07.10.2016

Hannes Schmid

«Es ist ein künstlerischer Weg, um etwas Neues zu schaffen»

Star-Fotograf Hannes Schmid ist keiner, der das Rampenlicht sucht. Für sein neustes «Kunstprojekt», ein Hilfswerk in Kambodscha, tritt er nun in die Öffentlichkeit – in einem SRF-«DOK» vom Donnerstag. Kurz vor der Ausstrahlung konnte persoenlich.com mit ihm telefonieren.
Hannes Schmid: «Es ist ein künstlerischer Weg, um etwas Neues zu schaffen»
Als er mit dem Hilfswerk «Smiling Gecko» anfing, «war mir klar, dass ich irgendwie an die Öffentlichkeit muss.»: Hannes Schmid. (Bild: SRF)
von Claudia Maag

Herr Schmid, wie ist es für einen Fotografen, plötzlich vor der Kamera zu stehen?
Das war sehr speziell. Ich habe das nie gesucht. Als ich mit dem Hilfswerk «Smiling Gecko» (SG) anfing, war mir allerdings klar, dass ich irgendwie an die Öffentlichkeit muss. Ich möchte natürlich meine Idee, meine Vision, verbreiten. Ich denke, das ist der richtige Weg, um die Welt zu verändern.

Gab es beim Dreh der SRF-«DOK» besonders schwierige Momente?
Ja schon, man muss da auf einmal sein Leben ausbreiten. Man muss auch über Dinge sprechen, die man nicht erzählen möchte, die aber wichtig sind, um die Geschichte verstehen zu können. Für meine Familie war das schwierig, vor allem für meine Frau. Sie ist nicht jemand, der gerne in der Öffentlichkeit steht – wir leben eigentlich sehr zurückgezogen. Ich war auch als Fotograf damals nur intern bekannt. In der Branche kannten sie meinen Namen, aber gesehen hat man mich nie (lacht). Das war mir nie wichtig, ich wollte einfach meine Arbeit machen.

Was gefiel Ihnen am Dreh?
Die Arbeit mit dem «DOK»-Team war sehr schön und ich lernte den Menschen Belinda Sallin, die Filmautorin, sehr schätzen. Man ist ja zu Beginn skeptisch, wenn eine Filmcrew mit einem mitkommt und fragt sich, was das Team dann daraus macht. Doch ich muss sagen, die Sensibilität, die sie an den Tag legten; die Bilder, die sie in diesem Jahr einfingen: Als ich den Rohschnitt sah, war das sehr berührend für mich.


Zu Ihrem Hilfsprojekt in Kambodscha: Als Teil davon führt «Smiling Gecko» ein Landwirtschaftsfamilienprojekt in der nördlichen Provinz von Kampong Chnang. Familien aus dem Ghetto finden dort ein Auskommen. Im «DOK»-Film heisst es, die Kooperative soll bald ohne Spendengelder funktionieren. Sind Sie auf einem guten Weg?
Das ist das Ziel, das geht aber nicht von Heute auf Morgen. Es ist wie wenn man ein Geschäft aufbaut. Zuerst braucht es Investitionen – finanzieller sowie schulischer Art. Die Menschen, die einen tiefen Bildungsstand haben, müssen angelernt, ausgebildet und geschult werden. Dazu braucht man Schul- und Bildungsprogramme. Das erarbeiten wir mit den Schweizer Institutionen, wie die Schweizerische Hotelfachschule Luzern, PH Zürich, ETH, WF und vielen mehr. Diese Institutionen stellen ihre Experten und sind teilweise permanent als Ausbilder oder mehrmals jährlich vor Ort. Da kann man die Schweiz kopieren: das Dualsystem, das vokale Training.

Das Hilfsprojekt fusst auf der sogenannten Cluster-Idee. Was ist das genau?
Die SG-Cluster-Idee bietet viel mehr, als das Schweizer System zu kopieren. Da es sich bei den kambodschanischen Familien meistens um Grossfamilien handelt, können die einen Familienmitglieder in ihrem eigenen Landwirtschaftsbetrieb arbeiten und die anderen in den weiteren Betrieben. Dort können sie ein gesichertes monatliches Einkommen erwirtschaften. So können sie genügend Geld verdienen, dass Kinder zur Schule und zum Arzt gehen können sowie Zugang zu genügend Essen und sauberem Wasser haben. Wir müssen Eltern unterstützen, damit sie ein Einkommen erwirtschaften können. Reissäckchen zu verteilen und nur punktuell Schulbildung zu betreiben, reicht heute nicht mehr. Man braucht ganzheitliche Systeme, vom Kindergarten bis zur abgeschlossenen Berufsbildung.

Es werden aber auch Schulen gebaut...
Viele Hilfswerke in Kambodscha unterrichten nur bis zur sechsten Klasse in einem miesen Schulsystem. Nach der sechsten Klasse kommt nichts mehr. Die Kinder müssen in die Volksschule, die sie bezahlen müssen – und dazu fehlt meistens das Geld. Wir bieten das Schweizer Dualsystem an. Das beginnt mit Hort, Primarschule und Sekundarschule. Kinder mit schwachen schulischen Leistungen müssen wir nicht versuchen, in eine Highschool zu bringen. Die müssen eine Lehre machen können. Schreiner, Köchin, Landwirt. Warum? Wenn die Jugendlichen in Kambodscha circa 18 Jahre alt sind, dann heiraten sie. Wenn sie diese Skills nicht haben, können sie kein Geld verdienen. Genau dann schicken sie ihre Frauen oder die Tochter in die Prostitution oder in die Sklaverei der Textilfabrik, wo sie für wenige Cents pro Stunde arbeiten müssen. Die Männer verdingen sich nach Thailand, Dubai oder Bahrain, wo sie brutal ausgenutzt werden.

Diskutieren sie mit anderen Hilfswerken vor Ort?
Das ist ein Problem. Aktive Hilfswerke wollen nicht mit Hilfswerken zusammenarbeiten. Man trifft sich zwar, um sich auszutauschen. Wenn es dann aber um die Zusammenarbeit geht, dann sieht die Sache anders aus. Sie sehen sich als Konkurrenz. Schliesslich suchen alle im gleichen Pool Geld. Für mich ist jedoch klar: Wir haben eine tolle Zusammenarbeit mit anderen Schweizer Stiftungen, die keine eigenen Projekte haben und werden von ihnen grosszügig unterstützt. Ich sehe die finanzielle Unterstützung etwas anders: Ich habe keine Spender. Ich habe Investoren. Wenn Sie mir 100 Franken geben, muss ich Ihnen Ende Jahr meinen Geschäftsbericht abliefern und Sie müssen sehen, was mit den 100 «Stutz» passiert ist. Ich muss jeden Penny ausweisen, jede Zahnpasta, jede Schraube. Das wird von PricewaterhouseCoopers kontrolliert.

Neben dem Landwirtschaftsfamilienprojekt baut SG derzeit das «Village School Project». Dabei arbeiten Sie mit der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) und der ETH zusammen. Wie weit ist das Projekt?
Wissen Sie, ich bin 1946 geboren und habe nur eine einfache Schulbildung genossen. Ich habe aber in meinem Leben gelernt: Wenn ich etwas nicht weiss, kann ich mir Hilfe holen. Wie viele der Hilfswerke wollte ich zuerst ein Schulhaus bauen. Bis ich gemerkt habe, das Haus ist gar nicht so wichtig.

Wieso nicht?
Ich kann ja vier Bäume nehmen, ein Plastiktuch drüber spannen und ein paar Stühle und Bänke darunter stellen... Wenn ich Lehrer habe, reicht das aus. Mir wurde aber auf einmal klar, dass ich keine Lehrer habe! Die hiesigen Lehrkräfte sind so schlecht ausgebildet. In einem rückständigen Schulsystem. Ich realisierte: Mir würde ein schönes Schulhaus nichts nützen, wenn ich keine Bildungsstruktur erarbeiten können.

Wie sieht denn die Zusammenarbeit mit der PHZH und ETH aus?
Aus den genannten Gründen wandte ich mich an die PHZH. In der Zusammenarbeit der ETH Zürich und der PH Zürich ist ein Schulprojekt entstanden, das weit über die Architektur hinaus geht. Im Juli dieses Jahres wurden die Baupläne von fünf jungen Architektinnen der ETH Zürich und der Beratung der PH Zürich abgeschlossen. Baubeginn im Januar 2017.



Wann rechnen Sie damit, Lehrer zu haben, die Ihren Vorstellungen entsprechen?
Wir helfen jetzt den Colleges und den Volksschulen in der Nähe. Wir führen quasi eine Modellschule und bringen ihnen in der Praxis bei, wie sie ihr Schulsystem bei sich anwenden können. Ich spreche von fünf bis zehn Jahren, bis wir die Lehrer soweit haben, damit es annähernd an jenen Qualitätsstandard der Schweiz herankommt.

Sie werden bald 70 und sagen im Film, die Zeit laufe für Sie rückwärts. Wird das Hilfsprojekt weitergehen, wenn Sie einmal die Kraft nicht mehr haben?
Smiling Gecko Schweiz ist ein gemeinnütziger Verein und steuerbefreit. Hochqualifizierte Vorstandsmitglieder führen diesen Verein. Smiling Gecko Cambodia wird vom jungen Anwalt Leap und weiteren sehr gut ausgebildeten und qualifizierten jungen Kambodschanern geführt. Ich selber bin nicht operativ tätig. Ich bringe meine Vision, mein kreatives Denken, meine Energie, meine Lebenserfahrung und meine Beziehungen. Für mich ist das ein künstlerischer Weg, um etwas Neues zu schaffen. So handle ich auch meine Kunstprojekte ab.

Was ist für Sie als Künstler spannender: Fotografieren oder dieses Projekt?
Das ist genau das Gleiche. Wenn das Projekt abgeschlossen ist, gehe ich weiter. Ich will nicht die nächsten 20 Jahre an diesem Projekt kleben. Ich bin das grösste Risiko dafür, wie mir sämtliche Risikoanalysen bestätigen (lacht). Darum suche ich momentan meinen Nachfolger. Ende 2017/2018 muss ich nachweisen, dass meine Idee des Clusters all diese Projekte zur Nachhaltigkeit führt. Dann werde ich es überreichen und weiterziehen. Voraussetzung ist, dass es dann nachhaltig und selbstständig weiterbestehen kann.

Wie schwierig ist es, einen Nachfolger zu finden?
Es ist nicht einfach. Ich suche jemanden, der circa 45 Jahre alt ist, internationale Beziehungen und wirtschaftliche Erfahrung hat; kreativ und visionär denken kann; neugierig ist und den Willen hat, etwas in dieser Welt zu verändern. Der sagt: Das ist jetzt meine Lebensaufgabe.

Wie lange bleiben Sie diesmal in Kambodscha?
Ich bin jeden Monat hier. Diesmal etwas kürzer, nur zehn Tage. Am Freitag fliege ich bereits nach Los Angeles. Ich mache dort Fundraising mit Mark Forster und Veronica Ferres.

An Ihrem Geburtstag, dem 13. Oktober, ist auch die «DOK»-Ausstrahlung im SRF. Ist das ein schönes Geburtstagsgeschenk?
(lacht) Ja, ich sagte, das ist ja der Hammer. Es ist ein sehr schönes Geschenk. Vor allem, da der «DOK» so persönlich geworden ist.


Sendetermin «DOK»: «Hannes Schmid – von einem, der auszog, die Welt zu verändern», Donnerstag, 13. Oktober 2016, 20:05 Uhr, SRF 1.



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