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Lügenmedien und Fake News

Roger Schawinski

Für Verschwörungstheoretiker sind die Medien von überragender Bedeutung. Nur wenn ihre Thesen dort verbreitet werden, haben sie eine Chance, von einer grossen Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen zu werden. Doch bei den etablierten Medien, die journalistischen Kriterien folgen, finden solche Inhalte nur in Ausnahmefällen Beachtung, weil sie nicht auf Recherchen mit seriösen Quellen beruhen. Deshalb werden diese Medien vor allem von rechtsradikalen Verschwörungstheoretikern generell als «Lügenmedien» verunglimpft. Unter diesem Begriff verstehen sie eine Verschwörung aller traditionellen Medien gegen sie, die sie deshalb mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen müssen.

Der Begriff «Lügenmedien» war bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland gebräuchlich. Es waren dann aber die Nazis, die ihn in ihren Propagandaorganen einsetzten. Adolf Hitler benutzte diesen Begriff im Jahr 1922 für die damals noch existierende marxistische Presse. Die Kommentierung der Kristallnacht im Jahr 1938 durch ausländische Medien wurde von der NSDAP als Reaktionen der «Hetz- und Lügenpresse» bezeichnet, die auf diese Weise Deutschland verleumden wolle. Auch Propagandaminister Joseph Goebbels benutzte den Begriff Lügenpresse zur Charakterisierung der Medien der späteren Kriegsgegner USA, Frankreich und Grossbritannien.

Nach dem Krieg war der Begriff Lügenpresse auch ein Teil der Sprachregelung der DDR, wo die «kapitalistische Lügenpresse» vor allem in der TV-Sendung «Schwarzer Kanal» laufend verunglimpft wurde. Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer erlebte der Begriff Lügenpresse in neonazistischen und rechts-radikalen Gruppen Ostdeutschlands eine Auferstehung. So schloss die NPD 2009 und 2010 westliche Medien von ihren Parteitagen aus, die sie generell als «Lügenpresse» bezeichneten. Seit Oktober 2014 wurde das Schlagwort der «Lügenpresse» immer wieder an Demonstrationen der Rechtsaussenbewegung Pegida skandiert. Teilnehmer dieser Veranstaltungen werden von den Rednern aufgefordert, nicht mit den anwesenden Medienvertretern zu sprechen, weil diese ihre Aussagen verfälschen würden. In der Folge gab es auch bei der aus der Pegida herausgewachsenen Rechtsaussenpartei AfD regelmässig Sprechchöre gegen die «Lügenpresse» und ihre Vertreter. 

Im Januar 2015 wurde «Lügenpresse» zum «Unwort des Jahres 2014» gewählt. In einem «Spiegel»-Essay im Januar 2015 beschrieb der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen den Begriff der «Lügenpresse» als eine verschwörungstheoretische Radikalisierung in Form von Medienverdrossenheit. Diese werde vorwiegend im Internet, aber auch im Sachbuchmarkt geschürt.

Diese Angriffe auf die etablierten Medien zeigten Wirkung. Ende 2015 waren nicht weniger als 39 Prozent der befragten Deutschen der Meinung, am Vorwurf der «Lügenpresse» sei etwas dran. So würden Medien wesentliche Inhalte verheimlichen und Sachverhalte verdrehen. In Ostdeutschland erreichte die Zustimmung zu diesen Behauptungen sogar 44 Prozent, wie in einer Allensbach-Studie festgehalten wurde.

Auch die offen auftretenden Verschwörungstheoretiker stützen sich auf diese These. Der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen verwendet das Bild einer «unsichtbaren Hand», durch welche die öffentliche Diskussion gelenkt wird. So werde «die Wahrheit» über den Anschlag vom 11. September durch eine stabsmässig organisierte Repression verdrängt, mit der die Redaktionen der Mainstream-Medien bei ihrer Themenwahl kontrolliert und manipuliert würden. Als «logische Antwort» auf die Frage, wer zu einer solchen logistisch komplexen Aktion fähig sei, nennt er nicht bloss den CIA, sondern auch «israelische Interessen», die vor allem bei der Springer-Presse gewahrt werden, weil dort die von Verlagsgründer Axel Springer formulierten journalistischen Leitsätze in Bezug auf die grundsätzlich positive Haltung seiner Medien gegenüber den USA und Israel noch immer gelten würden. Ken Jebsen erklärt in seinem Text über «Die innere Pressefreiheit»: «Wir, die Bevölkerung, können uns auf die PRESSE in einem Land der BRD nur noch bedingt verlassen. Das, was wir mal unter FREIER PRESSE verstanden haben, existiert nur noch in Ausnahmefällen oder im Netz.»

Von extremen Kritikern der Medienlandschaft wird der Begriff «Lügenpresse» manchmal zu «Lücken-presse» verballhornt. Auch Daniele Ganser oder Mathias Bröckers verwenden regelmässig den Begriff «Lückenmedien». So ruft Ganser den Zuhörern seiner Vorträge regelmässig zu: «Euer Eindruck stimmt, wir werden angelogen, von den Behörden, von den Medien.» 

9783038103271

 

Dieser Text stammt aus Roger Schawinskis neuestem Buch «Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt», 29 Franken, NZZ Libro.


Roger Schawinski ist Medienpionier, und er betreibt die Radiosender Radio 1 und Planet 105. Daneben moderiert er im Schweizer Fernsehen die Sendung «Schawinski».

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

 

 

 

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Kommentare

  • Peter Fehlmann, 02.06.2018 11:26 Uhr
    Was will Schawinski mit seinem Buch erreichen? Scheinbar existieren für ihn ausserhalb des Medien-Mainstreams nur Verschwörungstheoretiker, welche er laufend zu diffamieren versucht. Selber ist er in der Matrix der (NATO-)Medieneinheitsbreipropaganda gefangen, welche ihm scheinbar eine differenzierte Sichtweise der Realitäten nicht zulässt. Mit seinem Buch wird er kaum erreichen, dass er all die selbständig denkenden „Verschwörungstheoretiker“ von ihren persönlichen, auf Fakten beruhenden, Meinungen und Überzeugungen abringen und somit kaum zur propagandistischen Medienplattform bekehren kann...
  • David Gaugler, 01.06.2018 01:05 Uhr
    Danke für die Promotion auf persoenlich.com - kaufe das Buch von Roger Schwawinski trotzdem nicht, auch wenn ich selber Verschwörungen auch Habakuk finde.
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