23.04.2015

Schweizer Tourismus: Marken-Kahlschlag vermeiden

Die Wintersaison 2014/15 ist vorbei und der Schweizer Tourismus steht vor riesigen Herausforderungen. Werden die Skipisten nächstes Jahr noch leerer sein? Wie können die strukturellen Probleme bewältigt werden, die sich spätestens seit der Frankenaufwertung von Mitte Januar nicht mehr leugnen lassen? Der Lackmustest folgt in der kommenden Sommer- und Wintersaison.
von Klaus-Dieter Koch

Die Wintersaison 2014/15 ist vorbei und der Schweizer Tourismus steht vor riesigen Herausforderungen. Werden die Skipisten nächstes Jahr noch leerer sein? Wie können die strukturellen Probleme bewältigt werden, die sich spätestens seit der Frankenaufwertung von Mitte Januar nicht mehr leugnen lassen? Der Lackmustest folgt in der kommenden Sommer- und Wintersaison.

Klar ist: Die Schweiz war schon immer teurer. Und sie muss immer teurer bleiben, das gehört zur Marke Schweiz dazu. Schon als ich ein Kind war, habe ich von meinen Eltern gelernt, in der Schweiz ist alles besser. Das Essen schmeckt besser, die Berge sind höher, die Wiesen grüner, die Menschen netter und die Hotels natürlich viel schöner als anderswo. Selbstverständlich war auch alles teurer. Aber das gehörte dazu. Das hat man nicht anders erwartet, das war und ist Teil des Markenkerns der Schweiz. Das gilt für alle Schweizer Produkte, nicht nur für den Tourismus.

Wie sieht es aber mit dem Gegenpol zum hohen Preis aus – der Leistung? Solange der wahrgenommene Wert höher ist als der Preis, hat der Gast ein gutes Gefühl. Er gibt zwar mehr aus als unbedingt notwendig, aber er bekommt auch mehr als erwartet. Nun häufen sich jedoch die Anzeichen, dass der Gegenwert für viele europäischen Gäste nicht mehr stimmt. "Es ist wirklich sehr schön hier, aber die hohen Preise machen einen fertig. Nächstes Jahr fahren wir statt nach Saas Fee nach Österreich“, brachte es kürzlich ein deutscher Gast in der FAZ auf den Punkt.

Leistung steigern und gleichzeitig Kosten sparen – so lautet nun das Credo für viele Touristiker. So erhält das Thema Dachmarke in Zeiten knapper Budgets eine grosse Bedeutung. Die Idee, alle Orte und Sehenswürdigkeiten einer Region unter einer neuen, meist künstlichen Marke in einem großen Markt anzupreisen, ist verlockend. So verlockend, dass man dabei viele gewachsene und viel stärkere Marken plattmacht. Gäste entscheiden aber nach Begehrlichkeiten und nach dem, was sie schon im Kopf haben. Dass Las Vegas im Bundesstaat Nevada liegt, ist weitgehend irrelevant. Venedig überstrahlt das Veneto bei weitem und Ischgl schlägt die Silvretta Arena diskussionslos. Wirksame Dachmarken sind einfach für den Gast, aber anspruchsvoll für das Management.

Wanderer im Engadin. Bild: Keystone

Wie eine sinnvolle Bündelung von Investitionsmitteln unter einer gewachsenen Dachmarke bei gleichzeitigem Respekt vor den "Leuchttürmen“ in der Region aussehen kann, zeigt das Beispiel Engadin St. Moritz. Die Bündner sind die Fragestellung, vor der heute viele Destinationsmarken stehen, bereits vor sieben Jahren angegangen. Auslöser war die Einsicht, dass die 13 Gemeinden im Oberengadin zukünftig nicht mehr die Mittel und die Kraft haben, sich im härter werdenden Wettbewerb alleine zu behaupten. Den gewachsenen Leuchttürmen vom mondänen, weltbekannten St. Moritz über das genussreiche Pontresina bis zum entrückten, einmaligen Glücks-Ort Sils Maria wurde aber nicht einfach eine künstliche Dachmarke übergestülpt, sondern mit einer auf die Besonderheiten des Hochtals abgestimmten, differenzierten Vorgehensweise gearbeitet, die nicht vereinheitlichen und abschleifen, sondern Eigenheiten und Besonderheiten betonen und Gemeinsamkeiten bündeln sollte.

Nach anfänglichen Widerständen zeigen sich jetzt die Vorteile einer solch differenzierten Vorgehensweise. Die Dachmarke Engadin St. Moritz nutzt die Energie beider lang gepflegten Markensysteme, des Engadins ebenso wie von St. Moritz. Der schillernde Leuchtturm, St.Moritz, wird als starke Einzelmarke innerhalb der Dachmarke weiter gepflegt und wird insbesondere eingesetzt, um das Premium-Segment der Gäste in Nah- und Fernmärkten anzusprechen. Die Dachmarke Engadin St. Moritz wiederum zielt auf den Schweizer Heimmarkt und die angestammten Nahmärkte. Die übrigen 12 Orte des Engadins haben eine typische lokale Themenkompetenz erhalten.  

Fazit: Die Zeit der einfachen und schnellen Lösungen ist vorbei, auch wenn das nicht jeder wahrhaben will.



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