22.06.2000

Umstrittener Journalisten-GAV

Statement von Verhandlungsdelegationsmitglied Urs Gossweiler

Mit einem offiziellen Statement gegenüber allen drei Sozialpartnern (SVJ, Comedia und Schweizer Presse) griff am Donnerstag Mittag Verleger Urs Gossweiler (Bild), Mitglied der Verhandlungsdelegation der Arbeitgeber, in die Diskussion um die Umsetzungsprobleme des neuen GAV ein. Gossweiler will damit einer erneuten Kündigung des erst gerade in Kraft getretenen GAV verhindern. Viele Mitglieder von Schweizer Presse drohen nämlich gar mit dem Austritt aus dem Verband und damit aus der Sozialpartnerschaft, falls die umstrittene Lohnstufe ab 9. Berufsjahr nicht aufgelöst wird. Gossweiler bedauert seine in diesem Punkt schlechte Verhandlungsposition, war er doch als Mitglied der GAV-Verhandlungsdelegation von Schweizer Presse Vertreter der kleinen und mittleren Zeitungen. Das nachfolgend im Wortlaut publizierte Statement ging an alle drei Sozialpartner.
Umstrittener Journalisten-GAV: Statement von Verhandlungsdelegationsmitglied Urs Gossweiler

"Die Vorbereitungen auf die Verhandlung für den jetzigen GAV waren lang und zum Teil langwierig. Die Verhandlungen selbst waren inspirierend, manchmal mühsam, zum Teil auch spannend und ab und an auch humorvoll. Mir persönlich, als Mitglied der Verhandlungsdelegation der Arbeitgeberseite, haben die letzten zwei Jahre viel mitgegeben. Vor allem bin ich bestärkt worden in der Sinnhaftigkeit der Sozialpartnerschaft.

Trotz all dieser positiven Erfahrungen muss ich einen schweren Fehler eingestehen und bedaure diesen auch: Beim neuen, nun gültigen Lohnregulativ sind mir auf Grund vieler struktureller Änderungen die konkreten Zahlen abhanden gekommen. So ist mir nicht bewusst geworden, dass die Stufe 9. Berufsjahr nicht nur für viele meiner Verlegerkolleginnen und -kollegen zu Umsetzungsproblemen führt, sondern explizit auch für unseren eigenen Zeitungsverlag. Der Gund liegt darin, dass die Mindestlöhne für Journalistinnen und Journalisten ab dem 9. Berufsjahr bei kleinen und mittleren Zeitungen auf dem Lande Fr. 6'810.– beträgt. Dies unabhängig der Leistung, Ausbildung oder sonstigen zusätzlichen Verdiensten. Da in der Schweiz nur 15 Prozent der Bevölkerung mehr als Fr. 7'000.– pro Monat verdient, scheint uns dieses Gehalt als minimaler Grundlohn im GAV zur sozialen Absicherung zu hoch.

Aufgrund dieser Umsetzungsprobleme des neuen GAV haben einige Mitglieder von Schweizer Presse bereits ihren Austritt aus dem Verband und somit aus der Sozialpartnerschaft gegeben. Einige andere drohen mit einen Austritt auf Zeit, der jedoch zu gleichem Resultat führen könnte. Bei mir persönlich rufen regelmässig Verleger aus der ganzen Schweiz an und bestätigen mir den Ernst der Lage.

Infolge dieser Vorkommnisse, für die vor allem ich die Verantwortung trage, da ich als Interessenvertreter für die kleinen und mittleren Verlage in die Delegation gewählt wurde, habe ich mich für folgenden, unkonventionellen Schritt entschieden:

1. Unser Unternehmen, die Gossweiler Media AG wird die Stufe 9. Berufsjahr bei der Umsetzung des GAV ignorieren.

2. Allfällige rechtliche Schritte seitens der Gewerkschaften nehmen wir in Kauf.

3. Sollte sich der WeKo-Entscheid für die Neuordnung der Berner Oberländer Medienlandschaft noch lange hinziehen, kommt unser Medienhaus zusätzlich um eine selbstdeklarierte Zurückstufung auf Niveau Tessin nicht herum (was gemäss GAV möglich ist).

4. Ich werde weder ganz noch aus taktischen Gründen vorübergehend aus dem Verband Schweizer Presse austreten, habe jedoch Verständnis für Verlage, die es tun werden.



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