01.09.2000

Brot macht erfinderisch

In der Schweiz wird wieder mehr Brot gegessen. Entscheidend für diese Entwicklung sind nicht die sinkenden Brotpreise, sondern neue Brotkreationen, die clever vermarktet werden.

Nachdem der Brotkonsum in der Schweiz Mitte der Neunzigerjahre auf einem Tiefpunkt angelangt war, steigt er nun stetig an. Dabei spielt das 1995 initiierte "pain paillasse" des Genfer Bäckers Aimé Pouly eine wichtige Rolle. Der findige Westschweizer hatte eine alte Art der Brotherstellung wieder aufleben lassen. Der Teig wird mit wenig Hefe zubereitet und ruht dann 24 bis 48 Stunden, wodurch ein feuchtes, luftiges Brot mit knuspriger Kruste entsteht. Aimé Pouly liess seine auf diesem Prinzip beruhende Kreation "pain paillasse" patentieren. Bis heute hat er 160 Bäckern in der Schweiz die Lizenz verkauft.

Bei diesen Bäckereien hat sich das "pain paillasse" schnell zum Renner entwickelt. Matthias Bachmann, Geschäftsführer der Confiserie Bachmann in Luzern, sagt: "Wenn wir das 'pain paillasse' nicht gehabt hätten, hätten wir ein Problem bekommen." Die Bäckerei Jung in Zürich hat sogar ganz auf "pain paillasse" umgestellt und verkauft keine anderen Brote mehr, denn auf der Basis der drei Grundteige können die Bäcker beliebige Variationen herstellen. Heute wird 1 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Mehls zu "pain paillasse" verarbeitet. Patrice Bernard, der für den Verkauf der Lizenzen zuständig ist, erklärt den Erfolg des "pain paillasse" so: "Wir haben im richtigen Moment das richtige Produkt auf den Markt gebracht. Aber auch das Marketing ist sehr gut aufgezogen."

Aimé Pouly hat als erster gewerblicher Bäcker in der Schweiz ein derart professionelles Marketingkonzept für Brot auf die Beine gestellt. Mit Sponsoring von Autorennen, Plakat- und Radiowerbung macht er sein Produkt bekannt. Den Jingle aus der Radiowerbung, den er selbst gesungen hat, hört man sogar, wenn man in seiner Firma anruft und auf eine interne Verbindung wartet. Die Lizenznehmer, die neben einer einmaligen Grundgebühr von 2000 Franken einen Aufpreis von 40 Franken pro 100 Kilogramm der Pain-Paillasse-Mehlmischung bezahlen, erhalten mit dem Mehl Brotverpackungen und weiteres Werbematerial geliefert.

Nicht der Preis, sondern ein gutes Marketing sind für den Brotabsatz ausschlaggebend

Der Erfolg des "pain paillasse" hat die Branche auf Trab gebracht. Nicht nur, dass unzählige Kopien mit anderen Bezeichnungen auf den Markt kommen, es gibt auch andere Produzenten, die ihre Ideen ähnlich wie Aimé Pouly auf Lizenzbasis zu vermarkten versuchen. So verkauft die Bäckerei Sutter in Basel seit einem Jahr mit Erfolg Lizenzen für ihr Urigs-Brot. Und auch die Gebrüder Augsburger AG, eine Getreidemühle im Wallis, welche die Lizenz für die weisse Baguette "La Festival" vom französischen Hersteller gekauft hat, bietet in vergleichbarer Weise den Bäckern Mehl, Rezeptur und Werbematerial an.

Die Branche hat aus dem Fall "pain paillasse" aber noch andere Lehren gezogen. Da das "pain paillasse" mit durchschnittlich 3.50 Franken pro Pfund kein preisgünstiges Brot ist, scheint nicht der Preis, sondern ein gutes Marketing und die Exklusivität des Produkts für den Brotabsatz ausschlaggebend zu sein. Diese Erfahrung bestätigt sich sogar bei den Grossverteilern Migros und Coop. Die Brotpreissenkungen des letzten Herbsts haben sich nicht auf die Absatzmenge ausgewirkt. Ganz allgemein verkaufen sich bei Coop die durchschnittlich um ein Drittel teureren Spezialbrote besser als die Normalbrote. Um Exklusivität zu erzeugen, entwickelt Coop Brote, die nur während eines Monats im Verkauf sind - eine Strategie, die auch bei den gewerblichen Bäckern beliebt ist.

Die Bäckerfachschule Richemont in Luzern intensiviert ihr Ausbildungsangebot in Marketingfächern, damit die Bäcker das nötige Rüstzeug haben, um den Brotkonsum anzukurbeln. Denn im europäischen Vergleich wird in der Schweiz wenig Brot gegessen. Gemäss einer Studie war der Pro-Kopf-Verbrauch 1997 nur in Belgien und Luxemburg noch geringer.

In der Schweiz gilt knuspriges Brot als frisch, im Ausland muss es weich sein

Die Gründe liegen für Peter Rudin, Vizedirektor der Bäckerfachschule Richemont, in der Tradition eines Landes: "In der Schweiz wird Brot nicht als Unterlage gegessen, sondern es muss als solches gut sein." Ausserdem gelte in der Schweiz knuspriges Brot als frisch, während man im Ausland weiches Brot vorzieht. Knuspriges Brot aber gibt Krumen, die weggewischt werden müssen. In der inländischen Gastronomie ist das Brot daher nicht eben beliebt. Um den Gastronomen das Brot schmackhaft zu machen, bietet die Bäckerfachschule nun auch Kurse für Hotelfachschulen an.

Während viele Bäckereien erst anfangen, ihr Brot zeitgemäss zu vermarkten, geht Aimé Pouly schon einen Schritt weiter. Wenn das Gebiet der Schweiz mit Lizenzen gesättigt ist, was in etwa zwei Jahren erwartet wird, sollen vermehrt Lizenzen im Ausland verkauft werden. Denn immerhin ist das "pain paillasse" in 57 Ländern geschützt.



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