07.05.2018

Christian Belz

«Der Fortschritt im Marketing wird überschätzt»

Am Dienstag hält Christian Belz seine Abschiedsvorlesung als Professor an der Universität St. Gallen. Im Interview spricht er über die Polarisierung der Marketingforschung, sagt, von welchen Unternehmen zu lernen ist und was seine Zukunftspläne sind.
Christian Belz: «Der Fortschritt im Marketing wird überschätzt»
«Von KMUs kann man momentan betreffend Marketing viel lernen»: Der abtretende Professor Christian Belz. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Belz, Ihre Abschiedsvorlesung trägt den Titel «Essenz im Marketing». Welches sind für Sie die wichtigsten Pfeiler für ein erfolgreiches Marketing?
Zum Marketing werden nahezu täglich neue Begriffe kreiert. Dabei ist Marketing einfach: Es gilt, die Leistung für angestrebte Kunden zu bestimmen und diese mit Kommunikation, Verkauf und Kanälen zu verbinden. Essenzen sind keine Revolutionen, aber sie sind wichtig, wirksam und robust.

Können Sie genauer auf diese «Essenzen» eingehen?
In meiner Abschiedsvorlesung begründe ich vier Essenzen: Erstens braucht Marketing eine substanzielle Leistung des Unternehmens für Kunden. Zweitens muss Marketing mit Vielfalt und Spannungen umgehen. Dritte Essenz: Marketing und Vertrieb führen den Kunden zum Kauf. Und viertens: Verkaufen ist die wichtigste Disziplin im Marketing.

«Täglich werden neue Begriffe kreiert, dabei ist Marketing einfach»

Wie hat sich die Marketingforschung im Verlauf Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit verändert?
Es gibt heute eine Polarisierung der Marketingforschung. Der eine Teil wendet sich an die praktische, der andere Teil an die wissenschaftliche Gemeinschaft.

Wie unterscheiden sich die beiden Forschungsrichtungen?
Die praktische Gemeinschaft braucht problemorientierte und ganzheitliche Forschung, die auch die Brücke zu den spezifischen Situationen von Märkten, Unternehmen und Managern schlägt. Diese Forschung beruht auf einer engen Zusammenarbeit von Führungskräften und Forschern. Relevanz steht dabei im Zentrum.

Und die wissenschaftliche Gemeinschaft?
Die wissenschaftliche Gemeinschaft stützt sich auf eine standardisierte Forschung in weltweit führenden Journals. Sie ist eng, theoriebasiert, methodenorientiert und rigoros. Ausserdem knüpft sie stark an bestehenden Veröffentlichungen an.

«Es gibt heute eine Polarisierung der Marketingforschung»

Wie stehen die beiden Pole zueinander?
Sie befruchten sich gegenseitig. Weil aber der Forschungsnachwuchs inzwischen stark auf die wissenschaftliche Gemeinschaft setzen muss, befürchte ich, dass die Praxisorientierung rasch abnimmt.

Ist Marketing in Unternehmen und in der Forschung als Disziplin professioneller geworden?
Ich meine, dass der Fortschritt der Disziplin überschätzt wird. Marketing ist vor allem ein anspruchsvoller und individueller Lernprozess von Forschern und Führungskräften. Zum Glück gibt es viele gute Leute.

Was kann die Wissenschaft überhaupt beitragen, dass Marketinganstrengungen mehr Erfolg bringen?
Manager und Forscher haben oft die gleiche Grundausbildung; sie gehen Herausforderungen ähnlich an. Ihre Aufgaben unterscheiden sich aber. Realitätsorientierte Forschung ergänzt die Arbeit der Praktiker durch künftig wichtige Themen, nützliche Strukturen, Methoden, empirische Belege und Typologien. Die Erkenntnisse sind generell, bezogen auf besondere Unternehmenssituationen oder teilweise sogar auf einzelne Unternehmen und Institutionen.

Und zu welchen Themen kann die Forschung beitragen?
Inhaltlich sind die Beiträge der Forschung vielfältig. Manche konzentrieren sich auf die Grundfragen von Leistungs- und Kundenmanagement. Andere betonen Trends, wie etwa Millennials als Kunden oder Aktualitäten, wie beispielsweise Influencer Marketing. Lohnend kann es auch sein, sich tief mit Spezialitäten, wie Events, Apps im Marketing oder Suchverhalten im Internet auseinanderzusetzen. Für das einzelne Unternehmen sind spezifische Antworten oft nicht zentral, für die Gesamtheit der Anbieter werden sie aber wichtig.

Welche Trends spüren Sie momentan beim Marketing?
Die meisten aktuellen Themen haben Wurzeln, die früh gewachsen sind. So veranstaltete bereits mein Vorgänger Heinz Weinhold in den 90er-Jahren eine öffentliche Vorlesung zum Thema «Von der Letter zu Screen» und setzte auf Digitalisierung. Das Internetmarketing wurde intensiv in der Disziplin des Direktmarketing vorbereitet; da spielten Stichworte wie Kundenschritte, Handlungsorientierung, Database oder Konversion längst eine Rolle. Leider tun wir gerne so, als wäre alles neu und gehen nicht auf die Wurzeln zurück, obschon wir davon viel profitieren könnten. Marketinggeschichte wäre eine gute Disziplin.

Und was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Ich selbst setze stark auf kundenprozessorientiertes Marketing. Hier können wir noch viel bewegen. Auch Verkaufsthemen sind mir wichtig. Soeben ist mein Buch über «Sales Excellence Development» erschienen. Es geht darum, wie Unternehmen ihren Verkauf sparten- und länderübergreifend professionalisieren, ohne die dezentrale Initiative zu schmälern.

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Andere Trends und Themen, die Sie interessieren?
Grosse Themen. Beispielsweise zur Kritik des Marketings, dem Beitrag des Marketings zu einer lebenswerten Gesellschaft oder der Kundensichtweise zum Marketing.

«Es wird zuviel über die Zukunft und zu wenig über die Gegenwart gesprochen»

Was stört sie in der gegenwärtigen Marketingwelt?
Allgemein sprechen mir die Verantwortlichen im Marketing zu viel über die Zukunft und zu wenig über die Gegenwart. Auf die Frage «Was ist das nächste, was kommt danach?» antworte ich oft: «Es kommt viel davor.»

Sie sind einer der wenigen Schweizer Marketingprofessoren. Woran liegt das?
Marketing und Universitäten sind international und die Schweiz ist klein. Dafür sind auch manche Schweizer an ausländischen Universitäten aktiv.

Welche Schweizer Firma macht es nach Ihrer Ansicht marketingtechnisch am besten?
Diese Frage kann ich nicht vernünftig beantworten. In der Regel gestalten die Unternehmen ihr Marketing insgesamt weder gut noch schlecht. Die Liste an guten, spezifischen Beispielen und den schlechten würde lang.

Sollten beim Marketing eher grosse oder kleine Firmen als Vorbilder dienen?
Generell meine ich, dass wir heute häufig von kleinen und beweglichen Unternehmen lernen können. Sie gestalten ihr Marketing mit Augenmass und setzen ihre Mittel gezielt ein. Das beste Marketing bewirkt viel mit wenig Geld. Da erbringen KMUs die Höchstleistungen.

Welche Projekte haben Sie für die Zeit nach Ihrer Tätigkeit an der Uni?
Ich lasse mich auch selbst überraschen. Sicher mache ich nicht einfach so weiter wie bisher. Einige Projekte mit Unternehmen will ich noch abschliessen. Eine Publikation zu Kundenprozessen im Business-to-Business Marketing mache ich fertig. Bei der Starrag Group bin ich im Verwaltungsrat und ich engagiere mich in zwei Jungunternehmen. Zudem stellt mich mein jüngster Sohn in seiner kleinen Schreinerei «Holzwerkstolz» in Rorschach halbtags als Hilfsmitarbeiter ein. Auch meine Hobbies, etwa die Imkerei will ich wieder stärken und einfach das Leben mit meiner Frau, meiner Familie und Freunden geniessen.


Christian Belz (*1953), tritt als Ordinarius für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) ab. Von 1991 bis 2014 leitete er das Institut für Marketing, in dem gemeinsame Entwicklungsprojekte mit Unternehmen eine primäre Rolle spielen.

 



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