24.06.2018

Twitter

Mikrokosmos für Schweizer Politiker und Journalisten

Mit seinen mehr als 300 Millionen Nutzern ist Twitter weltweit eine der populärsten Internet-Plattformen. Nicht so in der Schweiz: Statt der Bevölkerung als Informationsquelle zu dienen, tummeln sich dort vor allem Politiker und Journalisten.
Twitter: Mikrokosmos für Schweizer Politiker und Journalisten
Twitter ist in der Schweiz fest in der Hand von Politikern und Journalisten. (Bild: Keystone/Gaëtan Bally)

In der Schweiz sei Twitter ein eher elitäres Netzwerk, das vor allem von Politikern und Journalisten genutzt werde, erklärt Professorin Julia Metag von der Universität Freiburg gegenüber Keystone-SDA. Im Gegensatz zu den USA, wo sich ein grosser Teil der Bevölkerung über Twitter austauscht, besitzen in der Schweiz gemäss der Expertin nur 16 Prozent der Bevölkerung ein Twitter-Konto. Darunter aber viele Politiker: Von den Parlamentariern sind 70 Prozent der National- und 50 Prozent der Ständeräte Teil des sozialen Netzwerks.

«Sich über Twitter bekannt zu machen, ist nicht der einzige Grund, wieso sich Politiker einen Twitteraccount zulegen», so die Professorin. «Viel eher geht es ihnen darum, untereinander zu diskutieren und die Journalisten zu erreichen, denen sie ihre Ideen übermitteln wollen.»

Wie in einer Blase

Eine Umfrage von Keystone-SDA bei Politikern bestätigte diese Analyse. «Twitter funktioniert wie eine Blase. Ich bin dort in Kontakt mit Ökologie-Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland und mit der Parteibasis», sagt beispielsweise Nationalrätin Adèle Thorens (Grüne/VD). Thorens ist eine der Politikerinnen, die am meisten Tweets absetzt. «Man darf sich aber keine Illusionen machen», fügt sie hinzu. Die Leute ausserhalb seiner eigenen Gemeinschaft zu erreichen, sei wahrscheinlich schwierig.

Für den Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser ermöglicht Twitter vor allem eine bessere Verbindung zu den Journalisten. «Bei Abstimmungen publiziere ich möglichst rasch einen Kommentar auf Twitter, welchen die Journalisten in ihrer Berichterstattung nutzen können. Dadurch erhalte ich viel weniger Telefonanrufe», erklärt er.

Direkter Austausch mit den Wählern

Noser erhofft sich von den sozialen Medien vielmehr einen direkteren Zugang zu den Menschen im Land. Er verschicke nach jeder Session einen Newsletter über Twitter, LinkedIn und per E-Mail. Die jeweils rund 300 Reaktionen beantworte er dann persönlich, sagt der Zürcher. Die sozialen Medien seien für ihn umso wichtiger, weil es in einem bevölkerungsreichen Kanton wie Zürich manchmal schwierig sei, die Aufmerksamkeit der Leute oder der Journalisten zu kriegen. «Auf Twitter muss man seine Ideen nicht an einen Journalisten verkaufen, der dann darüber entscheidet, ob er sie veröffentlichen will oder nicht. Man publiziert sie aus eigener Hand.»

Claudio Zanetti (SVP/ZH), der twitter-aktivste Nationalrat, stellt sich hingegen eher gegen die Journalisten als dass er versucht, sie zu angeln. «Ich korrigiere viele Fehler von Journalisten oder weise sie auf Ereignisse hin, über die sie nicht berichtet haben. Am Montag zum Beispiel gewann ein Konservativer die Wahlen in Kolumbien, und hier sprach fast niemand davon», erzählt er.

Die Bevölkerungsdichte in einem Kanton scheint in der Tat für die Vernetzung der Parlamentarier entscheidend. So stammen die aktivsten Twitter-User unter den Politikern aus den Kantonen Zürich, Basel und Bern. Im Gegensatz dazu gibt es aus den Kantonen Uri und Jura keinen einzigen Parlamentarier, der Twitter nutzt.

Je kleiner also ein Kanton ist, desto einfacher erreichen die Parlamentarier ihre Wählerschaft auch ohne soziale Medien, wie Metag erklärt. In den grossen Kantonen sei dies schwieriger. Twitter helfe ihnen dabei, trotzdem mit einem grossen Teil der Bevölkerung in Kontakt zu sein.

Für das Ego der Politiker

Ausnahmen gibt es gleichwohl: Lisa Mazzone (Grüne/GE), eine der jüngsten Volksvertreterinnen in einem der bevölkerungsreichsten Kantone der Schweiz, ist nicht auf Twitter aktiv. Das tut sie bewusst: Sie möchte sich eine Privatsphäre bewahren und sich vor der ständigen Vernetzung schützen, begründet die Genferin ihre Haltung.

Wie sich am Beispiel von Natalie Rickli (SVP/ZH) zeigte, ist die Nutzung von Twitter und anderen sozialen Medien denn auch nicht ungefährlich. Die Nationalrätin erlitt 2012 ein Burnout, das nicht zuletzt durch ihre übermässige Präsenz in den sozialen Medien verursacht wurde.

Olivier Feller (FDP/VD) sieht derweil bei Twitter keinen wirklichen Mehrwert, weder in Bezug auf die Bearbeitung der Dossiers noch bei der Beziehungspflege mit den Wählern. «Das ist mehr eine Form der Unterhaltung und ein Mittel für manche Politiker, ihrem Ego zu schmeicheln», sagt der Waadtländer, der sich wie Mazzone von Twitter fernhält. Er stützt sich dabei auf seine Erfahrungen auf Facebook: «Wenn ich etwas zu einem Kernthema veröffentliche, erhalte ich viel weniger Rückmeldungen, als wenn ich ein Foto von meinen Kollegen und mir veröffentliche», erklärt der Politiker.

Dass sich die beiden Parlamentarier Mazzone und Feller von Twitter distanzieren, überrascht Metag daher nicht. Gemäss der Expertin dürfte sich der Twitter-Trend zwar fortsetzen und die Nutzerzahl vielleicht noch etwas zulegen. Dies müsse aber nicht zwingend zu mehr Aktivität führen, so Metag.


(Autorin: Delphine Gasche, Keystone-SDA)

 



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