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Werbung kreiert höllische Jobs

Edith Hollenstein

Der Google-Konzern will dieses Jahr 10'000 Mitarbeiter darauf ansetzen, dass bei seinem Videoportal Youtube keine extremistischen oder nicht kindergerechten Inhalte mehr veröffentlicht werden können. Solche Inhalte sind keine Einzelfälle. Anfang Dezember hatte Youtube innert Wochenfrist 150'000 Videos von Kindern entfernt (persoenlich.com berichtete). Allmählich also zeigt sich, was die Digitalisierung für neue Jobs schafft. Sie bringt uns vorerst nicht wie befürchtet viel weniger Arbeit, jedoch andere.

Man sollte sich hierbei aber ganz genau vorstellen, was das heisst. Sogenannte Content Moderatoren sitzen den ganzen Tag an einem Bildschirm und sichten dabei denjenigen Content, den die Algorithmen nicht eindeutig als irreführend, manipulativ, belästigend oder bedrohlich erkennen können. Also Bilder von Gewalt, Missbrauch, harter Pornografie und sogar noch Schlimmerem – wie die Folge «CTRL» der Netflix-Serie «Darknet» zeigt.

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Wie solche Lösch-Teams arbeiten, hatte auch das «Süddeutsche Magazin» am Beispiel von Mitarbeitern der für Facebook tätigen Bertelsmann-Firma Arvato mehrfach thematisiert. Daraufhin meldete sich eine frühere Arvato-Mitarbeiterin. Was sie in ihrem Gastbeitag «Drei Monate Hölle» vom 5. Januar schreibt, ist erschreckend.

Burcu Gültekin Punsmann berichtet darüber, wie sie dieser Job verändert hat. «Die brutalsten Dinge, wie etwa die Schiesserei von Las Vegas, erschienen mir plötzlich völlig normal. Und im Alltag wurde ich übertrieben wachsam, ich sah überall Dinge, von denen ich dachte, dass sie meine siebenjährige Tochter gefährden könnten». Zu sehen, wie grausam und gnadenlos man gegenüber anderen sein könne, habe sie tief verstört. Kein Wunder. Burcu Gültekin Punsmann musste Bilder voller Blut oder verstümmelter Körper anschauen und Videos auf denen Kinder oder Tiere missbraucht oder gefoltert wurden. Oder «jede Menge» Enthauptungen – diese Videos seien unter den Content Moderatoren «am meisten gefürchtet». 

Youtube oder Facebook prüfen die Inhalte nicht, sie können von den Nutzern selber hochgeladen werden. Meldet jedoch ein Nutzer einen Beitrag als unpassend, wird vom System intern eine Meldung, respektive ein Ticket erstellt. 6,5 Millionen Tickets gebe es bei Facebook pro Woche, berichtete Burcu Gültekin Punsmann. «Dabei ist der Job des Content Moderators alles andere als einfach: Man analysiert Inhalte und setzt sie in einen Kontext; man entscheidet nicht einfach nur, ob ein Posting gelöscht oder behalten wird, sondern bewegt sich in einem komplizierten System aus möglichen Aktionen und Konsequenzen». Ein Moderator solle 1300 Meldungen am Tag abarbeiten, was einem nur wenige Sekunden Entscheidungszeit pro Fall lasse. «So wird aus einem intellektuell fordernden Prozess ein Automatismus, man reagiert mehr, als dass man entscheidet», schildert Burcu Gültekin Punsmann ihre Arbeit. Sie hat drei Monate im Facebook-Löschteam gearbeitet, dann aber wieder gekündigt.

So sieht sie aus, die Arbeitswelt 4.0: In den Bahnhöfen werden Toiletten vermehrt maschinell von Robotern geputzt. Für die virtuelle Müllhalde der Digitalen Revolution braucht es aber weiterhin menschliche Fähigkeiten. Die Löhne dieser Content-Moderatoren – «durchschnittlich 28 Jahre alt» und «vorwiegend mit Migrationshintergrund» – stammen von Geld, das Facebook und Youtube über den Verkauf von Werbung reinholen. Alphabet, der Mutterkonzern von Google erwirtschaftete im zweiten Quartal 2017 einen Umsatz von 26 Milliarden Dollar fast nur mit Werbung.

Diese Internetgiganten sollten darauf achten, ihre Content-Moderatoren nicht allzu schlecht zu behandeln. Gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entschädigung wären angebracht. Denn diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von den brutalen Bildern gezeichnet sein; ihr Leben lang. Und gleichzeitig sorgen sie dafür, dass das Umfeld auf Facebook oder Youtube fein und sauber genug ist für die Anzeigen grosser Werbekunden, die nach den Vorfällen in den letzten Monaten vermehrt auf Brand Safety bedacht sind.


Edith Hollenstein ist Redaktionsleiterin bei persoenlich.com.

 

 

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