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Kopflosigkeit killt das Lokale

Stefan Millius

«All business is local», weiss ein geflügeltes Wort. Inzwischen sind wir globalisiert, stimmen tut es aber nach wie vor. Denn die Tatsache, dass wir uns mit einem Klick mit dem Lieferanten in Shanghai und der künftigen Ehefrau in Sydney verbinden können, ändert ja nichts an der Tatsache, dass uns das, was vor der eigenen Haustür geschieht, immer noch am meisten interessiert. Vor allem als Zeitungsleser.

Zeitungen können zwar heute in Echtzeit über Trumps Ausbrüche und die Besichtigungstouren von Kim Jong-un berichten, aber weil das im Twitter-Zeitalter buchstäblich alle schaffen, ist es kaum mehr etwas wert. Der – neudeutsch - USP von Lokal- und Regionalblättern liegt nicht in Washington oder Pjöngjang, sondern beim Männerchor Mellingen und der Viehschau Eggerstanden.

Wenn nun das St.Galler Tagblatt seine Truppe der städtischen Schreiber aus dem Zentrum an den St.Galler Stadtrand verlegt, hat das sicher gute ökonomische Gründe. Dieselben Gründe waren es einst auch, die mich zum letzten Hüter des «Blick» im Büro in der St.Galler Innenstadt machten, bevor es zusammen mit anderen Aussenposten geschlossen wurde. Ganz allgemein werden immer mehr Lokalableger von Redaktionen vernichtet mit der Begründung der immer kürzer werdenden Kommunikationswege. Mit Blick auf den «Blick» habe ich jene Entscheidung schlecht in Erinnerung. Denn mit ihr entfiel auch die Möglichkeit, mal kurz am Stammtisch in Arbon vorbeizuschauen und dort Gerüchte aufzuschnappen oder bei der Fahrt durch die Agglo aus dem Fenster eine mögliche Story zu wittern. Die Aktionäre haben damals wohl gejubelt, die Qualität und die Vielfalt gesteigert hat es mit Sicherheit nicht. 

Klar: Die Inserateeinnahmen gehen zurück, Handlungsbedarf ist da. Was erstaunt, ist die Einfallslosigkeit, die in der Art der Reaktion liegt. Allen Ernstes streichen Regionalzeitungen genau dort zusammen, wo nachweislich ihre einzige Daseinsberechtigung liegt. Mutiger wäre es, nach dem Motto «All business is local – jetzt erst recht» eine konsequent dezentrale Strategie zu fahren und die eigenen Journalisten wieder dorthin zu setzen, wo die wichtigen Leute sind: Die Leserinnen und Leser. Das würde zu einem besseren Produkt und viel Goodwill führen.

Wie man das finanziert? Vielleicht, indem man das eine oder andere digitale Experiment weniger ausführt. Die entstehen ohnehin oft genug kopflos und ohne echte Idee und einfach, weil «die anderen» es auch tun. Da wird Geld verbrannt ohne nachhaltiges Konzept. Jeder Erstsemestler an der HSG würde einem Verlag raten, sich auf das Kernprodukt zu konzentrieren. Denn solange man sich eine gedruckte Zeitung leistet, sollte man die ganz einfach möglichst gut machen. Es sei denn natürlich, man hat diesen Kampf ohnehin schon aufgegeben.

 

Stefan Millius ist geschäftsführender Partner der Kommunikationsagentur insomnia GmbH in St.Gallen.

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Kommentare

  • Esther Jost, 05.07.2017 07:48 Uhr
    Bravo! Da ist alles gesagt, was sich Verleger auch in anderen Regionen hinter die Ohren schreiben sollten. Watson und Co. lassen grüssen.
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