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Engagement für Schienenverkehr zahlt sich aus

Christoph Engl

Wenn ein bauliches Grossprojekt ein Jahr vor dem geplanten Abschluss seiner Bestimmung übergeben werden kann, dann ist ihm die öffentliche Aufmerksamkeit sicher – insbesondere aus deutscher Perspektive. Die Schweiz wird mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels, dem mit 57 km längsten Tunnel der Welt, ihrem Ruf als verlässlichstes und vermutlich auch sicherstes Land der Welt gerecht. Was für die Amerikaner die Mondlandung war, ist für die bahnbegeisterte Schweiz der neue Gotthard-Basistunnel: Man zeigt der Welt, was Präzision und kluge Planung können und baut darauf den Nationalstolz auf. Zu Recht.

Die Berge zu bezwingen – Projekte dieser Art gab es in einem der gebirgigsten Länder Europas schon immer. Erstbesteigungen der grossen Gipfel von Matterhorn bis zum Eiger wechselten sich mit den Tunnelprojekten schon im 19. Jahrhundert ab. Der erste Gotthard-Eisenbahntunnel, wurde nach zehn Jahren Bauzeit 1882 in Betrieb genommen und galt damals ebenso als Jahrhundertbauwerk. Was nun am 1. Juni 2016 mit einem europäischen Staatsakt eröffnet werden soll, ist 135 Jahre danach nicht weniger imposant: 57 km Länge, 2300 Meter Fels darüber, 17 Jahre Bauzeit anstatt der 18 Jahre veranschlagten und eine Finanzierung aus den Abgaben des Strassen-Schwerverkehrs, also ohne masslos in den allgemeinen Steuertopf zu greifen. Die Marke Schweiz wird sich an diesem Eröffnungstag in die Annalen der Weltgeschichte eintragen.

Dabei hätte es alles auch ganz anders kommen können. 1992 stimmte die Schweizer Bevölkerung darüber ab, ob man sich dieses Mammutprojekt zutrauen sollte. 64 Prozent Zustimmung wurden erzielt. Vielleicht auch durch das ins Feld geführte Argument, man würde damit die bis dahin in der Schweiz geltende LKW-Limite von 28 Tonnen gegen die EU verteidigen können. 2005 musste sich die Schweiz dennoch dem EU-weiten 40-Tonnen-Limit beugen.

Zudem sollte dieser Durchstich der «Neuen Europäischen Alpentransversale» (NEAT) dienen, welche sich heute erst als Stückwerk präsentiert. Denn die dafür notwendigen Anschlüsse in Deutschland und Italien sind von ihrer Realisierung viel weiter entfernt als erwartet. Nur die Schweiz scheint ihre Hausaufgaben mustergültig erledigt zu haben. Damit bleibt der knapp 13 Milliarden teure Alpendurchstich im Moment eher von nationalem Schweizer Interesse: Der Kanton Tessin rückt näher an die Deutschschweiz heran und Mailand ist eine ganze halbe Stunde – später sogar eine Stunde – schneller an Zürich angebunden als es bisher der Fall war.

Obwohl 72 Prozent des gesamten Warenverkehrs in Europa weiterhin auf der Strasse abgewickelt werden und die Schiene davon gerade einmal den Zuwachs abnehmen kann, wird sich das traditionelle Engagement der Schweiz für den Schienenverkehr auf der Reputationsebene auszahlen. Die Weltöffentlichkeit wird in ihrem positiven Vorurteil bestärkt, die Schweiz würde die Werte Sicherheit, Verlässlichkeit, Präzision und Volksbeteiligung höher halten als alle anderen Länder dieser Welt. Nur schon dafür hat es sich für die Schweiz gelohnt, allen Unkenrufen zum Trotz und gegen alle während der 18 Jahre geänderten Umstände, an ihrem Traum festzuhalten, den längsten Tunnel der Welt zu bauen und ein Jahr vor seiner geplanten Eröffnung mit 250 Stundenkilometer schnellen Zügen zu durchfahren. So manches bauliche Grossprojekt in Europa und seine Verantwortlichen wüssten zu gerne, wie man dazu imstande ist.

Christoph Engl ist geschäftsführender Partner bei BrandTrust, einer Managementberatung für die Entwicklung und Umsetzung regionaler und globaler Markenstrategien.

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