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Gegentrend zum Megatrend

Benedikt Weibel

500 Ingenieure und Wissenschaftler aus 26 Ländern waren nach London gekommen. In 150 Sitzungen behandelten sie ein weltbewegendes Problem: den Vormarsch der Roboter. Sie waren sich einig, dass Industrien wie Bäckereien, Brauereien, Süsswaren, Druckereien, Raffinerien, Zementwerke und Chemie reif für die Automation seien. In Zeiten der Elektrobots, kamen sie zum Schluss, sind kleinere Betriebe, die sich bisher eben noch halten konnten, endgültig zum Sterben verurteilt. Was sich liest wie eine der heute täglich verbreiteten Digitalisierungsgeschichten, hat sich 1955 ereignet. Der «Spiegel» titelte: «Die Revolution der Roboter». Sein Fazit: «Wahrscheinlich wird die gesamte Umstellung zwanzig Jahre dauern. Aber die Vollautomatisierung kann auch in fünf Jahren geschafft werden.» Was wieder einmal die These von Karl Popper über die «fundmentale, grosse und unabänderliche Unvorhersehbarkeit der Zukunft» bestätigt.

Noch vor drei Jahren wurde der Untergang der gewerblichen Bäckereien vorhergesagt, weil sie der industriellen Übermacht der Backindustrie nichts entgegenzustellen hätten. Heute heisst es: «Das tägliche Brot erobert Terrain zurück.» Allein in der Region Bern gibt es heute gut zwanzig gewerblich betriebene Bäckereien, die zusammen über sechzig Filialen betreiben. Brot hat sich ein neues Image zugelegt. Brote tragen kernige Namen wie Steinhauerbrot oder Kuhfladenbrot. Gefragt ist handwerkliche Qualität. Wenn diese stimmt, ist die Kundschaft bereit, einen guten Preis zu zahlen. Eine dieser Bäckereien war für ihren Sonntagszopf berühmt. Plötzlich klagte die Kundschaft über abnehmende Qualität. Der Bäckermeister stand vor einem Rätsel, war doch die Rezeptur nicht verändert worden. Konnte es daran liegen, dass neuerdings eine Teigmaschine eingesetzt wurde? Als man den Teig wieder von Hand knetete, war die Welt wieder in Ordnung.

Vor dreissig Jahren waren in Deutschland dreizehn von fünfzehn alten Schweinerassen ausgestorben. Damals übernahm Bauer Rolf Bühler den Hof seiner Eltern. Per Anzeige suchte er nach Restbeständen des schwarz-weissen Hällischen Schweins und fand einen Eber und sechs Sauen. Seine Aufzucht wurde zu einem Symbol für eine Landwirtschaft, die sich der Logik der industriellen Fertigung entzieht. Heute zählt seine Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall 1460 Mitglieder und setzt 130 Millionen Euro um. Antibiotika, Wachstumsförderer und gentechnisch veränderte Pflanzen im Futter sind verboten.

Im Biermarkt haben wir eben noch die Übernahmen von Feldschlösschen, Cardinal, Hürlimann und Eichhof bedauert. Auf die Adventszeit 2017 hat Coop eine grosse Schachtel in Form eines Adventskalenders mit 24 Schweizer Hopfenperlen auf den Markt gebracht. 24 verschiedene regionale Biere aus 14 Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein – vom Aare-Bier bis zum Bier der Storm & Anchor Brewing Company in Zürich. Das Angebot war in Rekordzeit ausverkauft.

Jeder Megatrend hat einen Gegentrend. Der Gegentrend zur Globalisierung ist die Regionalisierung.



Benedikt Weibel ist ein Schweizer Manager. Von 1993 bis 2006 war er Vorsitzender der Geschäftsleitung der SBB und damit deren Generaldirektor.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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Kommentare

  • Andreas Willy Rothenbuehler, 10.03.2018 13:36 Uhr
    Wenn das auf denn Schweizer Schienen Schule macht ! !
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