13.06.2016

Liip

«Sechs Wochen Abwesenheit in 45 Arbeitsjahren eines Mannes»

Während den meisten frischgebackenen Vätern in der Schweiz ein freier Tag zusteht, hat die Web-Agentur Liip den vieldiskutierten vierwöchigen Vaterschaftsurlaub schon vor zehn Jahren eingeführt. Was nützt es, wenn Mitarbeiter fehlen? persoenlich.com hat mit Gerhard Andrey, Partner der Agentur und Mitglied des Initiativkommitees, darüber gesprochen.
Liip: «Sechs Wochen Abwesenheit in 45 Arbeitsjahren eines Mannes»
von Lucienne Vaudan

Mutterschaftsurlaub, Vaterschaftsurlaub, Militär- oder Zivildienst, Teilzeitarbeit – trifft man bei Ihnen im Büro überhaupt Leute an?
(lacht) Über die Hälfte unserer 150 Mitarbeiter arbeiten Teilzeit aber Homeoffice ist interessanterweise kein grosses Thema bei uns, obwohl die Möglichkeit bestünde. Vielleicht ist das Bedürfnis, im Büro zu arbeiten einfach grösser, wenn man Teilzeit arbeitet. Auf Ihre Frage: Ja, man trifft sehr wohl Leute an.

Wenn Sie von Teilzeit sprechen, dann meinen Sie 80 Prozent?
Das variiert von 50 bis 90 Stellenprozenten, grösstenteils sind es aber schon 80.

Während die meisten Väter in der Schweiz bei der Geburt ihres Kindes gleich lange frei bekommen, wie wenn sie ihr Mobiliar zügeln, gewähren Sie Ihren Mitarbeitern seit zehn Jahren 20 Tage Vaterschaftsurlaub. Wie waren damals die Reaktionen?
Die Geschichte mit dem Vaterschaftsurlaub reicht eigentlich noch weiter zurück. Bevor wir Liip gründeten, hatten wir eine andere Firma. Bereits als wir noch ein Mikrounternehmen mit fünf Mitarbeitern waren, haben wir diese 20 Tage Vaterschaftsurlaub gewährt. Das war bei uns also schon immer Normalität. Manche Konkurrenten belächeln uns deswegen auch, was aber wohl eher eine kurzsichtige Schadenfreude ist. Wir beweisen ja seit Jahren,  dass es mit fünf genauso wie mit 150 Mitarbeitern funktioniert.

Aber was war denn für Sie als Unternehmer der Beweggrund, einen Vaterschaftsurlaub einzuführen?
Als wir uns selbstständig gemacht haben, wollten wir unsere Firma auch nach unseren Wertvorstellungen gestalten. Und wir fanden halt, dass es Sinn macht, wenn sich Arbeit und Privatleben vereinbaren lassen.

Denken Sie, dass sich dieses Angebot auf Ihre Attraktivität als Arbeitgeber auswirkt?
Natürlich kommt niemand zu uns, nur weil wir vier Wochen Vaterschaftsurlaub anbieten. Aber für junge Männer, die wissen, dass sie in den nächsten Jahren Kinder haben möchten, ist das Wissen um einen Arbeitgeber, der sich in diesem Bereich kooperativ zeigt attraktiv. Ich habe von unseren Mitarbeitern oft gehört, dass diese Perspektive einer der Gründe ist, weshalb es angenehm ist, für uns zu arbeiten. Auch die Partnerinnen schätzen das übrigens unheimlich: Die Frau von einem unserer Mitarbeiter hat uns nach der Geburt ihres Kindes Blumen gebracht. Sie wollte sich dafür bedanken, dass wir ihr ermöglichten, in den Wochen nach der Geburt durch ihren Partner unterstützt zu werden.

Man hört oft, ein obligatorischer Vaterschaftsurlaub wäre gerade für KMU finanziell lebensbedrohend. Sie beschäftigen 150 Mitarbeiter. Können Sie uns vorrechnen wie das geht?
Über die letzten zehn Jahre wurden bei uns ungefähr 40 Elternurlaube bezogen, mehrheitlich waren das Väter, weil bei uns mehr Männer als Frauen arbeiten. Bei den Frauen stocken wir übrigens den gesetzlichen Urlaub im gleichen Ausmass auf. Für diese Urlaube haben wir etwa 0,5 Prozent der Lohnkosten aufgewendet. Man muss sich bewusst sein, dass wir von durchschnittlich 1,5 Kindern sprechen. Das sind sechs Wochen Abwesenheit in den 45 Arbeitsjahren eines Mannes. Wenn das für ein KMU ein lebensbedrohendes Szenario ist, dann steht das Unternehmen wohl ohnehin kurz vor dem Abgrund. Ich will die Kosten nicht schönreden, aber es sind eben nicht nur Kosten. Wir sprechen hier ja auch von einem volkswirtschaftlichen Nutzen, indem es Frauen die Berufstätigkeit erleichtert.

Sie sagen, der Vaterschaftsurlaub dient nicht nur der Bindung zwischen Mann und Kind, sondern hilft auch gut ausgebildete Frauen im Arbeitsmarkt zu halten?
Der Vaterschaftsurlaub ist eines der Puzzleteile, die die Vereinbarkeit von Job und Familie ausmachen. Ein wichtiges, denn er setzt in dem Moment ein, in der sich die Struktur eines Paares komplett verändert.

Aber was kümmert den Steuerzahler die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
Man kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schon als Privatsache abhaken, dann muss man aber auch die Konsequenzen akzeptieren. Wenn wir Frauen bestens ausbilden lassen, sie dann aber wieder aus dem Arbeitsleben herausmanövrieren, weil man Beruf und Familie eben nicht vereinbaren kann, dann ist das aus volkswirtschaftlicher Perspektive schlicht absurd - Priavtsache hin oder her. Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, dann müsste man der volkswirtschaftlichen Effizienz zu liebe auch sagen: Denjenigen, die voraussichtlich nicht zum Arbeiten kommen, sollte man auch Bildung verweigern. Denn die wird ja auch durch den Steuerzahler mitfinanziert – mit dem Gedanken, dass sich diese Investition finanziell lohnen soll.

Kritische Stimmen fragen immer wieder, ob sich ein Vater tatsächlich stärker in Kinderbetreuung und Hausarbeit einbringt, weil man ihn ganz zu Beginn drei Wochen freispielt. Oder anders: Braucht ein Säugling überhaupt so dringend einen Vater?
Ich würde die Frage umdrehen: Habe ich als Vater denn kein Bedürfnis nach Nähe zu meinem neugeborenen Kind? Natürlich kommt ein Säugling während dieser Zeit tatsächlich auch ohne Vater aus, aber schaden wird es ja sicher auch nicht. Der Vaterschaftsurlaub dient nicht nur dem Kind, sondern auch der Entlastung der Mutter. Wenn man als Elternpaar mehr Zeit hat, gelingt es besser sich einzupendeln und ein gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln.

 

 

 



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Kommentare

  • Susanne Lade, 16.06.2016 21:11 Uhr
    kinder sind kein privatluxus, sondern unsere gesellschaftliche zukunft. darum sollten wir alle mehr als interessiert sein, diesen neuen, kleinen menschen einen guten start ins leben zu geben. und dazu gehört auch der vater. andere länder sind da schon viel fortschrittlicher. als ich in die schweiz kam, mitte der 90er, gab es für frauen soviel mutterschaftszeit wie in deutschland der 60er. und das in einem der reichsten länder der welt...
  • Sybille Brütsch-Prévôt, 14.06.2016 13:37 Uhr
    Ich winde Ihnen ein Kränzchen. Solche Männer braucht das Land! Männer sollten sich wehren und konsequent auf Teilzeitarbeit bestehen. Bis endlich, endlich ein Umdenken stattfindet, und unsere Urenkelinnen davon profitieren können. Kinder sind nicht Mütter-, sondern Elternsache.
  • Robert Tobler, 14.06.2016 12:18 Uhr
    BRAVO!
  • Katrin Uhlmann, 14.06.2016 10:47 Uhr
    Grossartig!
  • Nadia Fischer, 14.06.2016 10:02 Uhr
    Danke, dass hier endlich jemand mal das volkswirtschaftliche Argument bringt. Ich möchte echt, dass das die Politik endlich begreift: Wir werfen Staatsgelder - heisst unsere Steuern - zum Fenster raus, wenn wir Frauen zwar sehr gut ausbilden (rund 60% der heutigen Uni-Abgänger sind Frauen) , ihnen es dann aber nicht möglich machen, auch mit Kindern mit ihrer Expertise im Arbeitsmarkt zu bleiben. Es ist eben keine Privatsache, sondern eine Staatsaufgabe - und damit Aufgabe der Politiker - volkswirtschaftlich zu handeln.
  • stefan, 14.06.2016 07:18 Uhr
    Herr Andrey, ich bin 100%positiv beeindruckt! Ein paar Antworten von Ihnen und ich höre daraus erfahrene gelebte Klugheit. Ich würde mir erlauben ihr tun als "intelligentes nachhaltiges denken und handeln" zu bezeichnen. Eine visionäre Haltung weil offen gedacht, analysiert und gelebt.
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