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Eine gleichberechtigtere Welt programmieren

von Inken Rohweder von Trotha

Es gibt ja viel, was ich nicht weiss und noch so vieles mehr, was ich einfach zu irgendeinem Zeitpunkt geglaubt habe, zu wissen. Zum Beispiel, dass (die armen) Männer deswegen durchschnittlich früher den Löffel abgeben müssen, weil sie auf Bohrinseln oder bei der Müllabfuhr arbeiten, weil sie (für uns ...) in den Krieg ziehen oder weil sie aufgrund ihrer Verantwortungslast, eine Familie zu ernähren, häufiger drogenabhängig werden. So ist es aber gar nicht.

Männer waschen sich einfach weniger die Hände als Frauen und erliegen so weitaus öfter schwerer Krankheit – der Männergrippe oder so. So stand es jedenfalls auf der Titelseite einer grossen deutschen Zeitung. Die entscheidende Erkenntnis nach Lesen des Artikels könnte aber Folgendes sein: Frauen verbringen die Zeit, die sie länger leben mit – Händewaschen. Also sind beide Geschlechter im Leben und im Sterben irgendwie gelackmeiert – jedes auf seine Weise. Wie kommt es denn nur, dass nicht alle mit Gehirn bestückten Chefs dem jeweiligen Geschlecht gegenüber so neutral eingestellt sind wie eine simple Bazille?

Der Mensch hat sich sein Klischeedenken über Jahrtausende erarbeitet und obwohl sich die Anforderungen ans (Über-)leben seit der Steinzeit verändert haben, hinkt die Psyche dieser Anpassung wohl noch hinterher. Das zu erkennen, scheint mir ganz wichtig, denn sonst geben wir unsere Makel gefährlich unbewusst an den letzten Schrei neuer Erdenbewohner weiter: die künstliche Intelligenz.

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Bei uns zuhause heisst Amazons Alexa ganz unverfänglich Echo. Aber an der weiblichen Stimme, die mir sagt, wie das Wetter wird, ist kein Vorbeikommen. Meine Kinder wachsen mit einer Dienerin auf, die mit ihrer gekünstelten Servilität doch ein etwas anderes Vorbild abgibt als beispielsweise IBMs Watson.

Wer soll denn nun dein Herzblatt sein, aufgeklärter Leser? Watson, der kernige Entscheidungshelfer, der kraft seiner sich ständig selbstoptimierenden Intelligenz mal eben die Welt verändert oder ... Alexa, die dir fröhlich neue Rasierklingen bestellt und auch mal spontan loskichert? Dass sich jetzt und in Zukunft historische Klischees weiter manifestieren, bleibt wohl niemandem verborgen.

Warum, liebe Roboter, zwängt ihre eure Nullen und Einsen überhaupt in ein das echte Leben imitierendes Normenkorsett? Was spricht gegen eine maschinell anmutende Neutralität? Ganz einfach: Amazon kann die Weltherrschaft noch schneller an sich reissen, wenn uns eine Frauenstimme Geborgenheit auch dort suggeriert, wo nun wirklich keine ist. Alexas Gendermimikry ist also für uns alle ungut, nicht nur für meine Kinder. Die dürfen mit ihren insgesamt 5 Jahren meinetwegen noch glauben, dass Frauenstimmen nur schlechte Witze erzählen können, dass Mami jeden Tag das Butterbrot schmiert und dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebt.

Wahre Abgründe künstlicher Intelligenz verbergen sich – analog ihrer menschlichen Vorbilder – tief im Inneren. Algorithmen haben qua Programmierung hie und da entscheidende Makel. Sie sind ihrem Schöpfer zu ähnlich, dass heisst, sie «denken» männlich und sie sind dabei voreingenommen. So hat man herausgefunden, dass Datensätze das Wort «Programmierer» enger mit dem Wort «Mann» verknüpfen, und dass das Wort «Hausfrau» dem Wort «Frau» am nahesten kommt. Das wird ganz schnell ganz unangenehm, zum Beispiel bei automatisierten Recruiting-Kampagnen.

Der ganz schlaue Leser könnte nun argumentieren: «Och, ist doch ganz gut, wenn KI die Realität erkennt, so wie sie nun mal (leider) ist. Dann kann die künstliche Intelligenz doch auch bessere, weil passendere Entscheidungen treffen».

Meiner Meinung nach ist dieses Status-quo-Szenario nicht etwas, wofür man sich als aufgeklärte Gesellschaft entscheiden würde. Es ist ja schlimm genug, dass wir selbst oftmals «nicht anders können». Aber jetzt auch noch nach fehlerhafter Blaupause entwickeln? Was wäre, wenn man sich stattdessen eine gerechtere, also auch gleichberechtigtere Welt programmiert?

Müsste nach allem, was wir heute wissen, doch gehen. Ich ruf gleich mal meinen IT-Typen an ... :) 


Inken Rohweder ist selbstständig als Art & Creative Director. Sie hat das Michael & Helga Conrad Scholarship for Creative Leadership an der Berlin School gewonnen. 

Die Autorin vertritt ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 


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