18.11.2014

Eine Chance für echte Fachleute

Mediendaten waren schon immer komplex. Aber nun wird die Lage definitiv unübersichtlich. Das ist genau das Gegenteil von dem, was sich die wahren Adressaten der aufwendigen Übung wünschen: nämlich die einschlägigen Agenturen und ihre Kunden. Verantwortlich für diese Entwicklung sind natürlich die Möglichkeiten des Internets. So addieren gewisse Verlage zu ihrer immer sklerotischeren Printnutzung neuerdings Onlinedaten, um so das rasante Wegbrechen des Kerngeschäfts optisch abzufedern.
von Roger Schawinski

Mediendaten waren schon immer komplex. Aber nun wird die Lage definitiv unübersichtlich. Das ist genau das Gegenteil von dem, was sich die wahren Adressaten der aufwendigen Übung wünschen: nämlich die einschlägigen Agenturen und ihre Kunden. Verantwortlich für diese Entwicklung sind natürlich die Möglichkeiten des Internets. So addieren gewisse Verlage zu ihrer immer sklerotischeren Printnutzung neuerdings Onlinedaten, um so das rasante Wegbrechen des Kerngeschäfts optisch abzufedern. Dabei werden im Hauruckstil Äpfel mit Birnen angereichert. Beim Fernsehen hingegen werden in der Presse meist nur die Zahlen der Erstausstrahlungen publiziert, nicht aber zusätzlich die der Wiederholungen. Beinahe unbeachtet bleiben die per Podcast erzielten Werte. Vor allem Sendungen, die in der Presse Niederschlag finden, erreichen via Player bereits respektable Zahlen. Ähnliches gilt für profilierte Radiosendungen.

Hinzu kommen die grundsätzlichen Limitierungen der eingesetzten Messsysteme. Noch immer liefert die von den Verlagen kontrollierte Printmessung die mit Abstand weichsten Daten, die einen Intermediavergleich effektiv verunmöglichen. Da selbst die so erhobenen Werte den sich beschleunigenden Einbruch der Printnutzung nicht zu verschleiern vermögen, ist ein Schritt hin zu härteren Daten aus psychohygienischen Gründen wohl undenkbar. Und beim Fernsehen führte die Umstellung auf ein neues Messsystem zu einem länglichen Hornberger Schiessen. Das öffentliche methodische Gezerre brachte vor allem weitere Verunsicherung, aber keine verlässlicheren Daten.

Diese traumatische Erfahrung behindert auf fatale Weise auch die Umstellung der Radioforschung auf ein technologisch akzeptables Niveau. Die in der Schweiz entwickelte und völlig veraltete Radiouhr hat sich international nie durchgesetzt. Trotzdem wird dieses sperrige Gerät bei uns weiterhin verwendet, obwohl man damit gewisse Bevölkerungsgruppen gar nicht richtig erfassen kann. Dazu gehören gemäss Angaben der Publicadata die höheren Einkommensempfänger, von denen sich viele standhaft weigern, das hässliche Ding ans Handgelenk zu schnallen. Ähnliches gilt für junge, hippe, urbane Personen, die deshalb nicht in genügender Zahl rekrutiert werden können.

Eine weitere Schwäche der Radiouhr beschäftigt zurzeit sogar den Bundesrat. So ist das System nicht in der Lage, Simulcast-Signale richtig zuzuordnen. Davon profitiert vor allem Radio Energy, das gleich drei Sender betreibt. Erst auf Drängen lokaler Konkurrenten konnte zweifelsfrei belegt werden, dass die Energy-Werte in mehreren Städten überhöht ausgewiesen werden. Das war natürlich seit Längerem ein zusätzlicher Ansporn für die Energy-Chefetage, das Simulcast-Angebot auszuweiten. Damit kann man nicht nur effektiv Programmkosten sparen, indem man die Sender in Bern und Basel vermehrt zu Abspielstationen degradiert. Und da man dank diesem Programmabbau zusätzlich noch überhöhte Hörerdaten erhält, schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Fall Energy ist vielleicht ein besonders krasses Beispiel, und die Publicadata musste deshalb kapitulieren. So werden zurzeit keine Daten der einzelnen Energy-Sender publiziert. Dies beweist, dass die Medienagenturen ihre Zahlengläubigkeit in einer immer komplexeren Welt mit Intuition und qualitativen Bewertungen anreichern sollten. Das wäre dann ein echtes, nicht nur per Computer abrufbares Know-how, das sie ihren Kunden liefern können, weil inadäquate Mediadaten zu einer Fehlallokation von Werbemitteln führen. Ja, unsere Welt wird immer komplexer. Aber das macht die Sache doch auch spannender. Und echte Fachleute können sich in diesem Umfeld wirklich profilieren.



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