06.05.2017

Marc Walder

«Keine Firma sagte: Nein danke!»

Bundesrat Johann Schneider-Ammann sieht die Digitalisierung als Chance, wie er am Donnerstag am 47. St. Gallen Symposiums sagte. Ringier-CEO Marc Walder gilt als einer der Väter der Standortinitiative digitalswitzerland. Gegenüber «persönlich» erklärt er, was seine Gründe waren, das Projekt aufzugleisen.
Marc Walder: «Keine Firma sagte: Nein danke!»
Ringier-CEO Marc Walder will die Schweiz zu einem relevanten digitalen Standort machen. (Bild: Ringier)
von Matthias Ackeret

Herr Walder, wie sind Sie auf die Idee gekommen, digitalswitzerland aufzugleisen?
Die Medienindustrie wurde – nach der Musikindustrie – so richtig wuchtig getroffen von der Digitalisierung. Längst geht dieses komplexe Thema auch Banken etwas an – und die Versicherungen, die Warenhäuser, die Modebranche, die Automobilindustrie und die Telekommunikation sowieso. Auf die Idee zu kommen, war keine Kunst. Schön ist, dass digitalswitzerland mittlerweile bereits über sechzig der grössten Unternehmen des Landes vereint weiss, mit dem Ziel, die Schweiz zum relevantesten digitalen Standort Europas zu machen. Und wissen Sie was?

Sagen Sie es.
Wir sind ganz gut unterwegs. Es ist wunderbar, wie stark sich all diese Unternehmen engagieren. Die Chefs vorneweg und mit ihnen ganze Teams. Da sitzt die Credit Suisse am Tisch mit der UBS und die Migros mit Coop.

Ursprünglich war das Projekt nur auf Zürich beschränkt (persoenlich.com berichtete). Warum die Ausweitung auf die Schweiz?
Ganz einfach, weil wir in Zürich beweisen konnten, dass die Initiative greift. Nun sind wir in der gesamten Deutschschweiz, in der Westschweiz und im Tessin aktiv. Das 2025 haben wir übrigens weggelassen.

Warum?
Daniel Borel, der Logitech-Mitbegründer, fragte bei einem Meeting: «Und wofür steht dieses 2025? Ist bis dann die Initiative beendet? Sind bis dann alle Ziele erreicht?» Er hatte recht. Wir haben das 2025 gestrichen.

Wie sind Sie bei der Konzeptionierung vorgegangen?
Wir brauchten fantastische Projekte, die wir treiben, unterstützen, finanzieren, vergrössern, visibler machen können. Also haben wir uns auf die Suche gemacht. Und wir sind fündig geworden. Bei einigen Projekten helfen wir mit, bei anderen sind wir quasi die Besitzer, so zum Beispiel beim Kickstart Accelerator, Europas grösstem Start-up-Programm.

Gab es auch Widerstände?
Kaum. Dass Digitalisierung Gefahr und Chance ist, haben alle verstanden. Dass das Prinzip der Cluster-Bildung allen hilft, ebenfalls. Wir sind längst aus dem Hafen draussen und auf hoher See. Und dort hilft es, wenn alle gemeinsam und Hand in Hand arbeiten.

Gab es für Sie persönlich ein «digitales Schlüsselerlebnis»?
Vielleicht vor gut zwei Jahren: die ersten zehn Gespräche, als nur die Idee dieser Standort- initiative existierte.

Warum?
Ich fragte die Chefs von rund zehn Firmen und Institutionen an, ob sie mithelfen würden bei der Idee, die Schweiz zu einem relevanten digitalen Standort in Europa zu machen. Einige in direkten Gesprächen am WEF in Davos, andere am Telefon. Und wissen Sie was? Von den ersten zehn sagten alle zu!

Wer war das?
Dies waren Lukas Gähwiler (UBS), Patrick Warnking (Google), Marcel Stalder (EY), Corine Mauch (Stadtpräsidium Zürich), Susanne Ruoff (Post), Herbert Bolliger (Migros), Heinz Karrer (Economiesuisse), Urs Schaeppi (Swisscom), Andreas Meyer (SBB und ICT-Unternehmer) und Ständerat Ruedi Noser.

Wenn man die Mitgliederliste betrachtet, ist digitalswitzerland ein Who’s who der Schweizer Wirtschaft. Gab es auch Firmen, die Sie für einen Beitritt nicht gewinnen konnten?
Ich erinnere mich an keine, die wir wollten und die gesagt hat: Nein danke.

Besteht die Gefahr, dass bei einer Teilnahme von allen etablierten Kreisen das Spontane und Etablierte verloren geht?
Die Mitglieder bringen sich ein mit Fachwissen, mit Netzwerk, mit Skalierungsmöglichkeiten und natürlich auch mit Geld. Das Team von digitalswitzerland, hervorragend geführt von Nicolas Bürer, wiederum koordiniert, priorisiert, organisiert, selektioniert, kommuniziert. Es läuft gut. Aber: Wir sind mittlerweile richtig gross und komplex mit vielen Projekten und noch viel mehr Mitgliedern. Auf keinen Fall dürfen wir Speed und Effizienz und den Blick aufs Wesentliche verlieren. Daran arbeiten wir sehr gewissenhaft.

Was hat die Standortinitiative bereits erreicht?
In Projekten ausgedrückt: das «Digitale Manifest» zuhanden von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (lesen Sie auch das Interview mit dem Bundesrat), den Investor Summit, das Worldwebforum mit weit über tausend Teilnehmern, den bereits erwähnten Kickstart Accelerator, die Weiterbildungsplattform educationdigital, dann Kollaborationsprojekte, die wir Challenges nennen, und, und, und. Was man uns also nicht vorwerfen darf, ist Trägheit oder Faulheit (lacht).

Die Rolle von Google wird weltweit – und vor allem in Europa – immer wieder heftig diskutiert. Welchen Stellenwert hat diese Diskussion innerhalb von digitalswitzerland?
Ach wissen Sie, Google oder heute Alphabet ist dermassen dominant, da ist es logisch, dass diese Firma – besser gesagt: diese Firmen – massiven Einfluss aufs digitale Ökosystem hat. Durchaus auch solchen, der einem Kopfweh macht. Was die Initiative angeht: Google Schweiz mit Patrick Warnking an der Spitze ist Mitglied der ersten Stunde. Und zwar ein sehr engagiertes Mitglied. Ohne Wenn und Aber.

Ihr erklärtes Ziel ist es, die Schweiz zur digitalen Nummer eins in Europa zu machen. Ist das überhaupt erreichbar?
Diese Frage höre ich immer wieder. Sie ist durchaus berechtigt. Ich höre dann auch zwei konkrete Nachschübe.

Welche?
Eins: Die Schweiz ist teuer. Zwei: Die Schweiz ist verwöhnt. Beides sind keine guten Voraussetzungen für einen starken digitalen Standort, einverstanden. Doch wissen Sie was? Vielleicht ist vor allem das mit dem Verwöhntsein insbesondere eins: ein Klischee. Denn die Schweiz ist weltweit an der Spitze bei zentralen Faktoren. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Sowohl im «Global Competitiveness Report» des Weltwirtschaftsforums als auch im Global Innovation Index der renommierten Cornell-Universität, von Insead und der Weltorganisation für geistiges Eigentum liegt die Schweiz im internationalen Vergleich auf Platz eins. Weltweit! Und das Wichtigste: Wir werden auch in anderen Dimensionen noch besser. Im Global Entrepreneurship Index hat die Schweiz den Sprung von Platz acht im Jahr 2016 auf Platz zwei im Jahr 2017 geschafft. Um auf Ihre Frage zu antworten: Ja, das ist erreichbar, auch wenn wir hart dafür arbeiten müssen.

Im «Digitalen Manifest», das von den fünfzig Schweizer Digitalexperten erarbeitet wurde, fordern Sie mehr Unterstützung vom Staat, um Ihre Ziele zu erreichen. So unter anderem zwei Milliarden für die Forschung. Ein bisschen ketzerisch gefragt: Ist dies nicht einfach, zuerst einmal Geld vom Staat zu verlangen?
Der Staat hat bei der Aufgabe, einen Standort nach vorne zu bringen, sicherlich zwei wichtige Aufgaben: Er muss richtig regulieren – meistens lieber weniger als mehr –, und er muss Mittel zur Verfügung stellen. Wir haben weltweit führende Bildungsinstitutionen, mit ETH und EPFL deren zwei gerade im so wichtigen Bereich der Technologie. Diese gehören befeuert vom Staat. Denn sie wiederum befeuern den Fortschritt unserer Unternehmen, ganz klein wie ganz gross.

Sie gelten als sehr internetaffin. Aber verstehen Sie die Ängste vieler Menschen vor der Digitalisierung?
Und wie! Angst um den eigenen Arbeitsplatz; Angst, nicht mehr zu verstehen, wie das mit all den vernetzten Geräten funktioniert; Angst davor, dass alles immer schneller wird; Angst, weil man nicht mehr weiss, was mit den eigenen Daten im Internet geschieht und, und, und. Neues macht Angst. Digitalisierung ist neu. Und dazu noch rasend schnell.

Werden diese Arbeitsplatzverluste durch Jobs im digitalen Bereich aufgefangen?
Ich habe so viel darüber gehört und gelesen. Um ehrlich zu sein: Ich weiss es nicht. Viel wird rationalisiert. Dafür kommt Neues wieder hinzu. Mehr weiss ich nicht.

Sie setzen sich bei Ringier bekanntlich sehr stark für «Online first» ein. Bis jetzt kann diese Strategie die Verluste aus dem herkömmlichen Geschäft noch nicht wettmachen. Wann wird sich dies ändern?
Nehmen wir ein Beispiel: Blick.ch erwirtschaftete 2016 mehr Werbeumsatz als der gedruckte «Blick». Hätten wir das Michael Ringier vor vier Jahren prophezeit, er hätte es kaum für möglich gehalten. Wir auch nicht. Nun ist es so. Einzige Komponente ist: Es geht immer noch einen Zacken schneller, als wir erwartet haben.

Sie haben vor einigen Jahren kurzfristig entschieden, Blick.ch nicht kostenpflichtigzu machen. Haben Sie diesen Entscheidje bereut?
Nein. Ich wurde damals überstimmt im Verwaltungsrat der Ringier-Gruppe. Die Verwaltungsräte hatten recht. Ein Reichweitenportal wie Blick.ch kann in der Schweiz nicht kostenpflichtig gemacht werden.

Warum?
Vereinfacht gesagt: weil es grosse Gratisplattformen wie 20minuten.ch gibt.

Sie gelten auch als einer der Initianten der Werbevermarktungsfirma Admeira. Dabei steht vor allem das Geschäft mit personenbezogener Werbung im Vordergrund. Welches Fazit ziehen Sie als VR-Präsident nach etwas mehr als einem Jahr?
Es war die viele Mühe wert. Wissen Sie, wie viel Anteil die drei Grossen, Google, Facebook und Youtube, am digitalen Werbemarkt weltweit in etwa haben? Über siebzig Prozent. Drei Plattformen gegen Hunderttausende andere, die gute und sehr gute Inhalte erarbeiten. Drei zu Hunderttausenden. Und im Werbemarkt heisst es: sieben zu drei. Und das alles aus einem einzigen und nachvollziehbaren Grund: Die drei Technologieplattformen haben die besseren Daten von den Usern. Und die Werbung geht dorthin, wo sie wirksam ist. Daran arbeitet Admeira.

Bei Admeira sind der andere Schweizer Grossverlag, die Tamedia, und Sie anderer Ansicht. Bei digitalswitzerland verfolgen Sie die gleichen Ziele. Ist dies nicht manchmal ein bisschen verwunderlich?
Es gibt nicht mehr schwarz und weiss. Wer heute erfolgreich sein will, geht Kooperationen ein. Egal, in welcher Industrie Sie zu Hause sind.

Sie sind oft in New York oder im Silicon Valley. Hilft Ihnen das?
Wenn Sie lernen wollen, wie man Ski fährt, gehen Sie am besten in die Berge. Wenn Sie lernen wollen, wie die Digitalisierung unsere Gesellschaft und unsere Industrie verändert, dann gehen Sie am besten dorthin, wo sie verändert wird.

Ein grosses Ziel von Ihnen betreffend Digitalisierung?
Für mich persönlich: nicht den Anschluss zu verlieren. Für unsere Gesellschaft: Kinder sollen Programmieren lernen. Seit September 2014 ist Programmieren in England, Schottland und Wales für alle Schüler von fünf bis vierzehn Jahren Pflichtfach. Grossartig!


Dieses Interview erschien in der aktuellen Ausgabe von «persönlich».

 



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