07.11.2017

Agenturauswahl

Pitchen – oder zu Alternativen switchen

Wie der Catwalk bei einer Modeshow gehören Pitches zum Agenturalltag. Sie sind aber zeitintensiv und teuer. Die Tendenz geht momentan klar in Richtung Alternativen. Wie stehen Werbeauftraggeber und Agenturen dazu? persoenlich.com hat nachgefragt.
Agenturauswahl: Pitchen – oder zu Alternativen switchen
Ob Schaulaufen oder Agenturpitch: Beides sind Präsentationen, mit der man sich um einen Auftrag bemüht. (Bild: Keystone)
von Christian Beck

Pitches sind nicht das Mass aller Dinge. Immer wieder ärgern sich Agenturen über zeitintensive oder gar unfaire Wettbewerbe. Tatsächlich fand im letzten Jahr bei der Vorgehensweise der Auftragsvergabe eine Verschiebung statt, wie die Werbemarktstudie 2016 zeigt: Nur 11 Prozent der Auftraggeber setzten noch Konkurrenzpräsentationen ein. 2015 waren es 40 Prozent der Befragten. (persoenlich.com berichtete).

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«Diese Veränderung ist erfreulich, da die Vorbereitung und Durchführung von Konkurrenzpräsentationen für beide Seiten sehr aufwändig, zeitraubend und in den meisten Fällen weniger zielführend ist als gleich in ein Projekt einzusteigen oder eine Agenturevaluation zu machen», schrieben die Autoren damals dazu.

Wie stehen der Schweizer Werbe-Auftraggeberverband (SWA), ADC Switzerland und Leading Swiss Agencies (LSA) aktuell zu Pitches? persoenlich.com hat nachgefragt.

Dafür oder dagegen?

«Pitches gehören zum Wettbewerb – keine Agentur ist gegen sinnvolle Pitches», sagt ADC-Präsident Frank Bodin. Sinnvoll sei ein Pitch dann, wenn mit den Ressourcen – Menschen, Zeit, Geld – respektvoll umgegangen werde.

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«Ein Pitch eignet sich, um die Partneragentur für eine langfristige Zusammenarbeit zu finden. Richtig und fair durchgeführt, kann er zum gewünschten Resultat führen», sagt auch LSA-Präsident Roman Hirsbrunner.

Und die Werbeauftraggeber – sind die eher für oder gegen Pitches? «Wie sagt man gut schweizerisch: es kommt darauf an», so SWA-Geschäftsführer Roland Ehrler mit einem Lachen. Es gebe Situation, welche für und solche, die gegen einen Pitch sprechen.

Nachteile von Pitches

Angesprochen auf die Nachteile von Pitches, werden die drei Angefragten ziemlich ausführlich.

«Wer würde, wenn er einen Anwalt sucht, vorab erst mal mit fünf bis sechs Anwählten einen Musterprozess durchführen – und das möglichst ohne Honorar –, um zu sehen, was die Herren ‹so drauf haben›?», bringt es Bodin auf den Punkt. Viel eher würde man sich mit vier bis fünf Anwälten, von denen man Referenzen erhalten habe, zu einem unverbindlichen Gespräch treffen, um zu spüren, ob ein gegenseitiges Verständnis und auch eine gewisse Sympathie bestehen. Warum sollten bei der Wahl einer Agentur andere Regeln gelten?

Auch Hirsbrunner sieht nicht alles rosa: Ein Pitch erfordere von Auftraggeber und Agentur einen grossen zeitlichen Einsatz. Richtig durchgeführt, daure ein vollständiger Pitchprozess mehrere Wochen: Zeit, die für das Projekt später vielleicht fehlt. «Die Zusammenarbeit zwischen Agentur und Kunde ist in Pitches weniger intensiv als in der Realität, oft kommt so nur die ‹Sonnenseite› der beiden Partner zum Vorschein», sagt Hirsbrunner. Wenig Collaboration und wenig Komplexitätsreduktion seien weitere Punkte, die gegen einen Pitch sprechen würden.

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Auch Ehrler von den Auftraggebern ist der Meinung, dass ein Pitch für alle aufwändig sei und wohl überlegt sein soll. «Zudem wird sich die Agentur überproportional und mit den allerbesten Kräften ins Zeug legen, um den Pitch zu gewinnen. Im späteren Tagesgeschäft mit der gewählten Agentur kann das dann anders aussehen.» Weiter entstehe bei der Agentur sehr viel Arbeit, welche mit dem Pitchhonorar für die Verlierer nur teilweise abgegolten werde. «Indirekt bezahlen somit alle Werbeauftraggeber für Pitches, an denen ihre eigene Agentur teilnimmt», so Ehrler.

Vorteile von Pitches

Die Vorteile von Pitches haben die Angefragten schneller aufgezählt. Einer der Vorteile sei, dass der Werbeauftraggeber neue Agenturen und deren Kreativpotenzial kennen lerne, so Ehrler.

«Nebst Lösungswegen bieten Pitches die Möglichkeit, die Menschen kennenzulernen – der wichtigste Punkt für eine langfristig erfolgreiche Partnerschaft», sagt Bodin.

Hirsbrunner streicht den Wettbewerbscharakter als Vorteil heraus: «Gewinnen will jeder gerne. Ein Wettbewerb schürt den Ehrgeiz aller Beteiligten und kann zu neuen und überzeugenden Resultaten führen.» Werde ein Pitch fair und transparent durchgeführt und den Agenturen eine klare Aufgabe gestellt, würden sich die Ergebnisse relativ gut miteinander vergleichen lassen.

Pitches sind teuer

Der grössere Teil der Arbeit bei Pitches falle sicher bei den beauftragten Agenturen an, sagt Ehrler. Aber auch der Werbeauftraggeber sei gefordert, mit einem umfassenden Briefing, fairen Auswahlkriterien und der Einbindung von Entscheidungsträgern.

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«Wer eine echte Chance haben will, muss in Analyse, Argumentation und Ausarbeitung in jedem Fall einen hohen Qualitätsgrad anzielen», so Hirsbrunner. Das brauche erfahrungsgemäss schnell mal 500 Mannstunden und mehr.

Wenn in einem Pitch umfassende Strategie und Kreation verlangt sei, dann liege der Agenturaufwand schnell bei 150’000 bis 300’000 Franken, sagt Bodin. «In der Schweiz nehmen führende Agenturen nur an Creative-Pitches teil, wenn maximal vier Agenturen involviert sind und eine kleine Unkostenentschädigung bezahlt wird – zwischen 10’000 und 25’000 Franken.»

Alternativen zu Pitches

Alternativen gibt es laut Hirsbrunner einige. Er verweist auf den «Leitfaden zur Agenturauswahl» der LSA. Darin werden unter anderem Agenturevaluation, Pilotprojekte oder Offertanfrage ausführlich vorgestellt. Auch laut Bodin gibt es jede Menge Alternativen, wie Präsentationen, Chemistry-Meetings, Workshops, Strategie-Pitches – «und manchmal einfach ein gesunder Menschenverstand».

Für Auftraggeber komme die Agenturevaluation für kleinere Budgets in Frage – oder wenn man bestimmte Agenturen näher prüfen wolle, so Ehrler. Auch die Offertanfrage erachtet er als eine weitere Möglichkeit, die Eingaben von Agenturen zu prüfen und sich für einen Partner zu entscheiden.

Sind die Alternativen sinnvoller?

Alternativen zu Pitches gibt es also reichlich. Wie sinnvoll ist es, langfristig auf diese zu setzen? «Jeder Werbeauftraggeber muss für sich selbst herausfinden, wie er zur besten Kommunikation und den besten Partnern kommt. Bekanntlich führen viele Weg nach Rom», sagt Ehrler. Bodin meint, dass viele Auftraggeber den Empfehlungen von Leading Swiss Agencies folgen und auf unterschiedlichste Formen der Agenturevaluation setzen würden.

Für LSA-Präsident Hirsbrunner ist klar: «Die Tendenz geht klar in diese Richtung. Für die Agenturauswahl bleibt immer weniger Zeit, die Aufgaben werden aber komplexer.» Immer mehr gelte es, verschiedene Partner für unterschiedliche Themen kurzfristig zu rekrutieren. Der LSA unterstützt die Auftraggeber zudem mit einem neuen Tool auf der Website: der Agentursuche (siehe Bilder oben). Hier lassen sich Agenturen aufgrund von Referenzarbeiten vergleichen und so eine erste Vorauswahl machen.



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