18.02.2015

Werbung schleicht sich ein

In Kinokrachern sind wir es längst gewöhnt, und niemand regt sich drüber auf. Welches Auto der Filmheld fährt, auf welche Uhr er schaut, welchen Computer er verwendet, welches Smartphone, welchen Champagner er trinkt, welche Sonnenbrille oder welchen Anzug er trägt: alles gekauft, bezahlt. Na und?
von René Zeyer

In Kinokrachern sind wir es längst gewöhnt, und niemand regt sich drüber auf. Welches Auto der Filmheld fährt, auf welche Uhr er schaut, welchen Computer er verwendet, welches Smartphone, welchen Champagner er trinkt, welche Sonnenbrille oder welchen Anzug er trägt: alles gekauft, bezahlt. Na und?

Und im Journalismus? Vom "Advertorial" über die "Publireportage" sind wir schon längst bei "Native Advertising" und "Branded Content" angelangt. Alles dumme Euphemismen für: Dieser Inhalt kommt so redaktionell wie möglich daher, ist aber in Wirklichkeit vom Inserenten bezahlt und somit beeinflusst. Na und?

Ist es wirklich so schlimm, wenn ein Ölmulti eine Reportage über die Gebräuche von Indios im Amazonasbecken bezahlt? Ist es übel, wenn im Artikel nicht erwähnt wird, dass der Ölmulti diese Indios umsiedeln will, damit er dort endlich bohren kann? Und wie steht es mit einer Analyse über die unentwegten Anstrengungen von Ölmultis, so umweltschonend wie möglich die Versorgung der Welt mit sauberer Energie sicherzustellen? Ab wann ist die Grenze überschritten, worin besteht sie eigentlich?

Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Die deutsche Qualitätszeitung "Süddeutsche" und die staatliche TV-Anstalt NDR sind Bestandteil des internationalen Rechercheteams bezüglich den sogenannten "Swissleaks". Nun wirft ihnen ein ehemaliger Redaktor der SZ vor, in seiner Amtszeit im Ressort "Sonderthemen" im Jahre 2007 habe er miterlebt, wie Redaktionelles und Werbung fleissig vermischt worden sei. Anzeigenkunden hätten die Berichterstattung beeinflusst, kritische Passagen seien aus Texten entfernt und gar Anleitungen zu Steuerhinterziehung gegeben worden.

Das Ganze ist ziemlich gut dokumentiert, sogar mit versteckten Tonbandaufnahmen. Die Vorwürfe sind besonders pikant, weil die SZ ja daran beteiligt ist, angebliche Steuerhinterzieher mit entwendeten Kontoinformationen an den Pranger zu stellen. Natürlich weist die Zeitung alle Vorwürfe zurück. Besonders lustig ist dabei das Argument, dass das doch alte Kamellen von vor acht Jahren seien; die geklauten Kontodaten von "Swissleaks" stammen schliesslich auch von 2007.

Wo liegt nun die Grenze zwischen unabhängiger redaktioneller Eigenleistung und Gefälligkeitsjournalismus, Schonung wichtiger Inserenten, versteckter oder offener Werbung für Firmen, "Branded Content"? Im ersten Schritt ist es noch einfach. Wer den auch noch so kleinen Hinweis überliest: "Dieser Artikel wird Ihnen von Ölmulti XY präsentiert", ist selber schuld. Wer die ständige Spalte "hier decken wir schonungslos sämtliche Werbelügen in dieser Ausgabe auf" vermisst, ist zumindest naiv.

Wie sagte George Orwell, immerhin der Erfinder des "Double Speak", so richtig: "Journalismus heisst, etwas zu publizieren, von dem jemand will, dass es nicht publiziert wird. Alles andere ist Public Relations."

Das eigentliche Problem, wie überhaupt im Geschäftsleben, trägt einen einfachen Namen: Vertrauen. Wenn der Leser, unabhängig davon, ob er für den Konsum eines Medienorgans bezahlt oder nicht, nicht darauf vertrauen kann, dass Werbung Werbung und redaktioneller Inhalt möglichst unabhängige Eigenleistung ist, dann verliert das Erzeugnis seine Existenzberechtigung. Nicht von heute auf morgen. Aber ganz sicher.

Vertrauen schafft man unter anderem mit Transparenz. Wenn Newsorgane versuchen, in den Dunkelkammern von Redaktionssitzungen, "internen Abläufen" sowie kurzen Amtswegen zwischen Inserateabteilung und Redaktion eine Grauzone zu schaffen, dann wollen sie den Leser für dumm verkaufen. Und das kann nicht gutgehen. Denn selbst der Leser, der gratis konsumiert, zahlt immerhin mit seiner Aufmerksamkeit und im Internet mit hübsch vielen persönlichen Daten. Und das wiederum verwenden Medienorgane, um Inserenten beliebt zu machen, Geld für sie auszugeben. Wenn sich der Leser betrogen fühlt, kein Vertrauen mehr hat, verzichtet er auf die Lektüre. Geschäftsmodell kaputt.



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