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Lukrativ und risikolos

Benedikt Weibel

Werden Sie Zukunftsforscherin oder Zukunftsforscher. Kein Beruf verhilft Ihnen einfacher zu Popularität und Einkommen. Ohne jedes Risiko. Der Beruf steht für das, was gemäss den Zukunftsforscherinnen und Zukunftsforschern auf uns zukommt: die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Freizeit.

Zukunftsforscherinnen und Zukunftsforscher bereisen den ganzen Erdball und lassen sich inspirieren. Mindestens einmal pro Jahr residieren Sie im Silicon Valley. In den Hotspots dieser Welt spüren Sie nach den aufkommenden Trends und Gegentrends.

Mithilfe Ihrer ungezügelten Fantasie zeichnen Sie ein möglichst präzises Bild der Welt in fünfzig Jahren. Ihre Botschaft verkünden Sie mit der Gewissheit eines Propheten. Wie alt werden die Menschen, die in fünfzig Jahren geboren werden? «200 Jahre.» Das Geniale an diesem Geschäftsmodell ist die Unmöglichkeit jeglicher Erfolgskontrolle.

Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt, Prognosen interessierten ihn nicht. Sein Hobby sei die Überprüfung von Vorhersagen, die in der Vergangenheit gemacht worden seien. Er habe kaum je eine gefunden, die zugetroffen habe. Angesichts der Hochkonjunktur der Kristallkugelleserei habe ich mich daran erinnert und den «Zukunftsschock» von Alvin Toffler zur Hand genommen.

Das Buch, 1970 erschienen, war ein Weltseller. Toffler zeichnet das Bild einer neuen Zeit, die er Superindustrialisierung nennt. Sie bricht mit einer noch nie gesehenen Beschleunigung über uns herein. Seine Sprache hat etwas Apokalyptisches: «Keine veränderte Gesellschaft, keine überlebensgrosse Version unserer gegenwärtigen Gesellschaft, sondern eine neue Gesellschaft. Wenn wir sie nicht verstehen, werden wir dem Zukunftsschock erliegen.» Die Menschen werden entwurzelt, ziehen in die

Städte, die bald zu klein werden, weshalb man beginnt, Unterwasserstädte im Meer zu bauen. Dort werden Menschen mit implantierten Kiemen leben. Die Invasion der Meere wird noch vor dem Jahr 2000 stattfinden. Dannzumal wird der Mensch auch in der Lage sein, das Klima zu kontrollieren. «Damit wird dem Menschen ein Werkzeug in die Hand gegeben, das unermesslichen Einfluss auf die Landwirtschaft, das Transport- und Kommunikationswesen, auf Freizeitgestaltung und Erholung haben könnte.»

Hierarchische Organisationen brechen zusammen und werden durch «Adhokratien» ersetzt, welche die Bürokratie zum Verschwinden bringen. Nichts ist davon je Wirklichkeit geworden. Erstaunlich ist, wie sich die Terminologie bis heute gehalten hat. Die Superindustrialisierung heisst jetzt Industrie 4.0. Das Verschwinden der Hierarchie steht immer noch auf dem Programm, es heisst nun «Holakratie». Folgende Vorhersagen habe ich dieser Tage gelesen: «In fünf Jahren wird man kaum mehr Hosen kaufen können, die nicht vernetzt sind.» «In zehn Jahren sind die Bildschirme aus unserem Alltag verschwunden.» Ich werde mich daran erinnern.

Benedikt Weibel ist Professor für Praktisches Management an der Universität Bern und war langjähriger SBB-Chef. Sein letztes Buch «Simplicity – Die Kunst, die Komplexität zu r eduzieren» (NZZ Verlag) ist ein Bestseller.

 

 

 

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Kommentare

  • Nico Herger, 19.07.2016 08:53 Uhr
    Genau. Und wer wirft solchen "Instituten" und ihren "Forschern" die Millionen nach?
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