07.01.2018

Migros-Dachkampagne

«Mir gehört die Migros seit 25 Jahren»

«Die Migros gehört den Leuten»: Indem der Grossverteiler auf seinen Genossenschaftscharakter aufmerksam macht, hofft er auf treuere Kundschaft. Nach dem Start der mehrjährigen, schweizweiten Dachkampagne erklären die Macher, was sie sich dabei überlegt haben.
Migros-Dachkampagne: «Mir gehört die Migros seit 25 Jahren»
Pascal Schaub (Leiter Dachmarke Migros) und Thomas Wildberger (CEO/CCO Publicis) posieren vor einer Filiale. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Schaub, gehört die Migros Ihnen?
Pascal Schaub: Die Migros gehört den Leuten. Und zwar in ihrer ganzen multikulturellen Vielfalt. Meinen Kindern mit südafrikanischem und slowakischem Background, meinem Team aus verschiedenen Nationen, einfach allen in der Schweiz. Zum ersten Mal seit Jahren kommuniziert die Migros ein «Why», einen Purpose, eine Haltung, von der jedermann Teil sein kann.

Was heisst das?
Im ungebrandeten Konzepttest sagten die Kunden uns dazu erwartungsvoll: Gehört eine Firma den Leuten, muss es jemand sein wie die Migros. Ganz spontan. Cool nicht? Darum gehört jetzt die neue Dachkampagne nicht nur denjenigen, die sie so toll gemacht haben. Sondern allen, die sich darüber freuen, sie teilen, weiterschreiben, weitererzählen. So stand es schon im Ursprungsbriefing: «Macht etwas Grosses, Mutiges, Schönes, das die Menschen nacherzählen können, wenn man sie danach fragt, wofür die Migros steht».

Das klingt etwas aufgeladen. Aber was ist mit Ihnen Herr Wildberger: Wie viel Migros gehört Ihnen?
Thomas Wildberger: Mir gehört die Migros ja bereits seit über 25 Jahren, also seit ich damals meine kaufmännische Lehre in der Genossenschaft Migros Zürich absolviert habe. Daher nehme ich den 11. Stock der GMZ an der Pfingstweidstrasse 101 für mich in Anspruch. Dort – in der Abteilung Marketing Fleisch – fing damals meine berufliche Karriere an, dort habe ich die Migros-DNA schon vom ersten Tag an aufgesogen und sie stets in mir weitergetragen. 

Und jetzt sind Sie wieder dort gelandet.
Ja, heute, wo ich für die Dachmarke der Migros arbeiten darf, schliesst sich für mich der Kreis. Und ich bin stolzer denn je, damals die Lehre bei der Migros gemacht haben zu dürfen.

Ist damit jetzt Publicis die neue Lead-Agentur der Migros?
Schaub: Wir werden in Zukunft genauso wie in der Vergangenheit weiter mit mehreren starken kreativen Agenturen zusammenarbeiten.

Wie wird diese neue Dachkampagne die Arbeit dieser weiteren «starken kreativen Agenturen» beeinflussen?
Schaub: Immer von den Kundinnen und Kunden her denken und Insight basiert kreieren. Menschen mögen und das Menschenmögliche herausholen.

Was soll die Botschaft «Die Migros gehört den Leuten. Und das merkt man.» aussagen?
Wildberger: Der erste Teil der Botschaft soll in Erinnerung rufen, dass Adele und Gottlieb Duttweiler 1941 die komplette Migros dem Volk geschenkt haben. Ältere Generationen wissen das zwar, aber für viele der jüngeren ist diese Tatsache wenig bis gar nicht bekannt. Es gibt sogar einige unter den über 2,2 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter, die überhaupt nicht wissen, dass sie de facto Eigentümer beziehungsweise Besitzer der Migros sind. Unabhängig davon würden die Aussage «Die Migros gehört den Leuten» aber sogar diejenigen unterschreiben, die keinen Anteilschein besitzen, denn die Migros ist gefühltes Schweizer Volksgut, egal ob man bei der Konkurrenz einkauft oder nicht. Dass dieser Satz nicht nur eine leere Worthülle ist, soll der zweite Teil der Botschaft «Und das merkt man» untermauern.

Wie?
Weil die Migros so vielen Menschen gehört, tut sie so gesehen auch viel mehr fürs Gemeinwohl, zum Beispiel in den Bereichen Kultur, Bildung, Nachhaltigkeit und neuerdings auch Gesundheit. Ausserdem dürfen Besitzer mitbestimmen. Nicht nur an der Urabstimmung, sondern auch, wenn es darum geht, Produkte zu testen, zu beurteilen und weiterzuentwickeln, oder gleich zu entscheiden, ob es im Regal bleibt oder nicht. Dieses Miteinbeziehen der Besitzer, also darüber zu entscheiden, was in ihrer Migros so läuft, wird in Zukunft deutlich verstärkt werden. Die Kampagne dauert ja nicht nur vier Wochen, sondern ist sehr langfristig angelegt. 

Welche Geschäftsziele verfolgt diese neue Dachkampagne?
Schaub: Kanalwahlpräferenz schaffen dank der neu fokussierten Strahlkraft der Marke Migros. Denn das ist weitaus nahhaltiger, um Wechselkunden vom Fremdshopping abzuhalten als jede Aktionitis. Die Migros hat nun mal deutlich weniger Fläche und Verkaufsstellen als der Hauptkonkurrent, weshalb sie nur Marktleader sein und bleiben kann, wenn die Anziehungskraft ihrer Marke stärker ist, als die der Konkurrenz.

Im Detailhandel sind die immer kleiner werdenden Gewinne ein grosses Problem. Inwiefern kann geschicktes Marketing hierbei eine Lösung sein?
Schaub: Marketing-Kommunikation muss Teil der Wertschöpfungskette sein. Durch das neue, klar definierte «Why» der Marke Migros wird die Kommunikation zu einem noch wichtigeren Faktor. Geschickt eingesetzt, kann sie den Unterschied machen.

Was wäre «geschickt»?
Der Schweizer Detailhandel ist ja inzwischen ein Markt mit immer austauschbarer werdenden Botschaften. Sehen Sie, heute schreit sogar der Hard-Discount gleich laut «Swissness», «Nachhaltigkeit», «Regionalität», «Weihnachten». Deshalb müssen wir mit kreativer Excellenz bei der Umsetzung das differenzierende «How» schaffen, das sich im Botschaften-Tsunami durchsetzt.

Welche weiteren geschäftlichen Probleme will die Migros mit der neuen Kampagne angehen?
Schaub: Mit der neuen Bündelung wird es leichter für alle: für die Kunden, die Mitarbeiter, die Agentur und auch die Controller. Wir schaffen ein einheitliches Migros-Bild über alle Kultur-, Alter- und Gender-Interessen hinweg. So können wir natürlich Kosten senken. Darüber hinaus hoffe ich von Herzen, dass die Dachkampagne auch intern weiterhin so einheitsstiftend weiterwirkt. 

Was ist die kreative Idee dahinter?
Wildberger: Die Kampagne ist ja eigentlich gar keine Kampagne. Sie ist vielmehr ein Programm, das nicht nur beliebig lange, sondern vor allem auch immer wieder völlig neu und überraschend gespielt werden kann, so dass es immer unterhaltsam bleibt. Der Grundgedanke basiert stets auf der phänomenalen Migros-Idee von 1941 und folgt – wie viele Publicis-Ideen – meinem von McCann-Erickson entwickelten Lieblingscredo «Truth well told». Sprich: Die Migros gehört den Leuten. Und diese verhalten sich genauso, wie man sich eben verhält, wenn man Besitzer ist. Stolz, aber nicht überheblich.

Das ist doch total überzeichnet. Die Leute durchschauen das.
Schon mal von «überraschender Dramatisierung eines Verbrauchernutzens» gemäss Hansjörg Zürcher, einem DER Migros-Werbers, gehört? Sehr viel Werbung funktioniert nach genau diesem Prinzip. Klar ist die Idee eine Übertreibung, aber sie entspricht eben der Wahrheit. Mit dieser Klammer können ausserdem beliebig viele Bereiche innerhalb des Migros-Universums abgedeckt werden – stets mit dem Ziel, dass die Leute denken: «Hey, wenn mir der Laden gehört, dann kauf ich natürlich auch bei mir ein».

Welche Überlegungen standen bei der Produktion im Zentrum?
Wildberger: Wer Werbung für die Dachmarke Migros macht, steht vor der besonderen Herausforderung, die ganze Bevölkerung anzusprechen. Deshalb haben wir uns bei der Umsetzung der zahlreichen Filme für Regisseur Simon Verhoeven entschieden, der mit seinen Kinofilmen jedes Mal ein Millionenpublikum erreicht. Er hat es geschafft, ein ausgewogenes Casting aus verschiedensten Schweizer Schauspielern zu finden, die die Gesamtschweiz perfekt repräsentieren.

Das gibt es ja noch die Krux mit dem legendären «Migros-Humor».
Wichtig ist, dass man diesen jahrzehntelang gelernten und typischen Humor respektiert und treffsicher einsetzt, ausserdem nicht abgehoben erscheint, sondern authentisch bleibt. Genau wie bei den unzähligen Porträts, die den echten Migros-Besitzer von nebenan zeigen.

Daneben sei der Dialog ein wichtiges Thema. Wie stellen Sie sicher, dass es sich dabei nicht um eine Farce, sondern um echtes «gehört werden» handelt, das reale Veränderungen bewirkt?
Schaub: Das ist uns und unseren obersten Gremien völlig bewusst. Unser neuer CEO Fabrice Zumbrunnen unterstützt die Kampagne als Programm, als Credo, für das wir uns engagieren. So haben wir zum Beispiel neu die beiden Gefässe «Migros fragt Besitzer» und «Besitzer fragen Migros» auf migros.ch geschaffen. Dort holen wir Meinungen ein, lassen abstimmen oder beantworten kritische Kundenfragen offen und ehrlich: Warum verschwinden Produkte aus dem Regal? Wieso sind Kaffeekapseln nicht recyclierbar bei der Migros? Warum verkaufen wir Erdbeeren im Februar? Und nein, wir sind noch lange nicht da, wo wir sein wollen, wir haben grad erst angefangen. Inputs welcome, denn wir meinen es ernst.

Machen Sie einige Beispiele für Mitbestimmung?
Wir laden zur Zeit beispielsweise ein mitzubestimmen, wohin die hunderttausende Franken vom Säckligeld 2018 tatsächlich fliessen sollen: Abfall/Recycling, Biodiverisität, zukunftsfähige Mobilität, Umweltbildung? Die Gesundheitsinitiative fragt ganz konkret, welche Programme wir realisieren sollen. Oder wo im Laden sollen Migros-Körbli in Zukunft stehen? Auf Facebook kann der User die «A vs. B Story» selber weiterentwickeln helfen. Und aus über 1000 Blévita-Sandwich Innovationen, kreiert von Paleo-Besuchern am Festival, wurden drei Produktvariationen ausgewählt und diese werden nun über migipedia.ch bei der Community getestet.

Wie ist diese Menge handhabbar resp. inwieweit sind solche Prozesse automatisiert?
Wir haben dafür interne Abläufe und Prozesse aufgesetzt. Dazu gehören Arbeitsgruppen, die das Kampagnen-Programm über mehrere Jahre weiterentwickeln und ausarbeiten.

Wie geht es nun weiter: Wo wird die Dachkampagne sichtbar sein?
Je mehr Screens auf der Customer Journey, umso lieber, denn Bewegtbild bewegt messbar mehr. Auch auf unseren eigenen Kanälen wird die Kampagne aus freien Stücken und gern spielerisch adaptiert. In den Genossenschaften, von den Mitarbeitern. Ich sehe neuerdings auch PC-Bildschirmschoner, wo dann beispielsweise in Abwandlung steht: «Dieser Computer gehört Sarah. Und das merkt man.» Das freut.

 

 



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Kommentare

  • Richard Schweizer, 12.01.2018 14:27 Uhr
    Lieber Pascal, lieber Thomas wünsche euch viel Glück und vor allem Durchhaltewillen beim Umsetzen genossenschaftlicher Gedanken, die etwas tiefer gehen als das blosse Gehören.
  • Martin Bauer, 08.01.2018 08:50 Uhr
    Seit Lancierung dieser volksnahen Migos-Kampagne kaufe ich noch lieber im Coop ein.
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