04.06.2017

Giuseppe Gracia

«Ich bekomme Drohbriefe»

Der Mediensprecher von Bischof Huonder ist auch Schriftsteller. Sein neuer Roman «Der Abschied» handelt von einem islamistischen Anschlag. Im Interview mit persoenlich.com sagt der 49-Jährige, warum immer mehr Menschen Angst davor haben, öffentlich ihre Meinung zu sagen und weshalb er seine privaten Bilder vom Netz genommen hat.
Giuseppe Gracia: «Ich bekomme Drohbriefe»
Giuseppe Gracia: «Ich möchte mit meinen Büchern zum Denken anregen – möglichst viele Leute und möglichst in verschiedene Richtungen.» (Bilder: zVg.)
von Marion Loher

Herr Gracia*, kaum war Ihr Buch erschienen, war es auch schon vergriffen, und eine zweite Auflage musste gedruckt werden. Haben Sie mit diesem Ansturm gerechnet?
Nein, habe ich nicht. Aber es zeigt, dass die Leute sich für das Thema interessieren und von einem Roman auch heute noch mehr als nur Unterhaltung erwarten.

Wie sind die Reaktionen bislang?
Die Leute schreiben mir, dass sie das Lesen des doch recht radikalen Textes genossen haben, weil da endlich wieder einmal Klartext gesprochen wird und die Abgründe unserer Zeit nicht schöngeredet werden.

Von welchen «Abgründen» sprechen Sie?
Vom religiösen Fundamentalismus, von der politischen Korrektheit und vom steigenden Arbeitsdruck. Die Reaktionen der Leser zeigen, dass viele genug haben vom politisch korrekten Gerede, wenn es um heisse Eisen wie Islam, Migration oder Globalisierungskritik geht. Sie haben genug davon, dass man sich kaum noch getraut, öffentlich das zu sagen, was man denkt. Diese Angst ist nicht nur für die Literatur bedenklich, sondern auch demokratiepolitisch.

Im Zentrum Ihres Buches steht ein äusserst brutaler Anschlag auf die Berliner Kulturszene. Die Gäste werden von islamistischen Terroristen in Geiselhaft genommen – und einer nach dem anderen wird ermordet. Aktuell, brisant und keine leichte Kost. Was hat Sie zum Schreiben angeregt?
Auslöser war der Anschlag auf «Charlie Hebdo» vor zwei Jahren. Da wurde klar, dass diese Mörder die Freiheit des Geistes, die Freiheit der abweichenden Meinung und der Satire angreifen, dass sie im Grunde diese Freiheiten töten wollen. Darüber musste ich schreiben.

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Ihr Roman handelt von den drei von Ihnen bezeichneten «Abgründe», vom religiösen Fundamentalismus, von der politischen Korrektheit und der Totalverwertung des Menschen im Kapitalismus. Was kritisieren Sie?
Ich glaube, das sind aktuelle Grundgefahren für unsere freie Gesellschaft: der radikale Islam, der den Gottesstaat anstrebt. Dann die politische Korrektheit, die unsere Meinungsäusserungsfreiheit und letztlich das kritische Denken langsam erstickt. Man will uns erziehen statt informieren. Die politische Korrektheit will uns von falschen Meinungen bezüglich Migration, EU oder Religion therapieren statt zum eigenen, selbständigen Denken bringen. Eine weitere Gefahr, die ich sehe, ist ein entfesselter Globalismus, der den Menschen zur Ware degradiert und in eine beschleunigte Hamsterrad-Existenz zwingt.

Wer will uns «erziehen statt informieren»?
Teile des politischen und kulturellen Establishments. Ich beobachte eine zunehmende Moralisierung politischer Debatten, wobei es nicht mehr um einen sachlichen Wettbewerb der Ideen und Positionen geht, sondern ob man mit seiner Meinung zu den Guten oder Bösen gehört. Wenn Politik moralinsauer wird, leidet der offene Austausch. Und die Medien benehmen sich dann wie Lehrer. Dabei müssen sie uns nicht erziehen, sondern informieren, aufklären.

Was wollen Sie mit Ihrem Roman erreichen?
Ich möchte mit guten Büchern begeistern und zum Denken anregen. Möglichst viele und möglichst in verschiedene Richtungen. So dass man sich wieder mehr getraut, offen seine Meinung zu sagen und ehrlich zu sein, ohne gleich «Schiss» zu haben vor beruflichen oder gesellschaftlichen Nachteilen.

Wer getraut sich nicht, offen seine Meinung zu sagen?
Viele Leute sagen mir unter vier Augen, dass sie dies oder jenes gerne liken oder öffentlich sagen würden, es aber wegen dem Job nicht gehe.

In Ihren ersten drei Romanen («Riss» 1995, «Kippzustand» 2002, «Santinis Frau» 2006) verarbeiteten Sie Ihre Erfahrungen als Secondo, aufgewachsen im Emigrantenmilieu. Was verarbeiten Sie jetzt mit «Der Abschied»?
Die aktuellen politischen Entwicklungen, die mich als Bürger beschäftigten. Ausserdem meine Erfahrungen als PR-Mann der Kirche, die mich krisenfest und auch kritischer gemacht haben, sowie extrem spannende Mandate, die ich nicht missen möchte. Schliesslich ein persönliches Trauma, den Suizid meines Bruders vor zehn Jahren.

Bei der Rezension des aktuellen Romans schrieb ein Journalist: «Es wird Ärger geben». Gibt es diesen bereits?
Ja, ich bekomme Drohbriefe. Aber die positiven und dankbaren Stimmen sind in der Überzahl.

Von wem kommen diese Drohbriefe und was steht darin?
Da sie anonym sind, kann ich nur spekulieren. Aufgrund der Schreibweise vermute ich, dass sie nicht von Moslems kommen, sondern von Personen, die sich politisch am rechten Rand bewegen. Es sind Briefe mit Fotos von mir, vom Papst und von der Bundesrätin Sommaruga drin, bei allen sind die Augen herausgestochen. Zudem stehen Sätze drin wie «vom Teufel befallen» und «Sie sollten entsorgt werden».

Wie gehen Sie damit um?
Es ist das erste Mal, dass ich solche Briefe bekomme. Und ehrlich gesagt, weiss ich es nicht. Aber ich habe als erstes all meine persönlichen und privaten Fotos von Social Media genommen.

Sie sind PR-Berater, Bischofssprecher, Buchautor und Familienmensch. Unterschiedlicher könnten die Lebenswelten nicht sein. Wie passt das zusammen?
Ich finde, Schriftsteller sollten, ähnlich wie unsere Parlamentarier, im Milizsystem arbeiten. Sie sollten möglichst von anderen Berufen leben, die Bodenständigkeit und Anpassungsfähigkeit verlangen. So bleibt man geerdet und in Kontakt mit verschiedenen Lebenswelten. Mich jedenfalls inspiriert das sehr.

Dann gibt es bereits Ideen für ein nächstes Buch?
Ja, ich arbeite bereits daran. Aber ich verrate noch nichts.

Sie haben vor zehn Jahren begonnen, Theologie zu studieren. Dann aber mangels Zeit unterbrochen. Mittlerweile liegt das Studium auf Eis. Haben Sie vor, es jemals wieder aufzunehmen?
Es sieht nicht danach aus, aber man kann nie wissen.


*Giuseppe Gracia wurde 1967 als Sohn eines sizilianischen Vaters und einer spanischen Mutter in St. Gallen geboren. Dort lebt er noch heute als Schriftsteller und Kommunikationsberater. Er hat mehrere Romane geschrieben und verfasst regelmässig Beiträge für Zeitungen. Zudem ist er Mediensprecher des umstrittenen Churer Bischofs Vitus Huonder. Gracia ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Am 20. Juni, 19 Uhr, findet in St.Gallen bei Orell Füssli eine Lesung und ein Podiumsgespräch zum neuen Roman statt. Nebst dem Autor ist auch Saïda Keller-Messahli, Präsidentin Forum für einen fortschrittlichen Islam, mit dabei. Moderator ist Jürg Ackermann, Stv.-Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt». In Basel findet das Gespräch am 21. Juni, 19 Uhr, bei Littmann Kulturprojekte zusammen mit Thomas Kessler, Integrationsbeauftragter des Kantons Basel, Gerhard Pfister, Präsident CVP , Mustafa Atici, Präsident SPS Migranten, statt. Moderator ist Dominik Feusi, Leiter Bundeshausredaktion «Basler Zeitung». In Luzern ist Giuseppe Gracia am 14. September, 19 Uhr, im LZ Medienhaus zu Gast. Mit dabei: Saïda Keller-Messahli und Gerhard Pfister. Moderiert wird das Gespräch von Jérôme Martinu, Chefredaktor «Luzerner Zeitung».

 



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