11.05.2016

Bandara

«Ein Produzent von Virtual-Reality-Inhalten ist ein Weltenbauer»

Das Start up Bandara taucht für Agenturen, Newsportale und andere Kunden in die virtuelle Welt ein. Gerade war das Trio für ein VR-Projekt in Tansania. Mitgründer Urs Langenegger spricht über die Herausforderungen beim Schnitt, die Bedeutung vom Ton und erklärt, wie man Betrachter in der virtuellen Realität navigiert.
Bandara: «Ein Produzent von Virtual-Reality-Inhalten ist ein Weltenbauer»
von Michèle Widmer

Herr Langenegger, Sie waren mit Ihren Kollegen von Bandara in einer Schule im tansanischen Songambele für einen Virtual-Reality-Dreh. Was ist nun realer für Sie: Ihre Erinnerungen oder der Film?
Der Film hilft uns, immer wieder nach Tansania zurückzukehren und uns an die spannende Zeit in Songambele zu erinnern.

Wie viele Koffer mit Equipment haben Sie bei der Abreise am Flughafen eingecheckt?
Wir hatten insgesamt sieben Gepäckstücke dabei. Das wichtigste war ein Koffer, mit dem wir 20 GoPro-Kameras inklusive Ersatzakkus transportierten. Diesen haben wir fast nicht durch den Zoll gebracht nach der Landung in Dar-es-Salaam. Die verantwortlichen Beamten wollten uns nicht glauben, dass wir für einen Dreh so viele Kameras brauchen und vermuteten, dass wir das Equipment in Tansania verkaufen wollten. Nach intensiven Verhandlungen durften wir die Kameras dann aber trotzdem einführen.

Im Dorf Songambele erwarteten Sie viele einheimische Kinder. Wie haben diese auf Ihr Team und die vielen Kameras reagiert?
Für die Kinder waren die Drehtage natürlich ein Highlight und die Schüler waren sehr neugierig. Sie haben noch nie eine 360°-Kamera gesehen und waren dementsprechend fasziniert von der Technik. Das geht den meisten Schweizern aber ähnlich, deshalb waren die Reaktionen für uns gar nicht so ungewohnt. Damit sich die Schüler an die Kameras gewöhnen konnten, haben wir sie für die Aufnahmen im Klassenzimmer jeweils schon vor dem eigentlichen Dreh aufgestellt.

Bandara_Pestalozzi_BehindTheScenes

Urs Langenegger (links im Bild) mit dem Bandara-Team in Songambele beim VR-Dreh.

Sie sind ja sicher mit gewissen Vorstellung, wie alles ablaufen soll, nach Tansania gereist. Lief dort alles nach Plan?
Wir hatten vor der Abreise nach Tansania zwar ein Konzept für unsere Kurzdoku, dieses war aber noch rein fiktiv. Wir mussten deshalb vor Ort in Zusammenarbeit mit der Schule Protagonisten mit spannenden Geschichten finden. Diese fanden wir mit dem Schüler Ezekiel und der Lehrerin Selena. Wobei die Geschichte von Ezekiel schon fast zu klischeehaft klingt, um wahr zu sein: Er lebt alleine mit seinem blinden Grossvater und kümmert sich rührend um diesen. Gleichzeitig ist er ein hochintelligentes Kind und träumt davon, Arzt zu werden, um Menschen wie seinem Grossvater zu helfen.

Beim Dreh decken die Kameras ja 360 Grad ab – sprich alles rundum. Wie haben Sie es geschafft, selbst nicht im Bild zu sein?
Bei 360°-Aufnahmen gibt es kein hinter der Kamera. Deshalb mussten wir uns jeweils verstecken – beispielsweise hinter den dicken Baobab-Bäumen, von denen es in Tansania viele gibt.

Nach dem Dreh hatten Sie Aufnahmen von mehreren Kameras und mehreren Perspektiven. Wie gingen Sie beim Schneiden vor?
Zuerst gilt es, die Bilder der einzelnen Kameras zu einem kompletten 360°-Panorama zusammenzuhängen. Das nennt sich «Stitching» und ist ein ziemlich aufwändiger Prozess. Anschliessend geht man vor, wie bei herkömmlichen Filmen: Schneiden, Vertonen, Grading und so weiter. Für «Ezekiels Traum» haben wir uns mit Thomas Rechberger und Raphael Sommer ein Audio-Team ins Boot geholt, das uns sogar einen passenden Soundtrack komponiert hat.

Stichwort Soundtrack: Auch der Ton kommt bei Virtual-Reality-Filmen von verschiedenen Seiten. Wie setzt man das um?
Wir arbeiten mit «omni-directional binaural audio» und verwenden dafür ein Spezialmikrofon, das aus acht Silikon-Ohren besteht, welche jeweils als Paar vier Richtungen abdecken. Das sieht zwar etwas komisch aus, führt aber dazu, dass sich der Ton im fertigen Film so anfühlt, als wäre man tatsächlich vor Ort. Denn oft wird missachtet, dass bei 360°-Filmen auch der Ton einen grossen Teil der Immersion ausmacht. In der Postproduktion werden die Audiospuren so angelegt, dass mit der Drehung des Kopfes die entsprechend richtige Soundspur abgespielt wird.

Der Trailer zum VR-Film über eine Schule in Tansania, den das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen in Auftrag gegeben hat. (Für die 360°-Ansicht wird eine aktuelle Version von Chrome oder Firefox benötigt. Auf Smartphones funktioniert der 360°-Effekt nur in der YouTube-App. Klicken Sie dafür hier.)

Auf was muss man – im Unterschied zu einer herkömmlichen Film-Produktion – sonst noch achten?
Auf sehr vieles. Die Art, wie Geschichten erzählt werden, ändert sich fundamental. Da sich der Betrachter in VR-Filmen frei umschauen kann, kann man beispielsweise nicht mehr mit Close-Ups arbeiten, um die Aufmerksamkeit zu lenken. Auch mit Schnitten muss man aufpassen. Wenn die einzelnen Einstellungen zu kurz sind, fehlt dem Betrachter die Zeit, sich zu orientieren. Als Produzent von Virtual-Reality-Inhalten sieht man sich weniger als Geschichtenerzähler sondern als Weltenbauer, in welchen der Betrachter seine ganz persönliche, eigene Geschichte erlebt.

Der Zuschauer kann sich in der virtuellen Welt bewegen. Wie lenken Sie ihn im Video?
Bei 360°-Inhalten auf YouTube oder Facebook weisen die Plattformen selbst darauf hin, dass man sich im Film umschauen kann. Bei Filmen auf einer VR-Brille ergibt sich dies meist von alleine, wenn man Betrachter auf einen Drehstuhl setzt und sie auffordert, sich umzuschauen. Es wird wohl aber nicht lange dauern, bis sich die Leute an das Medium gewöhnt haben und die virtuellen Welten selbst entdecken.

Vor knapp einem Jahr gegründet hat Bandara bereits Projekte im Auftrag von Equipe oder Jung von Matt realisiert. Ist das Glück oder gutes Marketing?
Virtual Reality erobert gerade mit grossen Schritten den Mainstream. Die Technologie hat sehr grosses Potenzial im Marketing, da man bei VR-Inhalten nicht einfach eine Botschaft vermittelt, sondern ein Erlebnis ermöglicht, das unter die Haut geht. Zudem können solche 360°-Inhalte auch auf YouTube und Facebook verwendet werden, womit man eine grosse Reichweite erzielen kann. Deshalb ist das Interesse bei Werbeagenturen sehr gross und wir müssen uns nicht allzu viele Gedanken darüber machen, wie wir uns selbst vermarkten wollen.

Mit welchem Background haben Sie und ihre beiden Kollegen Bandara gegründet?
Jeder der drei Gründer brachte einen eigenen Rucksack mit. Und diese ergänzen sich ganz gut. Daniel Gremli (im Bild zuoberst rechts) war die letzten sechs Jahre als Konzepter und Texter in der Werbung tätig und hat davor diverse Projekte im Video- und Filmbereich umgesetzt. Jonas Baer (im Bild zuoberst links) bringt nicht nur einen Background im Finance-Bereich mit, sondern vor allem auch die Erfahrungen aus der Gründung seines letzten Startups. Und ich habe als diplomierter Multimedia-Producer und passionierter Gamer das Gespür für die Technologie und bringe meine Erfahrungen aus mehrjähriger Tätigkeit als COO in einem Startup auf der operativen Seite mit ein.

Von der Werbung zum Journalismus: Nach der «New York Times» hat nun auch der «Guardian» eine Virtual-Reality-App herausgebracht. Welche Chancen bringt diese neue Technologie für die Medienhäuser?
Um es mit den Worten des bekannten VR-Filmemachers Chris Milk zu sagen: Virtual Reality ist die ultimative Empathie-Maschine. Diese Technologie schafft es wie kein anderes Medium, den Betrachter in andere Welten eintauchen lassen und Nähe zu schaffen. Zudem sehen wir ein grosses Potential darin, Transparenz und Authentizität zu schaffen, da sich der Betrachter in alle Richtungen umsehen kann und nicht auf den Ausschnitt des Reporters angewiesen ist, um sich ein Bild vor Ort zu machen.

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie lange dauert es, bis der erste grosse Virtual-Reality-Film ins Kino kommt?
Da es in Holland wie auch in Deutschland bereits die ersten VR-Kinos gibt, in welchen man Kurzfilme geniessen kann, wird es bis zum abendfüllenden VR-Film nicht mehr lange dauern. Gerade auch, weil Hollywood-Grössen wie Steven Spielberg und Ridley Scott mit der Technologie arbeiten. Inwiefern dies zu einer grösseren Popcorn-Sauerei führt, sei dahingestellt.


Über Bandara
Das in Zürich ansässige Virtual Reality Content Studio wurde 2015 gegründet und hat seither für diverse Marken 360°-Inhalte umgesetzt, unter anderem für Cailler (im Auftrag der Agentur Jung von Matt)Samsung (im Auftrag von Equipe) oder Schweiz Tourismus (im Auftrag von SMLY).



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