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Reichweite bolzen und Inhalte verschenken

René Zeyer

Die News-Produzenten bieten nicht nur selbst auf ihren Webseiten ihre Leistungen gratis an, sondern stellen sie zudem auf grosse Plattformen wie Google, Facebook, Tumblr, Pinterest und so weiter. «Distributed Content» ist der Fachausdruck dafür. Die Idee dahinter ist, dass der Hersteller an seiner Leistung zwar nichts verdient, damit aber Aufmerksamkeit erzielt und der Traffic gesteigert wird, Werbeinnahmen fallen erst noch an. Und schliesslich fände der User auf diesem Umweg zur eigenen Webseite. Dort begeistert er sich fürs Angebot und schliesst ein Abonnement ab, kauft endlich.

Im deutschen Fachblatt «Meedia» wird am Beispiel des englischen «Economist» erklärt, welche Probleme dieses Geschäftsmodell hat. Das 1843 gegründet Wochenblatt mit einer Auflage von rund 1,5 Millionen ist zweifellos eine der besten Zeitschriften der Welt. Zusammen mit der «Financial Times» und dem «Wall Street Journal» betreibt es einen Journalismus, zu dem alles, was auf Deutsch erscheint, nur mit offenem Mund hinaufblicken kann: recherchieren, analysieren, einordnen, interpretieren. Schon Karl Marx war begeistert vom Blatt. So ist das bis heute, die Berichterstattung ist meistens unaufgeregt, immer uneitel; die Artikel sind nicht gezeichnet, denn es geht um den Inhalt – nicht um den Autor.

Der «Economist» hat auch ein Social Media Team, das dafür sorgen soll, dass die Reichweite deutlich gesteigert wird. Denn selbst für den «Economist» ist die Anzahl der Visitors auf der eigenen Webseite ein Klacks im Vergleich zu den beiden Alphatieren Google oder Facebook. Im globalen Ranking oszilliert sie um Platz 1800. Wieso also nicht «Distributed Content» versuchen, das Einspeisen eigener Werke auf die grössten Plattformen der Welt.

Dabei gibt es aber zwei Probleme. Das ist so, als ob der Detailhändler sein Jogurt nicht nur gratis weggibt, sondern die Anpreisung dieses Schnäppchens einem anderen überliesse, es ins Regal eines Konkurrenten stellte. Und von den Algorithmen, die den Newsfeed steuern, hängt es ab, ob gerade dieser Jogurt angepriesen und gefunden wird – oder ein anderer. Zweitens erbringen weder Google noch Facebook ihre Dienstleistungen gratis. Sondern schöpfen die wichtigste Währung der Welt – Daten – ab und kassieren an Ads, also Werbung. Dazu nur eine Zahl: Google und Facebook schneiden sich zusammen weltweit rund 80 Prozent vom Kuchen der gesamten Online-Werbung ab.

Als Staatsgeheimnis werden von den meisten Social Media Managern zwei entscheidende Zahlen behandelt: Wie viele Reaktionen gibt es durch ihre Tätigkeit auf den «Call to Action», also im Fall von Medien das Bezahlen für Content? Und was kostet das pro neu generierte Einnahme? Die für Social Media Mitverantwortliche beim «Economist», Denise Law, kommt zur Schlussfolgerung: «Wir brauchen eine gesunde Balance zwischen dem Erreichen von mehr Lesern bei Plattformen, über die wir null Kontrolle haben und dem Zurückbringen von Lesern auf Plattformen, über die wir Kontrolle haben, also unsere Apps und Website.»

Guter Ansatz, nur: welche Kontrolle? Auch der «Economist» eiert um eine Bezahlschranke herum. Auch er bietet Gratislektüre, distribuiert via Newsfeeds, verlangt lediglich eine Registrierung, um 3 Artikel wöchentlich gratis konsumieren zu dürfen, und ein Abonnement für 12 Wochen kostet 30 Franken. Sicherlich gut investiertes Geld, nur: Wieso überhaupt etwas zahlen, wenn man sich die meisten Inhalte auch gratis besorgen kann? Gerade der «Economist» sollte wissen: Wer das Resultat einer Leistung gratis weggibt, geht pleite.

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