08.02.2006

FOLKERS GERD, Professor für pharmazeutische Chemie ETH Zürich/Januar/Februar 2006

Sprache verbindet: Professor Gerd Folkers, Leiter des Collegium Helveticum, muss zusammenbringen, was sich nicht versteht: Natur- und Geisteswissenschaftler. Wenn ein Physiker von Körper spricht, meint er vielleicht die Newton’schen Bewegungsgleichungen. Das lag Nietzsche fern. Der Apotheker meint damit das Verdauungssystem. Und der Religionsphilosoph möchte vom Körper allenfalls erlösen. Wie vereinigt man Komplementäres, um grössere Zusammenhänge besser zu verstehen?

Das Collegium Helveticum hat sich die Aufgabe gegeben, Natur- und Geisteswissenschaften einander wieder anzunähern.

“Ich möchte mit dem Begriff der Komplementarität beginnen. Wenn zwei Dinge komplementär zueinander sind, kann man das mit dem Verhältnis von Mann und Frau vergleichen. Beide sind nicht identisch und werden sich vielleicht auch nie verstehen. Aber für ganz bestimmte Zielsetzungen und Projekte kann man nicht aufeinander verzichten. So etwas nennt man Komplementarität. Sie existiert beispielsweise in der Biologie, wo sich die chemischen Bestandteile der Gene oder ‘Lebensmoleküle’ gegenseitig ergänzen. Sie sind in ihrer Struktur nicht identisch. Nur wenn sie zusammenkommen, wird die notwendige Information generiert. Eine solche Komplementarität gibt es auch zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften, beispielsweise zwischen Religion und Physik. Sie sind von fundamental anderer Art, aber sie brauchen sich gegenseitig, um bestimmte Zusammenhänge verständlich zu machen.”

Wo besteht die Problematik zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern?

“Die grösste Problematik ist die Sprache. Sie müssen sich, um in beiden Gebieten Karriere zu machen, eine Sprache und damit automatisch einen Denkstil aneignen. Und darin unterscheidet sich die Natur- von der Geisteswissenschaft. In der Naturwissenschaft existiert eine andere Art von Forschung, bei der man Hypothesen aufstellt und Experimente macht. Diese Form der Empirie verbindet man nicht mit den Geisteswissenschaften.”

Ein Beispiel?

“Wenn ein Physiker von Körper spricht, dann denkt er vielleicht an die Newton’schen Bewegungsgleichungen. Das lag Nietzsche fern. Wenn ich als Apotheker von ‘Körper’ spre-che, meine ich damit das Verdauungssystem und den Blutkreislauf. Wenn ein Religionsphilosoph von ‘Körper’ spricht, dann möchte er mich in der Regel davon erlösen. Wir haben also alle ein unterschiedliches Bild von dem Begriff ‘Körper’. Wir sollten deshalb eine Struktur schaffen, die klärt, wovon man eigentlich spricht. Erst dann wird erkennbar, was sich befruchtend ergänzt.”



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