26.03.2017

Tamedia

«Die Resultate erhalten wir innert Millisekunden»

Aus Big Data wird Fast Data: Tamedia hat mit «Live Audience Insights» ein System entwickelt, welches in Echtzeit riesige Datenmengen verarbeiten und ausspielen kann. Digital-Technologie-Chef Thomas Gresch sagt, weshalb Werbekunden ebenso von dieser Technologie profitieren wie «Tages-Anzeiger»-Leser.
Tamedia: «Die Resultate erhalten wir innert Millisekunden»
Thomas Gresch, CTO Digital Technology Services bei Tamedia: «Wir können unsere Benutzer vor falschen Anzeigen schützen.» (Bild: zVg.)
von Christian Beck

Herr Gresch*, Ihnen kommt es nicht nur auf die Grösse an, sondern auch auf die Geschwindigkeit.
Mir kommt es primär auf die Geschwindigkeit an. Der Fakt Big Data ist gegeben. Wir sind ein Medienunternehmen, und unsere Leser benutzen mit Millionen von Geräten täglich unsere Apps. Das ergibt zwangsläufig viele Daten. Die Werbekunden und Leser haben nun die Erwartung, dass eine Antwort schnell erfolgt. Aus diesem Grund muss unser System in der Lage sein, nicht nur mit grossen Daten umzugehen, sondern die Resultate auch innerhalb von wenigen Millisekunden zu liefern. Unsere Benutzer sind im Jetzt und erwarten auch, dass Reaktionen unmittelbar erfolgen.

Warum ist das von Ihnen entwickelte System «Tamedia Live Audience Insights» so schnell?
Weil es von Grund auf für diesen Zweck designt wurde. Wenn ich einen Flughafen baue, dann weiss ich, dass die Passagiere, die aus den Zügen und Taxis steigen, so schnell wie möglich beim Flugzeug sein wollen. Sekundär wird noch ein Shopping gebaut, um allfällige Wartezeiten zu überbrücken. Unser Prinzip war von Beginn weg: Wir wollen eine Realtime-Lösung entwickeln – und haben das auch geschafft.

Ihr «Flughafen» ist gebaut – was ist nun der Kernauftrag dieses Systems?
Der Kernauftrag ist, dass wir in der Lage sein müssen, die gesamten Daten von Tamedia in Echtzeit zu verarbeiten und unseren Benutzern mit diesen Daten einen Mehrwert liefern können. Zum Beispiel, dass wir Ad Fraud schneller entdecken können, dass die Werbung besser zugeschnitten ist oder auch bessere Artikel empfohlen werden.

Sie sammeln also Daten, bereiten diese auf und stellen diese wiederum allen Tamedia-Bereichen zur Verfügung. Wie würde dies am Beispiel «Tages-Anzeiger» konkret aussehen?
Nehmen wir an, ein Leser konsumierte gestern in der Tagi-App im Laufe des Tages drei Artikel, zum letzten Mal um 17 Uhr. Wenn dieser Leser heute die App erneut öffnet, sind wir künftig in der Lage, eine Empfehlung abzugeben im Sinne von «Während Sie weg waren». Aufgrund des Verlaufs eines Lesers können wir berechnen, welche Artikel für genau diesen Leser von Interesse sind. Wir schauen dabei tief in den Textaufbau eines Artikels. Der Leser hat somit den Vorteil, relevantere Artikel vorgeschlagen zu bekommen, als dies bei «Meistgelesen» der Fall wäre. Und damit können wir die Gewichtung der Redaktion, die immer genauso wichtig sein wird, ergänzen.

Und für das braucht es ein schnelles System?
Ja, wenn ein Artikel vor zwei Minuten aufgeschaltet wurde, müssen wir in Echtzeit wissen, wie beliebt dieser ist. Die Popularität hat durchaus einen Einfluss darauf, ob wir den Artikel dann auch weiterempfehlen. Wenn wir erst eine Stunde später wissen, dass wir diesen Artikel hätten empfehlen sollen, dann ist es schlicht zu spät.

Spielt mein derzeitiger geografischer Standort dabei auch eine Rolle?
Über die Titel sind häufig geographische Einschränkungen gegeben – aber aus dem System im Moment nicht, das wäre theoretisch aber möglich.

Schnelle Daten sind auch in der Werbung gefragt. Können Sie uns ein Beispiel nennen, was das Programm hier beeinflussen kann?
Wenn ich auf Tutti.ch einen Kinderwagen kaufe, will ich danach nicht monatelang mit weiteren Kinderwagen-Werbungen bombardiert werden. Wenn ich stattdessen Windelwerbung zu sehen kriege, dann bringt mir das höchstwahrscheinlich einen Mehrwert, weil ich relevantere Inhalte kriege. Und das geschieht hier auch in Echtzeit. Der Ad-Server nutzt dabei auch die Daten von «Tamedia Live Audience Insights».

Und Sie können auch garantieren, dass Werbung nicht im Umfeld von extremistischen Youtube-Videos landet, wie letzte Woche bekannt wurde?
Hier kommt der ganz grosse Unterschied zwischen Tamedia als Medienhaus und den Tech-Giganten zum Vorschein: Tamedia produziert und kontrolliert ihre Inhalte und garantiert die Qualität. Die Technologie-Giganten aggregieren nur den Content anderer Leute: Das führt unweigerlich dazu, dass Werbung auch im Zusammenhang mit Fake News, anrüchigem oder gar verbotenem Kontext ausgespielt wird. Unser System kann den Kontext der Werbeauslieferung natürlich erkennen, aber die fundamentalen Probleme der Werbeangebote von Facebook und Google kennen wir dank unseren Qualitätsansprüchen und unserem geschlossenen Netzwerk gar nicht.

Und auch Ad Fraud kann eingedämmt werden, wie Sie erwähnt haben?
Auf unseren Marktplätzen bezeichnen wir die Kleininserate auch als Ads – sprich: Wenn jemand eine Wohnung auf Homegate ausschreibt oder ein iPhone auf Ricardo verkaufen will. Hier geht es darum, dass wir unsere Benutzer vor falschen Anzeigen schützen können. Wenn eine 6,5-Zimmer-Attika-Wohnung in Zürich für 1200 Franken ausgeschrieben wird, berechnet unser System die Wahrscheinlichkeit, wie realistisch ein solches Angebot ist. Das erspart viel Ärger und Umtriebe.

Wie schnell ist Tamedia im Vergleich zu Google?
Google Analytics gibt an, bis zu vier Stunden zu benötigen, um Daten zu verarbeiten. Andere eingekaufte Systeme brauchen dafür sogar ein, zwei Tage.

Sie wollen mir also weismachen, dass Tamedia besser ist Google?
Nein, aber «Tamedia Live Audience Insights» ist besser als jedes System, dass im Markt eingekauft werden kann. Google ist auch Realtime-fähig, aber Google stellt diese Fähigkeit dem Geschäftskunden nicht zur Verfügung, sondern nutzt es für die eigenen Produkte.

Schauen wir mal unter die «Motorhaube». Was steckt da drin?
Stellen Sie sich ein Förderband vor, an dem kleine Roboter stehen. Auf dem Förderband laufen die Daten vorbei und jeder Roboter nimmt sich ein Datenpaket, wertet dieses aus und legt es zurück aufs Band. Hinter dem System steckt eine ganz einfache Architektur, in welcher die Daten reinkommen, bearbeitet werden und nur Millisekunden später wieder ausgespielt werden. Wir basieren dabei unser System auf verschiedenen Open-Source-Technologien. Weiter stellen wir sicher, dass wir die schnellsten Programmiersprachen benutzen und testen jede einzelne Komponente, dass sie Millionen von Anfragen in kürzester Zeit verarbeiten kann. Das Mass der Dinge für uns sind dabei die Requests pro Sekunde und nicht die Datenmenge.

Sie sprechen hier ausschliesslich die Software an. Aber haben wir die Motorhaube eines Lamborghini geöffnet oder eher eines getunten Golfs?
Die Software ist eindeutig das Wichtigste. Ich darf fast nicht erwähnen, wie klein die Hardware ist, auf welcher unser ganzes System läuft. Die Hardware hätte vermutlich in einer Bananenschachtel Platz. Da das System aber zu 100 Prozent in der Cloud läuft, ist die physische Grösse schwer zu bestimmen.

Wie lange haben Sie an diesem System gearbeitet?
Wir sind seit anderthalb Jahren am Programmieren – mit ein bis zwei  Kollegen. Unsere Technologie ist dabei nur der Schlüssel zum eigentlichen Schatz. Und das sind die Daten, die wir zum Vorteil unserer Nutzer einsetzen wollen.

Und woher kommen die Daten?
Jeder Touch, jeder Klick, jeder neue Account – das sind alles Datenpunkte für uns. Wir halten uns dabei strikt an die Datenschutzgesetze. Bevor wir unsere Arbeit aufgenommen haben, haben wir die Datenschutzerklärungen innerhalb von Tamedia harmonisiert und das Einverständnis der einzelnen Nutzer eingeholt. Auf jeder Homepage hat es eine Datenschutzerklärung, und wenn ein Account eröffnet wird, müssen die AGBs akzeptiert werden. Unser Vorteil ist sicher, dass wir ausschliesslich dem Schweizer Datenschutzrecht unterstehen und nicht wie andere Anbieter Daten in anderen Ländern bearbeiten.


* Thomas Gresch ist CTO Digital. Der 42-Jährige arbeitet seit zwei Jahren bei Tamedia und bietet digitale Dienstleistungen innerhalb des Konzerns an. Zuvor leitete Gresch die digitale Entwicklung bei local.ch.



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