19.10.2012

"Aus Moskau einfach wurde Herrliberg einfach"

"Wie links sind die Schweizer Medien wirklich?" Zu dieser Frage diskutierten "Weltwoche"-Verleger Roger Köppel und SP-Nationalrat Cédric Wermuth auf Einladung der Zeitung "dieperspektive". Wer dachte, Wermuth würde BaZ und "Weltwoche" kritisieren, täuschte sich. Seine Kritik ergoss sich über die "Pseudoobjektivität" der Gratiszeitungen und das Aargauer Medienmonopol. Wer dachte, Köppel hisse die rechte Fahne in Abwehr des linken Mainstreams, täuschte sich teilweise auch. Denn er sieht die "Weltwoche" nicht als "rechts" und sprach über den Liebesentzug, wenn man Christoph Blocher lobt. Der Bericht:
"Aus Moskau einfach wurde Herrliberg einfach"

SP-Nationalrat Cédric Wermuth und "Weltwoche"-Chefredaktor Roger Köppel diskutierten gestern Abend, 18. Oktober, zum Thema: "Wie links sind die Schweizer Medien wirklich?" Eingeladen hat die Zeitung "dieperspektive", der Anlass fand im "KION Veranstaltungsraum" an der Heinrichstrasse 215 in Zürich statt. Das Publikum der Veranstaltung kann in etwa als kongruent mit dem definierten Zielpublikum von "dieperspektive" bezeichnet werden: "urbane, jüngere und aktive Menschen im Raum Zürich" - wobei das letzte Attribut schwer zu verifizieren ist. Beim Moderator der Diskussion handelte es sich um Simon Jacoby, den Adliswiler SP-Präsidenten und Mitherausgeber von "dieperspektive".

Roger Köppel gegen den Mainstream

Die ersten Töne von Köppel waren wohlbekannt: Er würde die "Weltwoche" nicht als "rechte" Zeitung bezeichnen, der Kernauftrag seiner Zeitung heisse lediglich, "Missstände aufdecken und Gegensteuer gegen den Mainstream geben“. Dabei bediente er sich eines Bildes von Thomas Mann: "Wenn ein Boot zu stark nach links geht, muss man nach rechts ausbalancieren." Dass dies auch umgekehrt der Fall ist, räumte er ein und verwies auf die 70er Jahre, in denen es ein Nachteil war, linker Journalist zu sein. Hiess es früher "Moskau einfach", wenn man gegen den Vietnamkrieg schrieb, so heisse es jetzt "Herrliberg einfach", wenn man Christoph Blocher in der Berichterstattung positiv erwähne. Zwar mag er die "Weltwoche" nicht als "rechts" bezeichnen, reklamiert für sein Blatt aber die gleiche Benachteiligung wie sie linken Journalisten vor vierzig Jahren widerfahren ist. Köppel vermittelt das dem Publikum plastisch so: "Sie spüren, was Liebesentzug ist, wenn sie schreiben, Blocher ist gut." Oder: "Inserenten honorieren den stromlinienförmigen Journalismus, wer den Mann in Herrliberg lobt, wird nicht reich im Anzeigenmarkt." Bei allen Nachteilen, die dem widerfahren, der gegen die angebliche Einheitsmeinung zu US-Präsident Obama, Ex-Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand oder zur Asylpolitik schreibt, betont Köppel: "Es braucht unangenehme Leute, die den Gottesdienst stören."

Cédric Wermuths Medienmonitoring

Wermuth sieht in den Schweizer Medien einen "Überhang" bürgerlicher Ideologie. Bei BaZ und "Weltwoche" erkennt er die klare Medienstrategie der SVP. Unangenehmer als die klare Positionierung dieser beiden Zeitungen findet er allerdings die "Pseudoobjektivität" von Gratiszeitungen, namentlich von "20Minuten". Dem "Tages-Anzeiger" attestiert er "Standpunktlosigkeit": "Man weiss bei dieser Zeitung nicht, woran man ist." Für ihn ist die WOZ die einzige linke Zeitung in der deutschsprachigen Schweiz: "Alle anderen sind weit davon entfernt, links zu sein." Als problematisch erachtet er die Situation im Kanton Aargau: "Es besteht ein Totalmonopol in diesem Kanton, alle Medien gehören einer Person." Köppel sagt zum "Tages-Anzeiger" etwas schwammig, die Zeitung sei offener geworden, um gleich zu kritisieren: "Der Tagi hat 31 Artikel über Mörgeli in Nibelungentreue geschrieben." Und: "Den letzten kritischen EU-Artikel in dieser Zeitung habe ich 2001 selber geschrieben."

Unterschiedliche Noten für die Schweizer Medien

Deutliche Unterschiede zeigen sich bei den beiden Diskutierenden in der qualitativen Einschätzung der Schweizer Medien. Wermuth bezeichnet seine Erfahrungen mit Journalisten als "beängstigend". Dabei wolle er diesen gar keinen Vorwurf machen: Er prangert die realen Arbeitsbedingungen im Journalismus an. Er verweist auf Praktikanten, die die Zeitungen zu ihm schicken und denen er sozusagen diktieren könne, was sie schreiben sollen. Weiter liessen sich die Medien viele inhaltliche Fehler zuschulden kommen, es herrsche eine Copy-Paste-Kultur und die unrühmliche Dominanz einer einzigen staatlichen Nachrichtenagentur: "Sogar Nordkorea hat deren zwei." Sein Fazit: "Journalisten haben keine Zeit, sich einzuarbeiten. Es braucht Ressourcen, dass dies wieder möglich ist." Und: "Wir sollten in ein öffentlich finanziertes Modell für die Medien übergehen." Er selbst liest ausführlich nur noch die NZZ: "Während bei dieser der Volksputsch in Osttimor auf der ersten Seite ist, berichtet der Tagi an derselben Stelle von Shakira." Von einem Qualitätsabbau, wie ihn Wermuth beschreibt, will der Verleger Köppel nichts wissen: "Die Leute sind im Schnitt besser informiert als früher." Das Publikum sei kritisch und ein Qualitätsniedergang trotz schwierigerer Arbeitsumstände für ihn nicht erkennbar.

Perfider Angriff gegen Professoren

Die erste Frage aus dem studentischen Publikum zielt erwartungsgemäss auf den "Weltwoche"-Artikel "Vor diesen Professoren wird gewarnt". Ein junger Mann sieht darin einen "perfiden Angriff" gegen die betroffenen Uni-Professoren und fragt, ob es dem Blatt denn nur darum gehe, eine Gegenposition einzunehmen. "Gegenposition finde ich grundsätzlich gut", meint Köppel. Gleichzeitig kündigt er eine zweite Serie von "Vor diesen Professoren wird gewarnt" an. Offenbar konnte die "Weltwoche" noch weitere Professoren-Exemplare für ihre neue Rubrik ausfindig machen.

Das Gespräch driftet immer wieder in die Politik ab, oder aber in biographische Details, etwa Köppels einstige Wohnsituation in den 90er Jahren im Zürcher Kreis 5: "Nach sieben Uhr abends konnte man mit der Freundin nicht mehr spazieren gehen, überall waren ausländische Dealer." Die Situation der Medien kam in der Diskussion regelmässig zu kurz. Köppel und Wermuth hätte eine insistierendere Gesprächsleitung gut getan, die Moderation war etwas hölzern und starr, trotz des politischen Backgrounds Jacobys aber sehr neutral gehalten. Allerdings kann es auch nicht leicht sein, mit einem Politiker und einem politisierenden Verleger ein Gespräch über Medien zu führen und zu verhindern, dass diese ständig in die Politik abdriften. Die beiden Kontrahenten liessen sich auf keinen "Infight" ein und konversierten nahezu brüderlich.

Das Publikum stellte engagiert Fragen, gab sich aber ziemlich emotionslos. Ein Journalist meinte am Ende der Veranstaltung gegenüber dem Verfasser: "Die Leute hier sind von den hiesigen Medien halt einfach enttäuscht." Ja, und wie links sind nun die Medien wirklich? Antworten hierauf waren schwer zu finden. Die Debatte geht weiter, oder ist es ist doch so, wie Wermuth während der Veranstaltung fast beiläufig sagte? "Ich weiss gar nicht, wo die Debatte über die linken Medien stattfindet." (bn)



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