17.10.2016

Migros

«Marketingkommunikation ist kein Actionfilm»

Seit Anfang dieses Jahres leitet Roman Reichelt beim grössten Auftraggeber des Landes den Bereich Marketingkommunikation. Im Interview spricht der 34-Jährige darüber, wie die Migros-Werbung auf die neue Konkurrenzsituation im Detailhandel reagiert.
Migros: «Marketingkommunikation ist kein Actionfilm»
«Es ist unsere Aufgabe, unseren Kunden wieder deutlicher zu vermitteln, was sie an der Migros haben.»: Roman Reichelt. (Bild: Migros, Jung von Matt/Limmat)
von Matthias Ackeret

Herr Reichelt, Sie verantworten beim grössten Schweizer Auftraggeber den Werbeetat. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Meine Aufgabe ist es, das Marketingbudget im bestmöglichen Sinne für den Erfolg der Firma einzusetzen. Dabei geht es nicht um mich als Person. Ich habe grössten Respekt vor meiner Aufgabe, ich weiss aber auch, dass ich diese nicht alleine stemmen muss. Ich habe das Glück, dass meine Direktion momentan über 150 Mitarbeitende beschäftigt, die zu den bestausgebildeten und leidenschaftlichsten der Schweiz gehören. Ich muss nur das strategische Spielfeld bestimmen, auf dem sie ihre Ideen und Fähigkeiten entfalten dürfen.

Was verstehen Sie unter guter Werbung?
Es gibt viele Ansätze, gute Werbung zu umschreiben. Ich arbeite mit einem eigenen Modell. Ganz einfach formuliert, sagt es aus: Wir müssen etwas zu sagen haben und nicht einfach nur reden. Wir müssen die Menschen unterhalten und nicht einfach nur informieren. Unser Marketing sollte einfach, flexibel und sexy sein und nicht ein abfotografiertes Briefing auf einem Plakat. Und die Kunst ist es, dass all dies datenbasiert und betriebswirtschaftlich durchdacht passiert.

Was bedeutet diese Erkenntnis für die Migros-Werbung?
Unsere Werbung sollte vor allem drei Effekte auslösen: Erstens sollte sie unsere Konsumentinnen und Konsumenten begeistern und sie in ihrer Haltung und Identität als Migros-Kinder bestätigen. Zweitens sollte sie bezüglich unserer Sortimente und Leistungen überzeugen und unsere Kompetenz als Händler unterstreichen. Und drittens sollte sie dem Kunden immer wieder Impulse geben, ihn inspirieren und unterhalten. Die Migros-Werbung hat vor allem im Hinblick auf den letzten Punkt sicher Massstäbe gesetzt und war oftmals ihrer Zeit voraus. Unser Unternehmen hat früher als andere Firmen erkannt, dass wir nicht nur Werbung machen, sondern Markenkommunikation. Ich kann vor meinen Vorgängern nur den Hut ziehen.

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Hier haben Fliessband-Angestellte Zeit zum Diskutieren: Der Spot wurde in realen Migros-Fabriken gedreht. (Bild: Still TV-Spot)

Die Welt im Detailhandel hat sich massiv verändert. Früher gab es ein Duopol von Migros und Coop, jetzt ist in den letzten Jahren mit Aldi, Lidl und dem ganzen Einkaufstourismus massive Konkurrenz aufgekommen. Was hat dies für einen Einfluss auf die Werbung?
Für uns bedeutet es, dass wir uns wieder stärker auf unsere Einzigartigkeit konzentrieren müssen. Wir sind genossenschaftlich organisiert, produzieren unsere Eigenmarken selbst, kümmern uns ums Gemeinwohl und müssen unsere Gewinne nicht an eine Besitzerfamilie abliefern. Zudem investieren wir jährlich weit über hun- dert Millionen Franken in Freizeit, Bildung und Kultur. Für viele ist dies aber zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Mit dem Markteintritt deutscher Discounter hat sich die Situation nun massiv verändert. Plötzlich berufen sich auch die neuen Mitbewerber auf Schweizer Werte, werben mit Schwingern und gesunden Äpfeln. Es ist unsere Aufgabe, unseren Kunden wieder deutlicher zu vermitteln, was sie an der Migros haben. Das ist unsere Substanz.

Werden die Werbekampagnen jetzt anders?
Es gibt zwei Aspekte, den Inhalt und die Form. Wir stellen schon seit einiger Zeit inhaltlich um. Deshalb bewerben wir wieder unsere Eigenmarken. Diese haben wir vorher vielleicht etwas vernachlässigt. Eine Kampagne wie «Von uns. Von hier» drückt aus, dass wir rund achtzig Prozent unseres Umsatzes mit eigenen Marken erzielen. Es sind zehntausend Produkte, die in der Schweiz von eigenen Mitarbeitern hergestellt werden.

Und in der Art und Weise: Was wird sich dort ändern?
Wir versuchen, wieder Emotionen zu wecken, streben flexibles, schnelles Storytelling an, um mit unseren Kunden auf Augenhöhe zu sein. Wir müssen mit unseren Kunden wieder in ein Gespräch kommen, an dem beide teilnehmen. Wenn Sie in einer Unterhaltung das Gefühl haben, der andere verliere das Interesse an dem, was Sie zu sagen haben, bringt es ja auch nichts, ihn einfach anzuschreien. Genau das passiert aber oftmals in der Werbung: Man erhöht einfach den Mediadruck und versucht auf diesem Weg, die gewünschte Aufmerksamkeit zu erzielen. Das ist doch eine irrwitzige Annahme. Wir wollen unsere Kunden mit unserer Werbung nicht belästigen.

Setzen Sie aufgrund der verstärkten Konkurrenz vermehrt auf soziale Medien?
Kommunizieren bedeutet, dass man die Leute dort anspricht, wo sie sind, und das gelingt sehr gut mit den sozialen Medien. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten: Das kann in der Migros-App sein, auf unserem Instagram- oder Facebook-Profil oder neuerdings auch auf unserem Snapchat-Account.



Reden wir von einem Umdenken?
Die Welt hat sich massiv verändert. Die Zeiten, in denen sich das ganze Land am Samstagabend vor dem Fernseher versammelte, um eine Unterhaltungssendung anzuschauen, sind definitiv vorbei. Es gibt doch einen Grund, warum es «Benissimo» oder «Wetten, dass ...?» nicht mehr gibt. Dies hat Auswirkungen auf die Werbung. Früher konnte man einen originellen Werbespot vor einer dieser Sendungen schalten und war am nächsten Tag überall im Gespräch. Das ist definitiv vorbei. Heute müssen wir dem Kunden folgen, um ihn zu erreichen, und ihm idealerweise etwas mitgeben, das er dann selber weiterleitet oder teilt.

Messen Sie die Wirksamkeit jeder Kampagne?
Selbstverständlich – und dies ist auch sehr wichtig. Marketingkommunikation ist kein Actionfilm, sondern eine betriebswirtschaftliche Disziplin. Das beste Marketing ist nicht das lauteste, sondern dasjenige, das dem Unternehmen etwas bringt. Das muss nicht immer unmittelbar kommerziell sein, es kann sich auch auf das Image beziehen. Zum Beispiel an Weihnachten haben wir in den letzten beiden Jahren einen klaren Fokus auf Spenden und Gemeinwohl gelegt und damit grossen Erfolg gehabt.

Diese Kampagne wurde auch schon kopiert. Stört Sie dies?
Ach, das stört mich nicht. Es gab auch Zeiten, in denen wir bei anderen Firmen etwas abgeschaut haben. Dass es nun andersherum ist, ist für uns ein Zeichen, dass wir nicht alles falsch zu machen scheinen.


Aber ärgerlich ist es doch schon, wenn die Kunden nun nicht mehr wissen, welche Kampagne das Original ist...
Man sollte als Manager so uneitel sein, zu wissen, dass es dem Kunden schlussendlich egal ist, wer eine Idee zuerst hatte. Entscheidend ist, wer sie im Hier und Jetzt relevanter und besser umsetzt.

Haben Sie dazu ein Beispiel?
Nehmen Sie Mercedes-Benz. Carl Benz hat das Automobil erfunden. Darauf ist die Firma zu Recht stolz und erwähnt es auch in den Werbeunterlagen. Ich behaupte aber, dass sich in den letzten fünfzig Jahren noch kein Kunde für Mercedes und gegen Audi entschieden hat, weil Audi nicht das Original sei.

Wie viele Agenturen beschäftigen Sie momentan?
In der klassischen Kommunikation haben wir mehrere Agenturen, mit denen wir seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten: Jung von Matt/Limmat und Wirz für die meisten Dachkampagnen und Initiativen für den Gesamtkanal. Ebenfalls wichtige Etats halten Advico Young & Rubicam, Leo Burnett, Rod und Publicis. Für unsere Restaurants ist Inhalt & Form zuständig. Unsere Mediaagenturen heissen nach wie vor OMD und Webrepublic.

Planen Sie bei den Agenturen eine Änderung?
Wie heisst es doch so schön: Retail is detail. Das bedeutet, dass auch unsere Kreativagenturen die Details unseres Geschäfts kennen müssen. Deshalb sind wir prinzipiell an langfristigen Partnerschaften interessiert. Ich bin derzeit sehr zufrieden.




Was sagt Roman Reichelt sonst noch zur Konkurrenzsituation im Detailhandel und den Vorzügen der Migros? Lesen Sie das vollständige Interview. Sie finden es in der aktuellen Print-Ausgabe vom «persönlich»-Magazin.




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