23.10.2007

GfM

Marketingpreis 2007 geht an Jura

Interview mit CEO Emanuel Probst.

Die GfM -- Gesellschaft für Marketing hat den Marketingpreis 2007 an die Firma Jura vergeben. Jura war ein ein Gemischtwarenladen mit allen möglichen Haushaltsgeräten. 1991 geriet das Unternehmen in eine existenzielle Krise. Emanuel Probst übernahm das Steuer und fuhr in die Gegenrichtung. Er fokussierte auf Kaffevollautomaten, setzte auf Outsourcing und internationalisierte die Firma.

Wie funktioniert eigentlich der Markt für Kaffeemaschinen? Wie ist er strukturiert?

“In der Schweiz ist der Markt in zwei Segmente aufgeteilt: Vollautomaten und Portionensysteme. Der Markt für Vollautomaten liegt bei etwa 100000 Stück; der ist weit gehend gesättigt. Der Markt für Portionensysteme wächst sehr stark. Der Rest – Siebträgermaschinen, Filtermaschinen – ist nicht mehr relevant. Das gleiche Bild ergibt sich weltweit. Es gibt zwei Key-Driver: Vollautomaten mit frisch gemahlenem und extrahiertem Kaffee und Portionensysteme mit günstigen Maschinen und teuren Portionenkapseln.”

Gibt es so etwas wie eine Freundschaft oder Feindschaft zwischen den beiden Philosophien?

“Das ist Konkurrenz. Geprägt von gegenseitiger Achtung, sogar Bewunderung. Ich finde es fantastisch, was Nespresso gemacht hat. Das ist eine einmalige Geschichte. Und die nehmen uns auch ernst, weil sie wissen, dass wir es mit den Vollautomaten ziemlich gut machen.”

Nespresso hat ja sehr lange gebraucht, bis sich das System durchsetzte. Zum Boom kam es erst in den letzten Jahren. Wie war das bei Ihnen?

“Wer mit einem neuen Konzept kommt, braucht halt sehr lange. Auch bei uns dauerte es ein paar Jahre bis zum Durchbruch. Wir kamen zudem noch aus einer Situation, in der wir schlecht aufgestellt waren. Wir waren nicht fokussiert; wir hatten ein breites Sortiment – alle möglichen Haushaltsgeräte; wir waren auf die Schweiz ausgerichtet; wir waren rückwärts integriert – für unsere Bügeleisen haben wir alle Komponenten selbst hergestellt. Wir mussten also ziemlich viele Aufgaben lösen, um Vollautomat-Spezialist zu werden. Geholfen hat uns allerdings die beschleunigte Veränderung der Kaffeekultur auf der ganzen Welt. Als ich Anfang 1991 hier anfing, war Starbucks noch ziemlich klein. Die gingen gerade an die Börse und schlugen mir vor, auch Aktien zu kaufen. Im Nachhinein betrachtet, wäre der Zeitpunkt für eine Investition ideal gewesen. Starbucks hat sehr viel dazu beigetragen, die Kaffeekultur weltweit zu verändern. Das hat der Nachfrage nach Vollautomaten- und Portionensystemen erheblich nachgeholfen.”

Wollen Sie damit wirklich sagen, dass Sie Starbucks Ihren Erfolg zu verdanken haben?

“Zu einem Teil sicher. Starbucks hat den Amerikanern beigebracht, dass man Kaffee nicht einfach gegen den Durst trinkt, sondern wegen des Genusses. Die Amerikaner trinken Kaffee wie die Engländer Tee – auch aus Protest gegen die Engländer, da wirkt immer noch die Boston Tea Party in der Gründungszeit der USA nach. Deshalb trinken die Amerikaner diesen ganz dünnen Kaffee literweise. Und Starbucks hat ihnen das schon ein wenig abgewöhnt.”

Warum kam der Kaffeeboom jetzt aus Amerika und nicht aus Europa? Hier gibt es immerhin Länder wie Italien mit einer grossen Kaffeetradition.

“Es gibt eben mehrere Entwicklungen. Einerseits die amerikanische, die sich dann auch weltweit auswirkt. Da ist Starbucks die Ursache. Und dann gab es die Völkerwanderung in Europa – Italiener, die in die Schweiz kamen und ihre Espressokultur mitbrachten. Deutsche, die nach Italien in die Ferien gingen und dort Espresso kennen lernten. Das war in den Sechziger- und Siebzigerjahren.”

Hat es Europa verpasst, selber so eine Kaffeekette aufzuziehen, wo doch die Kaffeekultur hier tiefer verankert ist?

“Ich habe selber lange geglaubt, dass wir in Europa solche Kaffeeketten gar nicht brauchen. Weil wir ja unsere traditionellen Kaffeehäuser haben. Bis ich gemerkt habe, dass Starbucks etwas ganz anderes anbietet: ein anderes Erlebnis, neue, andere Getränke. Nun können wir beides haben: die klassische Kaffeekultur Europas und Trendgetränke aus Amerika. Das vermischt sich und bekommt eine Eigendynamik.”

Sie standen 1992 vor entscheidenden Weichenstellungen. Warum haben Sie damals gerade auf Kaffeemaschinen gesetzt?

“Im Rückblick sieht das aus wie eine sauber ausgearbeitete Strategie, die aufgegangen ist. Aber so war es nicht. Eine Strategie ist immer das Ergebnis von vielen verschiedenen Schritten. Ich habe 1991 angefangen. Jura war breit aufgestellt, emotional waren wir immer noch der Bügeleisenhersteller. Wir waren bei Luftbefeuchtern die Nummer eins, auch bei Toastern; wir waren auch bei anderen Haushaltsgeräten führend. Die Hälfte des Umsatzes machten aber schon damals die Kaffeemaschinen aus. Wir machten in der Schweiz einen guten Job und konnten davon leben. Aber es gab zu wenig Erträge, wir laborierten um den Nullpunkt herum, und wir hatten keine neuen Produkte. Wir haben fest daran geglaubt, die Zukunft liege bei den Vollautomaten. Damals wurden weltweit knapp 170000 Stück verkauft, davon fast 100000 in der Schweiz. Heute sind es eine Million Stück.”

Woher kam plötzlich der Erfolg?

“Der Schweizer Markt war schon Mitte der Achtzigerjahre losgegangen und war lange weltweit der grösste. In Deutschland kostete eine Filterkaffeemaschine damals im Durchschnitt 89 D-Mark. Ein Vollautomat für über 1000 D-Mark, so sagte man uns, habe keine Chance. Also beschlossen wir, einen eigenen Vollautomaten zu entwickeln.”

Also zuerst fokussieren, dann outsourcen und schliesslich internationalisieren.

“Richtig. Zuerst Fokussierung. Dann Neuausrichtung der Wertschöpfungskette: Wir konzentrierten uns auf Entwicklung, Design, Innovation, Marketing, Vertrieb, Logistik, Service. Und lagerten alles andere aus. Da hatten wir zum Glück einen sehr starken Produktionspartner, die Firma Eugster/Frismag in Romanshorn.”

(Interview: Francis Müller)

--> Ein aktueller Bericht über Jura und Roger Federer als Markenbotschafter ist in der neuen Ausgabe von "persönlich blau" zu finden.



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