07.06.2000

Wahlen 2015

Schweizer entscheiden sich aus Angst für Abschottung

In der ausländischen Presse ist man sich einig: Der Rechtsrutsch sei ein Votum der Angst gewesen. Das Land sei zu einem Vorbild für europäische Rechtspopulisten geworden und Roger Köppel attestiert man in Zukunft eine tragende Rolle. Die Schweizer Medien hingegen blicken bereits auf die bevorstehenden Bundesratswahlen: Ein zweiter SVP-Sitz sei unabkömmlich.
Wahlen 2015: Schweizer entscheiden sich aus Angst für Abschottung

SVP-Wahlerfolg, FDP-Aufwind und Sitzverteilung im Bundesrat beherrschen Schweizer Medien. Für die "Neue Zürcher Zeitung" kommt der Sieg von SVP und FDP nicht unerwartet und stellt eine "Rückkehr zur Normalität" dar.

Denke das Volk anders als weite Teile des Parlaments, seien "Korrekturen irgendwann unausweichlich.“ Die NZZ sieht nun die SVP und FDP "in der Pflicht, Gemeinsamkeiten etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auszuloten. Gelingt ihnen das nicht, verspielen sie leichtfertig ihren Erfolg".

CVP muss sich Strategie zurechtlegen

Kein anderes Thema beschäftige die Menschen so stark wie die Flüchtlinge, begründet auch die "Aargauer Zeitung" den Sieg der SVP. Ihr stellt sich die Frage, ob die Rezepte der Volkspartei auch wirken. Denn: "In der Schweiz kann man schnell mal etwas fordern, das gut tönt, im Wissen darum, dass es keine Mehrheit findet und sich nicht bewähren muss."

"Die SVP legt historisch zu, die FDP feiert ein bemerkenswertes Comeback", schreibt die "Basler Zeitung" (Artikel online nicht verfügbar). Sie sieht "Restbestände" und meint, an die CVP gewandt: "Sie muss sich gut überlegen, wie sie die nächsten zehn Jahre überstehen will.

"Gespaltenes Land"

Der "Tages-Anzeiger" sieht die Schweiz nach den Wahlen als "gespaltenes Land". "Abgestraft wurde die neue Mitte, die in der letzten Legislatur eine Scharnierfunktion zwischen den beiden Blöcken einnahm." Tonangebend seien nun Parteien, "die bei der Altersvorsorge und der Energiewende ein Scheitern in Kauf nehmen".

Der Berner "Bund" sieht die FDP trotz ihres "bescheidenen Sieges" in einer Schlüsselrolle: "Die FDP muss im bürgerlichen Lager verstärkt in die Rolle der verantwortungsvollen Leaderin schlüpfen, zu der die SVP, weil zu oppositionell, nicht in der Lage ist."

"Die Verhältnisse in Bern, so möchte man meinen, wären klar genug, dass man nun auch die Zusammensetzung des Bundesrates so vornehmen könnte, dass sie den Gepflogenheiten dieses Landes entspräche", findet die "Basler Zeitung". Für sie liegt es auf der Hand, dass die SVP als grösste Partei Anspruch auf zwei Sitze anmelden darf.

"SVP in die Pflicht nehmen"

Für die NZZ erleichtert es der Wahlausgang der SVP, "ihren begründeten Anspruch auf einen zweiten Regierungssitz durchzusetzen".

Das "St. Galler Tagblatt" ist der Ansicht, dass die SVP "glaubhaft darlegen muss, dass sie ernsthaft und kollegial mitregieren will". Sende sie entsprechende Signale, "wäre es ein Affront, der klar grössten Kraft unter der Bundeshauskuppel eine angemessene Regierungsbeteiligung zu verwehren" (Artikel online nicht verfügbar).

Ausländische Presse spricht von "Schweiz als Vorbild europäischer Rechtspopulisten"

"Schweizer entscheiden sich aus Angst für Abschottung", titelt etwa die Zeitung "Die Welt". Der Erfolg der SVP sei zwar vorhergesagt worden, "in seinem Ausmass ist er aber doch überraschend". Das Ergebnis dürfte die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU weiter belasten.

"Die Schweizer haben die rechtsbürgerlichen Kräfte in ihrem Land gestärkt", stellt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" fest. Während die SVP von der Flüchtlingskrise in Europa profitiert habe, spielte "der Wirtschaftsabschwung infolge der Stärke des Franken" der FDP in die Karten. Doch solange sich die Wahlgewinner in der Europa-Frage nicht einig seien, "kann von einem bürgerlichen Schulterschluss nicht die Rede sein".

Die "Süddeutsche Zeitung" sieht durch die Stärkung des rechten Lagers "das politische Erfolgsmodell des Landes" in Gefahr. "Die Schweiz, das war das Land, in dem alle zusammen regieren." In der Praxis sei die Eidgenossenschaft längst zum Vorbild der europäischen Rechtspopulisten geworden. "Von gemeinsamer Entscheidungsfindung ist dabei keine Rede."

"Die erfolgreichsten Rechtspopulisten Europas", nennt auch das deutsche Nachrichtenmagazin "Spiegel" die Wahlsiegerin SVP in seiner Analyse. In deren Mittelpunkt steht der SVP-Nationalratsneuling Roger Köppel. "Er könnte in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle in der Partei spielen."

Laut der Zeitung "Die Presse" aus Österreich hat eine Woche nach dem Erfolg des FPÖ-Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache in Wien nun in der Schweiz die "Stunde der Rechtsparteien" geschlagen: "Auch die internationale Grosswetterlage kam der SVP zupass." Wie immer habe die Volkspartei den Wahlkampf mit einer Angst- und Feindbildkampagne geführt: gegen Flüchtlinge, Ausländer und die EU.

Die britische Zeitung "The Guardian" setzt den Erfolg der SVP ebenfalls in einen Zusammenhang mit der steigenden Flüchtlings- und Migrantenzahl in Europa. Das habe dem Thema auch in der Schweiz Aufmerksamkeit verliehen, "wenn auch die wohlhabende Alpennation bislang nicht massgeblich von der Krise betroffen war".

"Hoher Lebensstandard"

Dem pflichtet die spanische Zeitung "El Pais" bei. Die SVP habe zudem bei jenem Teil der Bevölkerung Ängste geschürt, der befürchte, "den hohen Lebensstandard und die nationale Identität zu verlieren".

Die französische Tageszeitung "Le Monde" spricht von einer Bestätigung des Drucks der populistischen Rechten in der Schweiz. Sie relativiert aber zugleich, das System der direkten Demokratie verringere die Bedeutung der Wahl ein Stück weit.

"Le Figaro" bescheinigt der SVP eine "spektakuläre Steigerung" und die "Libération" spricht von einer "Rechtskurve". (sda)



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