19.02.2017

Werbeagenturen

«Wir sind angespannter als auch schon»

Umsatzrückgänge, Stellenabbau, Schliessung ganzer Titel: In der Medienbranche dominieren Negativ-Schlagzeilen. Müsste das nicht auch auch in der Werbung so sein? LSA-Präsident Roman Hirsbrunner über den Gesundheitszustand der Branche.
Werbeagenturen: «Wir sind angespannter als auch schon»
Roman Hirsbrunner ist Präsident des Verbandes Leading Swiss Agencies (LSA) und CEO von Jung von Matt/Limmat. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Hirsbrunner, viele haben derzeit Erkältungen oder Grippe. Wie gesund sind Sie?
Ich bin sehr gesund, danke. Krank bin ich meist nur in den Ferien (lacht).

Und wie geht es der Werbebranche?
Es geht uns immer noch gut, aber wir sind angespannter als auch schon. Wir fürchten uns vor einem drohenden Schnupfen. Und machen entsprechend alles, um gesund zu bleiben.

Sie hatte auch schon vitalere Phasen.
Diese Anspannung betrifft nicht nur die Werbebranche, sondern die gesamte Wirtschaft. Das Umfeld ist kompetitiver geworden. Die Digitalisierung erfordert neue Geschäftsprozesse, unser Marktumfeld wird grösser. Wir stehen nicht nur innerhalb der Werbebranche in Konkurrenz, sondern mit vielen weiteren Playern. Die Globalisierung und Flexibilisierung fordern uns heraus. Von all diesen Entwicklungen ist die Werbebranche vielleicht früher betroffen als andere Branchen. Deshalb unternehmen wir alle viel, um mit der Entwicklung Schritt zu halten. Oder sogar ein wenig voraus zu sein.

Negativ-News wie derzeit in der Medienbranche müssten doch auch die Werbung betreffen.
Unsere kürzlich publizierte Umfrage zeigte auf, dass 45 Prozent der Werbeauftraggeber ihre Investition in Print gegenüber dem Vorjahr zurückfahren werden. Das bedeutet natürlich auch für uns weniger Umsatz mit Print. Aber die allermeisten Agenturen gestalten ja nicht einfach nur Inserate. Kommunikationsideen werden weiterhin stark nachgefragt. Ebenso strategische Beratung, Digital und Content. Es gibt immer mehr Kanäle, die wir bespielen können. Wer hier mitzieht, der wächst. Wer auf dem Bisherigen verharrt, stagniert.

Sie betonen die Chancen von Online. Hierfür braucht es aber erhebliche Investitionen und gleichzeitig sind auch noch die Margen viel kleiner.
Die Margen sind dann klein, wenn der Erfahrungsvorsprung fehlt. Entsprechend wichtig ist, dass man früh einsteigt und schnell auf die Lernkurve kommt. Das kostet zu Beginn. Bringt aber in einem wachsenden Umfeld viele neue Chancen.

Sie meinen wohl aufwändige Microsites und Games programmieren oder Content Marketing. Was lohnt sich besonders?
Das ist abhängig von der Spezialisierung und Qualität der jeweiligen Agentur. Wer in einem Bereich führend ist, der wird auch herausragende Leistungen für Kunden erbringen. Und damit lässt sich immer eine faire Marge erzielen.

Aber richtig kreative Werbung gibt es doch gar nicht mehr.
Das stimmt so nicht. Es gibt heute sehr viel kreative Werbung, nur sieht die nicht einfach jeder gleichzeitig. Werbung ist sehr viel individueller und zugeschnittener als früher. Das gemeinsame Lagerfeuer Fernsehen gibt es in dieser klaren Form nicht mehr. Und damit kommt es auch viel seltener vor, dass das ganze Land über einen TV-Spot redet. Die Leute sagen nicht mehr: „Wow, das war jetzt ein Highlight, eine Sternstunde, der Schweizer Werbung“. Und wenn, dann hält das Gespräch darüber nicht allzulange.

Heute wird jeder Konsument quasi in einem persönlich für ihn konzipierten Tunnel mit Werbebotschaften beliefert.
Das stimmt zunehmend. Und die Individualisierung der Botschaften und Contents wird immer besser. Das dient gleichzeitig dem Empfänger: Er erhält, was ihn interessiert. Und es dient uns Absender: Wir erreichen unsere Ziele.

Im letzten Jahr mussten viele grosse Agenturen Personal entlassen. In welchem Umfang bewegen sich diese Abbaumassnahmen?
Der Pesonalbestand aller 75 LSA-Agenturen liegt bei rund 2000 Mitarbeitenden und ist sogar leicht gestiegen. Bei Top-10-Agenturen halten sich Zu- und Abgänge die Waage.

Werden bald auch Serviceplan und Farner dem LSA beitreten?
Serviceplan Werbung ist bereits Mitglied. Vielleicht wird bald auch die ganze Gruppe in naher Zukunft Mitglied, das würden wir natürlich sehr begrüssen. Wir sind mit beiden Agenturen im Gespräch.

Der LSA kann seine Gesamt-Mitarbeiterzahl nur halten, weil zusätzliche Agenturen beitreten. Das bedeutet doch, dass bei einzelnen Agenturen Stellen abgebaut werden.
Wie gesagt: Es gibt immer Verlagerungen. Die steigende Komplexität der Aufgaben führt zu mehr Spezialisierung und Heterogenisierung der Berufsbilder. Eine Agentur braucht heute im Durchschnitt über 20 verschiedene Spezialisten, allerdings nicht jederzeit. In der Konsequenz werden nicht mehr alle fest angestellt, sondern erst bei Bedarf und nur temporär. Eine Begründung für die Tendenz zu kleineren Agenturen. Zudem: Uns interessiert nicht alleine die Anzahl Mitarbeitende in LSA-Agenturen, sondern vor allem der Wert, den die Agenturen gemeinsam erbringen. Im letzten Jahr lag der summierte Bruttobetriebsertrag bei 418 Millionen Franken und damit leicht höher als im Vorjahr.

Die Zukunft gehört also den Kleinen?
Nein, nicht per se. Kleine Agenturen sind sicher tendenziell schneller und agiler. Dafür aber auch schneller ausgelastet oder überlastet. Nicht zu unterschätzen ist der Wert von eingespielten interdisziplinären Teams. Grössere Agenturen können aus dem Stand loslegen und aus einer Hand und einer Danke liefern. Das hat für Kunden viele Vorteile.

Vor etwa einem Jahr musste Bluespirit Konkurs anmelden, ein Jahr zuvor die neue LGK. Stehen weitere solche Fälle bevor?
Wir überprüfen die LSA-Agenturen regelmässig. Alle drei Jahre wird stichprobenartig ein Qualitätscheck durchgeführt. Wir haben keine Indizien, dass eine Agentur bedroht sein könnte. Aber wir beobachten natürlich auch, dass einzelne kleinere Agenturen in den letzten Jahren wenig Wachstum hatten. Ich gehe davon aus, dass das eine oder andere Mitglied irgendwann einmal aufhören oder austreten wird. Das ist allerdings völlig normal: Agenturen haben wie alle Unternehmen einen gewissen Lebenszyklus, ihr „Fitnessgrad“ verändert sich. Auch kommt vor, dass der früher sehr dynamische Geschäftsführer keinen geeigneten Nachfolger findet. Das macht immer auch Platz frei für neue Agenturen. Insgesamt für mich: eine natürlich Auslese.

Laut Ihrer Studie setzen noch elf Prozent der Kunden auf Pitches. Ist das ein Vorteil für die Agenturen?
Korrektur: Die Leseart ist folgendermassen. 11 Prozent der vergebenen Aufträge wurden über Pitches vergeben. Es gibt in der Branche Stimmen, die Pitches verurteilen. Ich sehe das anders: Pitches können – richtig durchgeführt – ein effektives Instrument auf der Suche nach der passenden Agentur sein. Selten helfen Pitches aber Kunden dabei, die erfolgreichste Kampagne oder die beste Website zu erhalten. Dazu braucht es meist eine enge Zusammenarbeit zwischen Kunde und Agentur, was in Pitches naturgemäss nur schwer möglich ist. Der Rückgang bei den Pitches ist eine direkte Folge der komplexeren Aufgabenstellungen und dem zunehmenden Bedürfnis nach Kollaboration.

Was können Auftraggeber sonst machen?
Evaluationen oder Workshops sind oft geeigneter. Oder man lanciert ein Pilotprojekte. Bei Pilotprojekt arbeitet der Auftraggeber im Rahmen eines kleineren Projektes mit der Agentur zusammen und entscheidet nach Abschluss darüber, ob er die Zusammenarbeit weiter ausbauen will. Das hat für beide Seiten nur Vorteile: man weiss dann, zu was man ja sagt.

Ein Wort zum starken Franken: Wie bedrohlich ist die Konkurrenz aus dem Ausland?
Viele Kunden verstehen, dass wir Schweizer Agenturen aufgrund des Lohnniveaus teurer sind als ausländische. Sie sind meist auch bereit, für unsere Arbeit mehr zu bezahlen, denn sie schätzen die Nähe und unsere Qualität. Bei eher austauschbaren oder repetitiven Leitungen wie zum Beispiel Bildbearbeitung, Satz oder Programmierung verhält es sich natürlich anders. Wir Agenturen beziehen diese Leistungen ja selbst oft auch selber aus dem Ausland.

Das tönt jetzt aber etwas gar beschönigend. Wenn es ums Geld geht, sind doch Auftraggeber knallhart! Zudem beziehen bekanntlich ja Swisscom, Migros über Interio oder Coop Werbedienstleistungen aus Deutschland.
Wir können Auftraggeber nicht zwingen, mit Schweizer Agenturen zusammenzuarbeiten. Wir müssen sie aber die Vorteile erleben lassen, die eine lokale Kollaboration bringt. Mal gelingt das besser, mal weniger.

 

 

 



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