07.06.2016

Blue Balls Festival 2016

«Man kann mich einen Heuchler nennen»

Der deutsche Rapper Kool Savas tritt Ende Juli am Blue Balls Festival in Luzern auf. persoenlich.com hat sich mit dem Musiker über Konzerte in der Schweiz, den Kapitalismus und die Grenzen künstlerischer Freiheit unterhalten.
Blue Balls Festival 2016: «Man kann mich einen Heuchler nennen»
von Lucienne Vaudan

Sie treten am Blue Balls Festival in Luzern unter anderem neben Seal auf...
See?

Seal!
Wer?

Der Ex von Heidi Klum!
Ach so. Das wusste ich gar nicht, dass der da auch spielt.

Welches Publikum erwarten Sie in Luzern?
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich war zwar schon mal in Luzern, aber die Schweiz ist da immer wie eine Wundertüte, da weiss man nie was einen erwartet. Obwohl das Land so klein ist, gibt es so viele verschiedene Arten von Publikum. Von Partygeil und ekstatisch bis hin zu sehr ruhig und besonnen habe ich da schon alles erlebt. Aber ich hoffe schon, dass es ein Hip-Hop-Publikum wird, da fühle ich mich immer am wohlsten.

Sie gelten als Künstler, der sich auch mal gesellschaftlich engagiert. Was liegt Ihnen denn besonders am Herzen?
Also ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich besonders engagiere, jedenfalls viel weniger als ich müsste. Das geht uns ja alle etwas an. Ich finde die Politikverdrossenheit, die wir alle an den Tag legen, das ist schon peinlich. Irgendwie ist es aus der Mode gekommen, für sein Umfeld und seinen Kiez etwas zu machen. Gerade in einer Stadt wie Berlin lebt halt jeder für sich und arrangiert sich selber mit der Situation. Ich glaube schon, dass wir alle mehr machen könnten. Uns stehen alle Informationen zur Verfügung, wir wissen so viel – dann ist es schon ein wenig ignorant wenn man gar nichts tut.

2012 sagten Sie, Sie kennen keinen Politiker, dem Sie Ihre Stimme geben würden. Wie sieht denn das heute aus?
Ich kann Politiker als Menschen durchaus sympathisch finden. Wenn man sich aber entscheidet, in diesem System Politiker zu werden entscheidet man sich folglich dazu, diesem System zu dienen und dieses System aufrecht zu erhalten. Wir sprechen hier von einem kapitalistischen System, das darauf aufbaut, andere Menschen auszubeuten. Das ist nichts, was ich vertreten kann. Obwohl man diesbezüglich auch sagen könnte, dass ich ein Heuchler bin, weil ich auch auf materielle Dinge stehe und möglichst viel Geld verdienen will. Trotzdem habe ich kein Interesse daran, diese Art von Politik zu unterstützen.

Sie sind ein Kapitalismuskritiker?
Ja, selbstverständlich. Wer kann sich denn da hinstellen und allen ernstes sagen, ich finde Kapitalismus gut? Wir leben im Kapitalismus, wir haben uns damit arrangiert. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen im Herzen eine andere Vorstellung von einem menschlichen Miteinander haben. Wenn uns klar wäre, was politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die wir hier treffen für Menschen woanders bedeuten, würden wir zwei-, drei-, viermal darüber nachdenken.

Gleichzeitig haben Sie sich einen neuen Mercedes angeschafft, der nicht gerade ein Schnäppchen war. Wie geht denn der Hang zum Luxus mit der Kapitalismuskritik einher?
Ich sagte ja, man kann mich diesbezüglich einen Heuchler nennen. Mir gefallen materielle Dinge und ich betäube mich manchmal auch damit. Ich bin ein Autonarr und ich gebe auch viel Geld aus für die Autos, die ich fahre. Ich fühle mich wohl dabei, aber ich weiss auch, dass das nicht richtig ist. Mit dem Geld, das ich für Autos ausgebe, könnte ich einige Familien in anderen Ländern durchbringen, das ist mir bewusst.

Sie sind ja nicht nur Kapitalismuskritiker, sondern auch Vegetarier. Wie kam es dazu?
Ich habe vor 20 Jahren ein paar Mädels kennen gelernt, die Vegetarierinnen waren. Ich hab dann kurz darüber nachgedacht und mir überlegt, dass es nicht sehr viel Sinn macht, Tieren Leid beizufügen, nur um sich kurz den Bauch vollzuschlagen. Seitdem esse ich kein Fleisch. Ich bekenne mich dazu, aber ich kämpfe nicht dafür. Ich will niemanden belehren oder umstimmen.

Ihr neues Album trägt den Titel «Märtyrer». Sie haben im Kontext der Pariser Terroranschläge gesagt, sie würden heute einen anderen Titel wählen. Wie stark trennen Sie denn zwischen apolitischem Künstler und politischem Menschen?
Früher war ich der Meinung, als Künstler dürfe man alles sagen. Nur, wenn man dann auf der Bühne steht und man merkt, dass die Dinge die man sagt auch ernst genommen und verarbeitet werden, dann fängt es schon an zu rattern. Ich kann das eigentlich ganz gut trennen, aber es gibt mittlerweile auf jeden Fall Sachen, die ich unter Freunden sage, die ich so aber nicht in meiner Musik verwenden würde.

Warum filtern Sie sich da selbst?
Weil die Leute nicht in meinen Kopf schauen können. Wenn ich etwas sage und für mich steckt da Sarkasmus dahinter, könnte das jemand anderes aber wortwörtlich nehmen. Ich meine das sehe ich ja auch, wenn ich Posts auf Instagram oder Twitter verfasse. Da gibt es oft genug Leute, die etwas offensichtlich Zynisches in den falschen Hals kriegen und mit denen ich mich dann auseinandersetzen muss. Meine Musik spiegelt nicht in jeder Facette wieder, was ich denke und fühle.

Hat deutsche Rap-Musik das Potenzial die Leute politisch zu mobilisieren?
Ich habe Rap Musik nie als super politisch empfunden. Ich habe schon das Gefühl, dass es eine rebellische Kultur ist, aber keine revolutionäre, bis auf Ausnahmen wie Public Enemy gibt es eigentlich nur sehr sehr wenige Rap-Musiker, die wirklich Wert darauf gelegt haben, politische Statements zu bringen. Und wenn Hip Hop mit politischen Aussagen vermischt wird, dann oft von jungen Künstlern, die ein bisschen verblendet sind und sich noch nicht gross mit den Sachen auseinandergesetzt haben. Einer der wenigen, die ich mir anhören kann und wo ich das Gefühl habe, das hat Hand und Fuss ist Lupe Fiasco, da geht es oftmals aber auch mehr um zwischenmenschliche Dinge. Rap ist halt Musik, das ist nun mal grösstenteils banal.


Das Blue Balls Festival findet vom 22. bis 30. Juli 2016 in Luzern statt. 

Bild: zVg



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