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Rutishauser und die Köppel-Methode

Roger Schawinski

In einer Mail legte mir Kulturredaktor Andreas Tobler drei Beispiele für angeblich unverändert aus Wikipedia übernommene Formulierungen vor und setzte mir eine Deadline von fünf Stunden. Es war Montag, der bei mir mit einer Fernseh- und einer Radiosendung ziemlich ausgefüllt ist. Trotzdem antwortete ich innerhalb des gestellten Ultimatums. Da ich zusätzlich erfuhr, dass Tobler ein PDF des Buches von einem anderen Tagi-Redaktor erhalten hatte, dem ich es vertraulich geschickt hatte, und dass man die festgelegte Sperrfrist brechen wollte, kontaktierte ich den Chefredaktor. In einer Mail sagte mir Tagi-Chefredaktor Arthur Rutishauser zu, dass dies nicht geschehen werde und «meine besten Argumente» im Artikel aufgeführt würden. Dies beruhigte mich. Ich wies Arthur aber darauf hin, dass ich dies nur tun könne, wenn ich die gegen mich gerichteten Vorwürfe kennen würde. Doch trotz eines Nachhakens wurde mir dies verweigert. So erschien am folgenden Montag der Artikel, in den man einige willkürlich ausgewählte Zitate aus meiner ersten Mail einfügte, die ich nicht für die Publikation freigegeben hatte. Den gross abgedruckten «Beweis» für mein Vergehen – eine konkrete Textstelle – hatte man mir nicht vorgelegt. Auch wusste ich nicht, dass man mein journa- listisches Buch unsinnigerweise mit einer von der ETH abgelehnten Diplomarbeit von Doris Fiala vergleichen würde.

Darauf schlug ich Rutishauser vor, dass ich die Sache in einem längeren Gespräch bei Radio 1 mit dem Autor ausdiskutieren möchte. Doch dies wurde mit dem seltsamen Hinweis abgelehnt, dass es dem Tagi «nur um die Sache und nicht um die Person» gehe – und dies, nachdem mehrfach knallhart auf meine Person («Die Schawinski-Methode», «Schawinski (mit Bild) auf Seite 1: Betrug am Leser») gezielt worden war. Angeboten wurde mir nun, mit 4500 Zeichen zu antworten, was ich mit dem Hinweis ablehnte, dies sei die Köppel-Methode: zuerst feste druff, möglichst knallig. Anschliessend könne sich der Verunglimpfte wehren, um gleichzeitig ein Maximum an Aufmerksamkeit und zwei Artikel für den Preis von einem zu erhalten.

Die Kampagne wurde Tag für Tag weitergeführt, ohne dass man auch nur mit einem Wort auf den Inhalt oder die Qualität des Buches einging. Und dies bei einem Buch, das der Spiegel zum Kernstück einer zehnseitigen Titelgeschichte zum Thema Narzissmus machte. Beim Tagi hatte man aber eine andere Agenda. Dort rief man einen Lektor eines deutschen Wissenschaftsverlags und einen Berliner Experten für die Prüfung von Dissertationen an, damit sie aufgrund der in ihrem Fachbereich geltenden Regeln knallige Sätze absondern sollten. So äusserten sie sich sogar zu konkreten Textstellen und kamen zu den von den Tagi-Leuten erhofften grotesken Urteilen, obwohl beide keine Zeile meines Buchs gelesen hatten. Etwa wurde als definitiver Beweis für meine Verfehlungen vom Tagi-Redaktor eine Passage ange- sprochen, bei der ich nicht erwähnt hätte, dass sich eine von mir mit Zitat präsentierte Darstellung aus dem Spiegel auf eine Quelle in Newsweek bezog, was ich schändlicherweise nicht offengelegt hätte. Nun sind aber auf Seite 178 meines Buchs die beiden Quellen Newsweek und Spiegel aufgeführt, was jeder Leser überprüfen kann.

Als ich dies Arthur Rutishauser vorlegte, bot er mir eine Carte blanche an, was ich ebenfalls ablehnte. Ich wollte dem Tagi nicht die Gelegenheit geben, sich das Mäntelchen der Fairness umzulegen. Denn fair war in dieser Sache gar nichts. Und als andere Zeitungen nicht auf die Tagi-Kampagne eingingen, weil alle Journalisten aus täglicher Erfahrung die Substanzlosigkeit der gegen mich vorgebrachten Argumente wegen der Verwendung von Wikipedia als Quelle für allgemein zugängliche Daten kennen, steigerte der Tagi seine Anschuldigungen immer weiter.

Weshalb erzähle ich dies hier? Weil ich glaube, dass sich hier eine bedenkliche Tendenz zur Skandalisierung in einer Branche zeigt, in der durch sklerotische Auflagen, ein wegschmelzendes Inserateaufkommen und ständig weiter ausgedünnte Redaktionen seriöse journalistische Kriterien locker-flockig über Bord geworfen werden. Dass diese Verkümmerung bei einer Zeitung wie dem «Tages-Anzeiger» bis in die behäbige Kulturredaktion stattfindet, ist ein Beweis dafür, dass die von Abbau- und Entlassungsängsten gepeinigten Redaktoren nun selbst primitivste journalistische Regeln eiskalt verletzen, um sich ihre armseligen «fifteen minutes of fame» zu sichern. Und wenn man ihnen dann ein offenes Gespräch anbietet, in dem sie ihre «besten Argumente» vorbringen können, dann kneifen sie. Das ist ziemlich kümmerlich, finde ich.

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Kommentare

  • Ernst Egger, 22.07.2016 16:55 Uhr
    Interessant ist doch wie unseriös der Tagi arbeitet.
  • Willi Metzer, 22.07.2016 11:43 Uhr
    Die ständigen Beleidigungen und Häme gegenüber Herr Schawinski finde ich nur noch langweilig. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Thema seines Buches finde ich aber schon faszinierend, dass Herr Schawinski davon auszugehen scheint, das Ganze Hickhack habe, abgesehen von ihm selbst, auch für den Rest der Welt eine grosse Bedeutung.
  • Dieter Widmer, 22.07.2016 10:44 Uhr
    Roger Schawinski - wie er leibt und lebt, im Austeilen stark im Einstecken schwach. Er ist kritikunfähig und - eben - eine Primadonna.
  • Karl Wild, 22.07.2016 09:20 Uhr
    Lächerliches Gejammer eines alternden Gockels. Basta.
  • Nico Herger, 21.07.2016 19:22 Uhr
    Da wäre noch die Schawinski-Methode, seit Jahrzehnten erprobt, aber zunehmend ohne Publikum.
  • Alphons Wiegand, 21.07.2016 13:38 Uhr
    Viel Lärm um ein Buch, das schon jetzt ein Restseller ist.
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