23.08.2017

Webrepublic

Selbstkritik und ein Bio-Label

Am «Programmatic Shift» wird klar: 100-prozentige Sicherheit gibt es nur für Kunden, die ganz auf Programmatic verzichten. Auftraggeber-Direktor Roland Ehrler forderte auf dem Podium Massnahmen bei Ad Fraud und Brand Safety.
von Edith Hollenstein

«Kontrovers» sollte Programmatic Advertising diskutiert werden, so jedenfalls versprach es die Einladung, welche Webrepublic für ihren Kundenanlass vom Dienstagabend verschickt hatte. Das gelang nicht ganz. «Kontrovers» verlief die Diskussion «Programmatic Shift» in der Amboss Rampe in Zürich nicht wirklich. Dennoch bot sie den Gästen, welche aus Platzgründen teilweise an der Bar stehend zuhörten, einige wertvolle Inputs.

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Tobias Zehnder, Mitgründer und Partner bei Webrepublic (Bild oben), verblüfft die Anwesenden mit einer Grafik, welche zeigt, wie viel Inventar bereits programmatisch buchbar ist: Bei Microsoft und Tamedia sind es 100 Prozent, bei NZZ 90 Prozent, AZ 60 Prozent. Dass diese Aussagen – und vor allem diejenige bezüglich den Umsätzen – auf wahrscheinlich etwas zu optimistischen Eigendeklarationen der Verlage beruhen, wird später klar: Sylvia Epaillard, Leiterin Digital Advertising bei Tamedia (im Bild unten), erklärt, dass «die Umsätze noch nicht so hoch» sind.

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Programmatic Advertising existiere in der Schweiz noch nicht so lange. «Um zu wachsen, müssen sich viele Strukturen ändern, vor allem auf Publisher-Seite», so Epaillard. Dabei sei nicht das Ziel, dass die Kunden möglichst rasch nur noch programmatisch buchen. Man wolle sie nicht dazu zwingen. Aber Tamedia wolle Anreize in diese Richtung schaffen, sagt Epaillard  analog den Migros-Self-Checking-Angeboten, welche das herkömmliche Bezahlen an der Kasse vom einen Tag auf den anderen verdrängen.

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Webrepublic-Mitgründer Zehnder zitiert Zahlen von IAB Schweiz. Demnach beträgt der Programmatic-Anteil am Schweizer Werbekuchen 25 Prozent. «Es gibt also noch Luft nach oben», folgert er daraus.

Auftraggeber wollen ein Label

Spannend wird es, als Stichworte fallen wie «Brand Safety» oder «Ad Fraud». Hier meldet sich Roland Ehrler zu Wort (vgl. Bild oben). Der SWA-Direktor, der die Auftraggeber vertritt, berichtet über eine branchenweiten Reichweitenforschung, die in Planung ist. «Im Bereich der digitalen Kommunikation gibt es sehr viele Baustellen». Denn über neue Formen wie Influencer Marketing oder Social Video gebe es keine unabhängig erhobenen Zahlen. «Jeder kann ausweisen was und wie er will. Das ist noch immer ein grosses Durcheinander», so Ehrler. Sein Verband sei über Wemf und Mediapulse daran, eine vergleichbare Währung zu schaffen. Eine der grössten Schwierigkeiten dabei sei die Kooperation mit Google und Facebook, weil sie keine schweizspezifischen Zahlen ausweisen.

Neben verlässlichen Zahlen brauche es Qualität, Transparenz und Sicherheit bei programmatischer Werbung. «Ich fordere eine Art Bio-Label für Digitalwerbung», so Ehrler.

Kritiker in Anführungszeichen

Um die «dunklen Seiten» von Programmatic zu beleuchten, hievte Webrepublic mit Marcel Sprecher einen «Kritiker» aufs Podium (siehe Bild unten). Er argumentierte kompetent und schlagfertig, der Wermutstropfen dabei: Sprecher arbeitet selber als Programmatic-Spezialist bei der Gastgeberin, der Agentur Webrepublic, und kann darum nur Kritiker in Anführungszeichen sein.

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Sprecher betont, wie schon sein Vorredner Tobias Zehnder, dass Kunden bei sich intern genügend Programmatic-Know-how aufbauen sollten, um auf Augenhöhe diskutieren zu können. Zudem zeigen die Webrepublic-Leute auf, was Kunden punkto Brand Safety und Ad Fraud tun sollten: «Es gibt vordefinierte Kategorien von Inhalten, die man beim Targeting pauschal ausschliessen kann, etwa gewaltverherrlichende oder extremistische Inhalte.»

Keine absolute Garantie

Zudem könnten Ausschlussmechanismen verfeinert werden. Man könne beispielsweise Videos mit bestimmten Keywords im Titel oder der Legende auf eine Blacklist setzen. Damit könne man problemlos Videos ausschliessen, die beispielsweise Worte wie Isis, Terror oder Nazi im Titel oder der Video-Beschreibung enthalten. Zudem solle man das Werbeumfeld regelmässig manuell überprüfen, um unerwünschte Videos oder gar ganze Kanäle auszuschliessen. 

Auch wenn Auftraggeber vor der Kampagnenschaltung diese Vorkehrungen treffen, um unerwünschte Platzierung zu vermeiden: 100-prozentige Sicherheit gibt es nur für Kunden, die ganz auf Programmatic verzichten.



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Kommentare

  • Edith Hollenstein, 24.08.2017 14:30 Uhr
    @Tobias Zehnder: Danke fürs Feedback. Ich nehme an, die von euch präsentierten Angaben zu Inventar und Umsätzen wurden über eine Umfrage bei den Verlagen/Publisher erhoben. Hier stelle ich zur Diskussion, ob diese ihre eigenen Zahlen dabei nicht etwas höher auswiesen als sie tatsächlich sind.
  • Tobias Zehnder, 24.08.2017 10:06 Uhr
    Darf ich bescheiden anfügen, dass die gezeigten Zahlen bzgl Umsätzen und Inventar durchaus stimmen? Das Statement von Sylvia Epaillard bezog sich auf die Diskrepanz zwischen programmatisch verfügbarem Inventar (knapp 100%) und dem damit erzielten Umsatz (knapp 20%).
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