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Die einen jammern, die andern machen

Andreas Zehnder

«Die Zehnder-Titel haben ja kaum Leser, die machen ja nicht einmal bei der Wemf-Leser-Befragung mit», hiess es früher aus «Tagblatt»-Kreisen. Seit zehn Jahren machen wir nun mit bei der Wemf («Tagblatt»-CEO Jürg Weber ist Präsident). Die aktuellen Reichweiten (Leser) bei über 14-Jährigen sind von Wemf wie folgt bestätigt: Das «Tagblatt» erzielt in den Kantonen St. Gallen beziehungsweise Thurgau jeweils 37,1 und 39,9 Prozent, während der Zehnder-Verlag mit 51,5 und 61,4 Prozent vorne liegt.

Fachwelt wichtiger als Leser?

Anlässlich meines Austritts vom Verlag fühlte sich «Tagblatt»-Redaktor Hans Suter dazu berufen, mir ein Schlusszeugnis auszustellen. Zitat: «Journalistisch vermochten die Gratisblätter wenig zu bewirken und sind in der Fachwelt kaum je eine Diskussion wert.» Unsere Titel beschränken sich aufs Lokale. Wir wollen beim Leser Emotionen wecken, ihn überraschen und gelegentlich auch mal konstruktiv «ärgern». Die Leserin und der Leser sind für uns das Wichtigste. Dass der NZZ/Tagblatt-Gruppe hingegen die Fachwelt wichtiger ist als die Leserschaft, war mir bekannt. Dass sie dies gleich selbst in ihre Zeitung schreiben, überrascht mich aber doch. Ach ja, wer wissen will, was die Fachwelt über die Qualität des neuen NZZ/Tagblatt-Produkts «A» meint, lese doch bitte den Blog von Fachjournalist Stefan Millius (persoenlich.com berichtete).

Minderwertigkeitsgefühle, Goliath?

Auch mein Geschäftsgebaren beleuchtete das Tagblatt: «Er gönnte seinen Mitbewerbern nichts, nur schon Brosamen waren der Milde zu viel.» Mein einziger Mitbewerber in der Ostschweiz, die NZZ/Tagblatt-Gruppe ist rund 15-mal grösser als wir. Zugegebenermassen liegen wir Ebitda-Prozent-mässig etwas vor ihnen, aber Sitzungsmarathons und nicht zu kleine Verwaltungsräte in St. Gallen und Zürich kosten halt schon ein schönes Stängeli. Dieser Goliath beklagt sich also, dass er wegen uns David im Werbemarkt zu kurz kam. Wie wenn es mein Fehler wäre, dass man sich beim «Tagblatt» halt lieber auf die Fachwelt konzentriert als auf Leserschaft und Inserenten.

Wieso wurde verkauft?

Um in 20 Jahren noch überleben zu können, müssten wir zwingend viel grösser sein als heute. Wir hatten mehrere Projekte in der Schublade, bei welchen wir eigentlich dachten, das nötige Wachstum müsste erreichbar sein. Nachteil aller erfolgsversprechenden Projekte sind jedoch die horrenden Investitionssummen in zweistelliger Millionenhöhe. Dass man sich in der heutigen nicht wahnsinnig sicheren Zeit finanziell im Mediensektor als Einzelfamilie mit beschränkten Ressourcen und als Ü50 nicht mehr so exponiert, wie wir dies 2006 beim Kauf der Titel gemacht hatten, ist wohl für jedermann nachvollziehbar.

Rolf Bollmann – Der Macher

Gratis-Zeitung «20 Minuten» aufgebaut aus dem Nichts, «Basler Zeitung» saniert: Dass der Mann was kann, ist erwiesen. Hier hat ein Vollprofi die Gesamtleitung übernommen, der zusätzliche Impulse setzen wird. Es ist ein Unternehmer am Ruder, welcher atypisch für die Branche auf Ausbau setzt. Unsere angedachten Projekte liegen nun auf dem Tisch nicht mehr in der Schublade. Zudem hat Rolf Bollmann noch viele zusätzliche Ideen.

Rechtsrutsch herbeigeredet

Es ist ja köstlich zu verfolgen, wie Politiker und die verdutzten Mitbewerber krampfhaft versuchen, einen zukünftigen redaktionellen Rechtsrutsch in den Titeln herbeizureden. Würde man zukünftig auf die Meinungsvielfalt in den Titeln verzichten, wäre das deren Tod. Herr Blocher wird dies auf keinen Fall zulassen. Es wäre, wie wenn er ein Erdgas-Auto gekauft hat, und dies halt einfach mit Benzin füllt, nur weil ihm Benzin sympathischer als Erdgas ist. Zumal ja sowieso automatisch ein Frühwarn-System implementiert ist. Es kann sich bei der Sensibilisierung fürs Ganze ja nun wirklich jeder sicher sein, dass es zwei Stunden später die ganze Schweiz wissen würde, falls Herr Blocher direkt oder indirekt mit Anweisungen bei einem Redaktor Einfluss Richtung rechts nehmen würde.

Es kommt ein Linksrutsch…

Verlagsredaktor Charly Pichler (Pic) ist ein hervorragender Lesergarant und ein journalistischer Überflieger. Die einen lieben, die anderen hassen ihn. Nächsten Frühling geht Pic in Pension und es war für mich noch schwieriger einen Nachfolger zu finden als befürchtet. Ich bin begeistert, dass wir schlussendlich jemanden verpflichten durften, welche vom Leserimpakt mit Pic gleichzusetzen ist (sogar gemäss Pic!). Für meinen – und auch für Rolf Bollmanns – Geschmack ist Pic zugegebenermassen «gnuäg rechts». Mit der neuen Person im Frühjahr 2018 kommt also automatisch ein kleiner Linksrutsch ins Land. Pech für alle neidischen Mitbewerber, die sich doch so hätten freuen müssen, falls alles nach rechts abgedriftet wäre.

Zukunft

Unter der Leitung von Rolf Bollmann wird der Verlag weiter prosperieren. Und liebes «Tagblatt», da nützt Jammern alleine weiterhin nicht viel, da müsst Ihr Euch jetzt schon etwas wärmer anziehen. Zum Abschluss wenigstens eine tröstende Meldung aus unserem Hause: Auch mein Nachfolger plant Euch den Abonnenten-Markt weiterhin zu 100 Prozent zu überlassen.


Andreas Zehnder hat seinen Verlag rückwirkend per 1. Januar 2017 an die BaZ Holding verkauft (persoenlich.com berichtete). Dieser Beitrag erschien auch in den «St. Galler Nachrichten» und «Wiler Nachrichten».

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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