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Von der Spreu und vom Weizen

Andrea Masüger

Es wird wieder einmal auf die grossen Verlage eingeprügelt. Wie so oft sind die Prügler nicht irgendwelche Politiker oder Wirtschaftsbosse, nein, es sind Journalisten. Die Branche zeigt ihren traditionellen Hang zur Selbstzerfleischung. Das Medienpaket vom 13. Februar wird in bester journalistischer Analysearbeit auf zwei, drei Schlagworte reduziert. Eines davon sind die schwerreichen Verleger, welche man mit Steuermitteln nicht noch reicher machen soll.

Journalisten seien dazu da, in der Informationswelt die Spreu vom Weizen zu trennen, sagte einmal ein Bündner Regierungsrat. Nur würden diese dann meist die Spreu publizieren.

Um Spreu geht es auch in der Causa Marc Walder. Hier soll nun eine (ziemlich interpretationsbedürftige) Weisung des Ringier-Chefs an seine Redaktionen beweisen, dass das Medienpaket zur Staatsabhängigkeit führen wird. Das zweite Märchen rund um diese Abstimmung soll zur Tatsache werden, nämlich jenes, wonach staatliche Gelder die Medien zu willfährigen Schubiacks der Behörden umformen werden.

Worum geht es in der Ringier-Sache? Ein Verleger trägt als Herausgeber die oberste publizistische Verantwortung für eine Publikation. Es kann und darf ihm nicht egal sein, wie eine Redaktion wichtige Themen angeht. Es ist deshalb vollkommen klar und branchenüblich, dass sich er oder sein CEO mit den Redaktionen periodisch über die grossen publizistischen Linien austauscht. Bei einer Jahrhundertkrise wie Corona wäre es sogar fahrlässig, dies nicht zu tun.

Bei Ringier geschieht dies anscheinend relativ direkt (wobei Walder in Interviews nun erklärt, wie das gemeint war), bei anderen Verlagen über Kommissionen und Gremien: Peter Wanners CH-Media verfügt über einen publizistischen Ausschuss, Pietro Supinos Tamedia hat ein Qualitätssicherungsgremium installiert. In allen Fällen sind die Verleger stark involviert und setzen ihre Duftmarken.

Doch wie ist es bei den Medien, welche Walder nun ans Kreuz nageln? Beim «Nebelspalter» wie bei der «Weltwoche» sind die Verleger gleichzeitig auch Chefredaktoren. Das ist praktisch, denn die publizistische Lufthoheit liegt hier in einer Hand vereint. L’état, c’est moi. Da braucht es gar keine zwischengeschalteten Gremien, die wohl nur stören würden. Die NZZ, die so sehr auf die Pauke der Unabhängigkeit haut, beschäftigte bis vor noch nicht allzu langer Zeit einen FDP-Nationalrat als Inlandchef.

Es mag offenbleiben, welche Art der Redaktionsführung die innere Pressefreiheit besser gewährleistet. Aber die Kritiker, die aus Verhältnissen stammen, die sich von jenen bei Ringier nur in der praktischen Ausformung unterscheiden, sprechen mit gespaltener Zunge. Sie sind auch Heuchler und Pharisäer. Denn die meisten ihrer Brötchengeber beziehen schon heute Medienförderung über die Posttaxenverbilligung. Nur weiss das kaum jemand. Und einige davon sagen, sie würden nach einem Ja am 13. Februar auch die neuen Hilfen beziehen, weil der Markt sonst verzerrt würde. Diese Dialektik ist nobelpreiswürdig.

Doch der Zeitpunkt, an dem der Walder-«Skandal» aufpoppte, ist natürlich nicht zufällig gewählt. Es geht darum, dem Medienpaket den Todesstoss zu versetzen, wie Roger Köppel bereits frohlockend feststellte. Dabei dreht sich alles nur um die Grossverlage, die sich anscheinend spinnefeind sind (wie anders lassen sich die NZZ-Attacken gegen Tamedia und Ringier erklären?). Dass es bei der Medienförderung zum überwiegenden Teil um kleine und mittlere Verlage geht, wird in der egozentrischen Sichtweise des Zürcher Medienplatzes komplett ausgeblendet.

Am Schluss stellt sich aber die Frage, ob das alles das Publikum überhaupt interessiert, ob es wirklich relevant ist und ob es nicht, wie oft, blosse mediale Nabelschau bleiben wird. Man kann nämlich davon ausgehen, dass eine grosse Mehrheit der «Blick»-Leserinnen und -Leser von der Corona-Berichterstattung ihres Blattes mehr überzeugt war als von jener Fertigmacher-Politik, welche die «Bild» in Deutschland gegenüber der Bundesregierung betrieb.


 

Andrea Masüger ist Publizist, Verwaltungsrat von Somedia und Mitglied des Präsidiums des Verlegerverbandes Schweizer Medien (VSM).

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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Kommentare

  • Rudolf Bolli, 05.01.2022 15:28 Uhr
    Wie doch die Zeit vergeht. Da steht: "Die NZZ . . . beschäftigte bis vor noch nicht allzu langer Zeit einen FDP-Nationalrat als Inlandchef." Das war bis 1990 der Fall. Und die NZZ hatte sich nicht einen Nationalrat als Inlandchef gesucht, sondern dem NZZ-Inlandchef war von den Wählern das Nationalratsmandat zugesprochen worden. Wie es denn zu jener Zeit nicht unüblich war, dass Journalisten im Bund und in den Kantonen als Parlamentarier wirkten. Mir fallen für die Zeit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Namen von sieben weiteren NZZ-Redaktoren ein (mich inbegriffen), nebst einer ansehnlichen Liste von Journalisten anderer Zeitungen, vom Reporter bis zum Chefredaktor, die Parlamentsmandate hatte. Das ganze politische Spektrum der Zeitungen war dabei vertreten. Das entsprach einer alten Tradition. Und nun die entscheidende Frage: War es denn deswegen in der Schweiz schlecht bestellt um die Pressefreiheit, oder war "Wächteramt der Presse" ein unbekannter Begriff?
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