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Köppels historischer Moment

Klaus J. Stöhlker

Für einen Augenblick wurde im Nationalrat wieder Politik gemacht. Anstelle politischer Lobbyisten, die im Bundeshaus den Alltag bestimmen, trat der Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel ans Pult und beschuldigte Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Sie wolle das Schweizer Volk enteignen zugunsten afrikanischer Zuwanderer. Sie setze sich über die Verfassung hinweg und gebe dem Druck der EU-Behörden in Brüssel nach. Sommaruga flüchtete aus dem Saal, zögerlich gefolgt von SP-Nationalräten und einigen bürgerlichen Parlamentariern.

Es war Köppels historischer Moment, zeigte in diesem Augenblick doch der in Zürich glanzvoll gewählte Jungparlamentarier, dass im Rat wieder diskutiert wird. Es war aber mehr als das: Zum Schrecken vieler reihte sich die Schweiz damit in die politische Normalität unserer Nachbarstaaten ein, wo knochenhart diskutiert und gestritten wird. Keinem Minister würde es dort einfallen, die politische Bühne fluchtartig zu verlassen.

Es war auch der Beginn des Übergangs von einer Blocher-SVP zu einer Köppel-SVP. Die Partei der oft grobschlächtigen Polterer verwandelte sich in diesem Augenblick, ohne ihre Position zu verändern, in die Partei scharfzüngiger bürgerlicher Intellektueller. Von nun wird man sich nicht mehr fragen «Was sagt Blocher?», sondern «Was sagt Köppel?».

Untergräbt Roger Köppel das Vertrauen in die Politik, wie FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann es formulierte? Nein, das Vertrauen in eine seit Jahren dominierende Scheinpolitik ist schon lange in weiten Kreisen des Volkes verloren gegangen. Köppel, das zeigen sein Wahlergebnis und die übervollen Auditorien, wo er spricht, bringt das Vertrauen in die Politik wieder zurück. Man muss ihm nicht zustimmen, aber man darf der Diskussion nicht ausweichen.

Schürt er bewusst die Wut in der Bevölkerung, wie Portmann, der Zürcher Banker in liechtensteinischen Diensten meint? Nein, denn längst ist der bewusste und liberale Teil der Schweizer Bevölkerung wütend über den Missbrauch, der in Bern mit dem Volkswillen getrieben wird. Simonetta Sommaruga ist aus dem Nationalrats-Saal geflüchtet. Jetzt kann man sich vorstellen, wie sie und ihre Kollegen im Bundesrat mit ausländischen Spitzenpolitikern verhandeln. Kniend wohl.

Die Schweiz hat in Köppels historischem Moment ein wenig ihre Unschuld als Land der Seligen und Gerechten verloren. Auch dafür dürfen wir dankbar sein, denn die globale Normalität holt uns ein, rascher als sich viele es wünschen.

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Kommentare

  • Jürg schärer, 02.05.2016 14:56 Uhr
    Der Leser merkt die Absicht und ist verstimmt: die Stöhlkersche Raffinesse auf SVP-Klartext zurückformuliert heisst nichts Anderes als Sommaruga-bashing und hochjubeln eines parteiintern ernannten Kronprinzen. Eine nüchterne Beurteilung der Aussagen Köppels wäre ja auch allzu anstrengend und widerspräche den dahinterstehenden geschäftlichen Interessen Stöhlkers.
  • Karl Stauffer-Jost, 01.05.2016 08:53 Uhr
    @Wiegand: Die Frage, was Stöhlker sagt, war schon immer müssig. Es gibt Menschen, die quasi von Berufs wegen immer mehr sagen, als sie tatsächlich zu sagen haben. Das ist sozusagen die Berufsvoraussetzung.
  • Alphons Wiegand, 30.04.2016 18:08 Uhr
    "Von nun wird man sich nicht mehr fragen «Was sagt Blocher?», sondern «Was sagt Köppel?»." Aber keiner wird fragen "Was sagt Stöhlker?"
  • Peter Kümmerli, 28.04.2016 08:22 Uhr
    Wes Brot ich ess, des Lied ich sing! Mich wundert Ihr Kommentar nicht, Herr Stöhlker. Er zeigt einfach auf, dass Sie bis heute die feinen kulturellen Unterschiede im Vergleich zu den umliegenden Ländern (Parlamenten) nicht verstanden haben. Anstand ist eine Schweizer Tugend und sollte auch von einem Köppel im Parlament gelebt werden.
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