Führungswillen während Jahren bewiesen hat. Mit Albert ("Polo") Stäheli holte man als CEO einen Zürcher aus Bern zurück, der sich als Sparer einen Namen machte, nicht aber als Entwickler des Verlags. Ihm folgte der nun aktive Veit Dengler, ein eloquenter österreichischer Diplomatensohn, der sich immer tiefer in das überalterte Gefüge der NZZ-Gruppe eingräbt und in kurzer Zeit eine beachtliche Blutspur hinterlassen hat: Umsturz der "Social-Media-Programme", Verkauf der modernen Hausdruckerei, Unterstellung des "St. Galler Tagblatt" unter einen Luzerner Verlagschef. Seinen Wiener Freunden gab er den Auftrag, eine eNZZ für Österreich aufzubauen.

Die Tragödie begann bei der NZZ schon mit der Fehlwahl von Hugo Bütler als Chefredaktor. Der vor seiner Wahl an die Spitze des Hauses nur als Jugendjournalist und Kalter Krieger bekannte Innerschweizer erlebte in seiner Amtszeit den Verlust des Ehrentitels "Weltblatt". Trat die NZZ bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts noch mit FAZ, "Le Monde", "El Pais" und "Financial Times" gemeinsam auf, fiel sie bald aus den Rängen. Bütler wurde zum grossen Schweiger. Mit den unter "Polo" Stäheli einsetzenden Sparprogrammen mussten namhafte Journalisten, wie Urs Schoettli und Bruno Lezzi, das Blatt verlassen. Dessen Qualität liess erkennbar nach.

Den intellektuellen Vollabsturz verhinderten Ressortleiter wie René Zeller (Inland) und Martin Meyer (Feuilleton), die sich mit stoischer Kraft dem Niedergang entgegen stellten. René Zeller verdankt die NZZ den weiterhin guten Ruf in Bern, Martin Meyer die dem Verlag verbliebene europäische Relevanz. Wirtschaftschef Peter A. Fischer vermochte bisher die ihn gesetzten Erwartungen nur teilweise zu erfüllen. Grosse Hintergrundberichte und –Kommentare werden weiterhin vermisst. Die einst wegen ihrer Eigenwilligkeit berühmte Auslandredaktion der NZZ hat unter Führung von Eric Gujer viel an Glanz verloren, sucht den Anschluss trotz Budget-Engpässen aber wieder herzustellen. Enttäuschend ist die Lokalredaktion Zürich geblieben, weil Thomas Ribi von seiner bisherigen Haltung nicht abwich, alles gut zu finden, was aus den offiziellen Dienststellen zu ihm gelangt. Sogar die "Aargauer Zeitung" und die "Basler Zeitung" machen unterdessen bessere Lokalteile.

Was bleibt Etienne Jornod zu tun? Die jetzt dreiköpfige Chefredaktion auf Zeit hat mit René Zeller einen natürlichen Kandidaten für den Chefredaktor. Aber auch mit der bisherigen Performance wird er nicht in die Medaillenränge kommen, traut er sich nicht, einen grossen Sprung nach vorn zu tun. Die Schweiz steht nicht nur vor einem, sondern vor mehreren krisenhaften Jahren. Deshalb hat gerade die NZZ die Chance, hier als Kompass und Leuchtfeuer zu dienen, um in Bern oder nach Brüssel die richtigen Wege zu finden. Martin Meyer ist der intellektuelle Europäer in der Redaktion und es wäre zu wünschen, man gäbe ihm in den kommenden Jahren mehr Spielraum. Ein kleiner Schritt wäre es, die Kulturredaktion der Stadt Zürich mit dem Feuilleton zusammen zu legen; der Sache und dem Leser würden damit gedient.

Glaubwürdige und handlungsfähige externe Kandidaten für die Chefredaktion gibt es wenige. Was die Redaktion auf keinen Fall brauchen kann, ist einen Vertreter professoralen Stils; ein Markus Somm in Basel hätte den besseren Zuschnitt. Nach dem Untergang der liberalen "Basler Nachrichten", die dem "Basler Daig" zu progressiv waren, und dem "Journal de Génève", das von den Genfer Bankiers fallen gelassen wurde. Ist die klein gewordene NZZ nicht direkt gefährdet, aber sie braucht eine Perspektive. Die Flucht in das Handelsgeschäft ist, obwohl Gewinn bringend, keine wirkliche Lösung. Wann die E-Business-Modelle namhafte Gewinne bringen, ist nicht absehbar. Vielleicht sind auch rein Schweizer Online-Redaktionen in einem zu kleinen Markt, damit dies jemals der Fall sein könnte.

Zum Schluss bleiben als Alternative, wie sonst in der Wirtschaft auch, grosse Mergers als Ultima Ratio. Tamedia hat unter dem grossartigen CEO Martin Kall die Weichen schon früh in die richtige Richtung gestellt. Peter Wanner und Christoph Blocher sind sicher ehrgeizig genug, um auch Gespräche mit der NZZ nicht auszuschliessen. Wenn die Reste der autonomen liberalen Schweizer Unternehmer jetzt die Weichen falsch stellen, wird die Schweiz demnächst nach der Swissair, den beiden Grossbanken UBS und CS und vielen anderen Unternehmen, die unter ausländische Kontrolle gerieten, auch ihr "Master Brain", die NZZ, nicht mehr auf sicher haben. Das wäre ein Sargnagel zu viel.

 



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