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Darum bin ich ein iPad-Muffel

Roger Schawinski

Ich war einer der allerersten Handykunden, als dieses Gerät vor etwas mehr als dreissig Jahren neu auf den Markt kam – in der Form eines zwanzig Kilo schweren Koffers. Dann folgte ich jeder technischen Weiterentwicklung bis hin zum iPhone, das ich unbedingt bereits am ersten Handelstag haben musste. Doch beim iPad bin ich nicht dabei. Natürlich lese ich all die Elogen über die Wunderdinge, welche dieses jüngste Produkt aus Steve Jobs’ Küche vollbringen kann. Und ich verfolge die atemlosen Kommentare von Verlagsmanagern, die den iPad als Allheilmittel preisen, das der gebeutelten Branche den Weg aus der Finsternis weisen soll. Doch dies alles lässt mich kalt. Denn irgendwie konnte mir noch niemand erklären, welche gewaltige Lücke bei mir besteht, die ich unbedingt zu schliessen habe. O.k., der iPad kann so unglaublich viel mehr als alles Bisherige. So what? Schon heute nutze ich nur einen Bruchteil des Angebots sowohl meines iPhones als auch meines Laptops – und bin vollkommen glücklich dabei. Meine 12-jährige Tochter hatte in kürzester Zeit viel mehr Funktionen aus dem iPhone rausgekitzelt als ich in drei Jahren. Damit kann ich hervorragend leben, denn all meine Bedürfnisse sind zurzeit abgedeckt. Mehr brauche ich schlicht nicht. Und zudem möchte ich nun nicht mit einem Herrentäschchen spazieren gehen, in dem ich den iPad unterbringe. Da empfinde ich mein schnuckelig kleines Handy, das ich mir problemlos in die Jackentasche stecken kann, als viel moderner und angenehmer. Der iPad ist ein brillantes Marketingprodukt auf der Suche nach seiner Funktion. Und er ist ein gefrässiger Geselle, der zuerst kräftig gefüttert werden muss; erst dann läuft er so richtig. Bevor die so sehnlichst erhofften Paid-Content-Millionen fliessen, muss von den Anbietern kräftig in dieses neue Produkt investiert werden, von dem noch niemand weiss, wie sich die jahrelang mit Gratisinhalten angefixte Klientel in nützlicher Zahl abkassieren lässt. Und damit steht die Medienbranche in Sachen Internet bereits wieder am Nullpunkt. Zum wiederholten Mal muss zuerst in grossem Stil reingebuttert werden, ohne dass ein klares Geschäftsmodell erkennbar ist. Wieder ist es der Urschreck, den so entscheidenden First Mover Advantage zu vermasseln, die viele Verlage in Unkosten und von da aus direkt ins Verderben stürzen kann. Bisher hat sich der iPad fantastisch verkauft. Dies wird auch bei uns so sein. Er ist das jüngste Accessoire aus der Kollektion für Novelty-Freaks, denn der Grossteil der Apple-Gemeinde wird auch diese Offenbarung mit offenen Armen empfangen. Für Steve Jobs kann die Sache schlicht nicht schiefgehen, dafür ist sie zu gut lanciert worden. Er ist mit Sicherheit auch diesmal der Gewinner, weil der Geräteverkauf nur die erste Stufe seiner Ertragskaskade ist. Viel nachhaltiger sind die Einnahmen, die er zusätzlich von den Nutzern – und zwar sowohl von den Anbietern als auch den Konsumenten – einsacken kann. Anders als viele Verlagsmanager wie Mathias Döpfner von Springer, die dem Propheten Jobs mit verzückenden Worten huldigen, bleibe ich wohl noch längere Zeit ein iPad-Abstinent. Ich werde weiterhin Bücher auf Papier lesen. Zeitungen und Zeitschriften nutze ich weiterhin per Laptop, Handy oder in Form der traditionellen Technologie. Filme sehe ich im Kino, im Fernsehen oder per DVD, und ich habe keinen Drang, mir visuell starke Werke im iPad-Kleinformat zu Gemüte zu führen. Nein, da muss noch viel, ganz viel geschehen, bis ich konvertiere und iPader werde. Und dabei fühle ich mich toll. Und trendy dazu – indem ich mich diesem Trend verweigere.
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