18.06.2018

Cannes Tagebuch #1

Und es wurde Gleichberechtigung erschaffen

Ich sehe mit Freude, dass sich immer mehr Frauen aus der Schweiz finden, die in der Kreativbranche «etwas erreicht» haben, schreibt Art- und Creative Director Inken Rohweder.
Cannes Tagebuch #1: Und es wurde Gleichberechtigung erschaffen
Inken Rohweder in Cannes. Sie ist selbstständig in Art & Creative Direction. (Bild: zVg.)

Was fällt den Schweizer Kreativen dieses Jahr bei der Werbe-Weltmeisterschaft in Cannes auf? persoenlich.com hat sie gebeten, ein Tagebuch zu schreiben. Den ersten Eintrag, direkt und taufrisch von der Croisette, hat Inken Rohweder verfasst. Sie ist selbstständig in Art & Creative Direction.


Montagvormittag in Cannes. Noch meint man, es spiele sich mehr französisches Leben in den Strassen ab, als internationale Arbeiten begutachtet und Talks im Palais und an der Croisette stattfänden.

Der Eindruck täuscht und als ich im Penthouse des Martinez aus dem Aufzug steige, fühle ich mich wie in eine der intergalaktischen Bars aus einem Starwars Movie gebeamt, in so vielen Sprachen wird durcheinandergeredet. Und nicht nur das: überall Frauen in bunten Kleidern?

Ich bin auf einem Event des «Female Quotient» – einer Organisation aus den USA, deren Vision Gleichberechtigung am Arbeitsplatz ist. Weltweit, für alle, nicht nur auf Frauen bezogen, aber irgendwo muss man ja anfangen. Hier tummeln sich «Female Leaders» und solche die es mal werden wollen. Somit passt der Vergleich zu einer Bar am Ende der Galaxis leider besser als gedacht – denn bei uns auf der Erde sieht eine Ansammlung von Chefs immer noch deutlich anders aus.

Von morgendlichen Box-Sessions über Panels wie «Equality in the Boardroom: Diversity of Thought» oder «Unlocking a new Style of Leadership for Creativity and Success» bis hin zu «Purpose Driven Marketing: Why successful Brands Are Leading with heart» und Speakern wie beispielsweise Bozoma Saint John, Ubers Chief Brand Officer, Sedef Onar, 72andSunnys Partner and Chief Talent Officer, oder Marc Pritchard, P&G Chief Marketing Officer, ist eine Woche voller Insights und Inspiration zu erwarten.

Die Wichtigkeit, die das Thema «Equality and diversity at the workplace» hat wird durch das hochkarätige Angebot unterstrichen und der Sache förderlich ist, dass es auch für diejenigen zugänglich ist, die sich keinen fast 4000 Franken teuren Festivalpass leisten können. Es ist gratis.

Ich sehe mit Freude, dass sich auch in der Schweiz immer mehr Frauen finden, die in der Kreativbranche «etwas erreicht» haben und die jetzt die Vorbilder sein könnten, die früher noch etwas rarer gesäht waren. Momentan ist mein Eindruck zu mancher Stimme jedoch: «nur» weil sie eine Führungsposition innehat, muss sich ja nicht jede Frau zu allem äussern. Ich finde es beispielsweise wenig vorbildlich, das Gender-Thema als «müssig» darzustellen, denn nicht nur gibt es Handlungsbedarf, schaut man ganz nüchtern die Zahlen an, auch macht sich solche Aussage in meinem Empfinden lustig, über all jene Frauen – und Männer – die sich in irgendeiner Form für das Thema einsetzen.

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Die objektive Distanz fehlt mir auch bei Aussagen, die anführen, «wer etwas leiste und sich anstrenge, der würde auch belohnt» Demnach gehört die grosse Mehrheit der leistungs- und karriereorientierten Frauen, die ich so kenne zu der Gruppe fauler und untalentierter Weiber, die sich in Cannes nur den Rosé reinstellt und nicht den Award. Sorry, Girls, nicht genug angestrengt – oder habt ihr gar schon mal im Büro geheult? Da kann man echt nur sagen: selber schuld! Das ist vielleicht doch etwas eindimensional.

Von meinen «Role Models» in der Schweiz erwarte ich ein Hinausschauen über ihren Tellerrand, sei dies ein Espresso-Untertellerchen oder eine Servierschale. Ich erwarte beispielsweise, dass irgendeine, wenn gefragt, wie hoch denn der Frauenanteil in ihrer Agentur sei, auch mal Interessanteres ungefragt beantwortet. Zum Beispiel: Wie hoch ist denn der Frauenanteil in Führungspositionen? Oder was ist eigentlich der anteilige Unterschied zwischen Beratung und Kreation? Und wer ist Mutter? Und wie macht die das denn genau? Und...

Ich erwarte, dass mehr Frauen auch öffentlich bemerken, dass sie zu der verschwindend kleinen Prozentzahl in der Schweiz, in Europa, ja der Welt gehören, die überhaupt eine Führungsposition innehat und ich erhoffe mir, dass sie diese Tatsache auch einmal von einer Seite beleuchten, die vielleicht Kritisches anführt. Überhaupt: Sollte es nicht immer möglichst objektiv darum gehen, warum es nur so wenige «nach oben» schaffen, angesichts der Tatsache, dass sich aus knapp zwei Handvoll persönlicher Erfolgsgeschichten kaum eine relevante Karriere-Formel ableiten lässt?

Und was läuft eigentlich bei den Männern? Die haben immer schon hart gearbeitet, dazu nicht rumgeheult und auch mal zum Zmittag strategisch abgemacht, um die Leiter hochzukommen? Sure. Allein, ich würd gerne mehr davon erfahren, was meine männlichen Kollegen und Role Models dazu sagen. Und was sie sich für die Zukunft wünschen. Männer sind in der Penthouse Suite ebenfalls herzlich willkommen ... und voll dabei. Passend dazu sehe ich gerade das Wort «FEMENIST» auf einem T-Shirt.

Nun denn, zweifelsohne sind auch in der Schweiz alle der Frauen in Top-Positionen durch Leistung dort, wo sie jetzt sind. Alles andere wäre ja noch schöner! Aber ganz schön wird es erst, wenn sich nun noch öfter deren «Outlier»-Status mit mehr Objektivität paaren würde, damit sie zusammen mit den Chefs von gestern den Arbeitsplatz von morgen gestalten können.

Tipps dazu gibt es hier – wer nicht noch schnell einen Flug buchen möchte, der kann ja online mal reinschauen.


persoenlich.com berichtet vor Ort über das Festival, das noch bis am 22. Juni dauert. Alle Berichte und Interviews zu den Cannes Lions 2018 finden Sie hier laufend ergänzt.



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