31.05.2000

Charles von Graffenried – Das erste grosse Interview

In der neuen Ausgabe von "persönlich", die am 31. Mai erschienen ist, lesen Sie das erste grosse Interview des Verlegers Charles von Graffenried. Der Berner Medienstratege sagt, wie er sich mit der BTM-Gruppe über das Espace Mittelland ausdehnen will, warum er im Berner Oberland kein gewöhnliches Kopfblattsystem geschaffen hat, wie er in Solothurn vorgehen will, was er aus dem Militär für seine Medienarbeit gelernt hat und warum er immer nur nach vorne denkt. Auf "persoenlich.com" lesen Sie heute einen Ausschnitt.
Charles von Graffenried – Das erste grosse Interview

Wie schätzen Sie die Entwicklung in den Schweizer Medien ein?

Ich glaube, dass sich im grossen Ganzen sieben Zeitungsgebiete bilden werden, in welchen es je eine grossregionale Tageszeitung mit Kopfblättern und Splitausgaben gibt. Als wir 1979 mit der Berner Zeitung starteten, hatten wir durch den Zusammenschluss eine Auflage von 117'000 Exemplaren. Die Zeitungen im Aargau, in der Innerschweiz und in der Ostschweiz hatten alle nur Auflagen zwischen ungefähr 30'000 bis 60'000 Exemplaren. Doch jetzt haben die Zeitungen fusioniert, und wir gehören mit unseren 135'000 Ex-emplaren nur noch unter "ferner liefen". Wir müssen nun eine Vorwärtsstrategie betreiben, um weiterhin die nationalen Kampagnen und die Stellen zu bekommen, von welchen wir uns finanzieren. Die Vorwärtsstrategie gilt für den deutschsprachigen Espace Mittelland. Dazu gehören das Berner Oberland, Biel, Solothurn und Deutsch-Freiburg.

Hat die Berner Zeitung nicht den falschen Namen? Hätte sie einen Namen, der nicht geografisch ausgelegt ist, könnte man diese Zeitung über das gesamte Mittelland ausdehnen?

Das spielt keine Rolle. Wir arbeiten mit Split-Ausgaben, das heisst; die Zeitungspartner behalten ihre Titel. Ich bezeichne das System, wie wir es im Berner Oberland verwirklicht haben, als seiner Zeit voraus. Es wurde in der Öffentlichkeit kaum verstanden. Es ist nämlich nicht einfach ein Kopfblattsystem, sondern hat wesentliche Innovationen: So bleiben Thuner Tagblatt und Berner Oberländer als Zeitungstitel bestehen, und sie behalten für ihren Regionalteil der Zeitung ihre volle publizistische Autonomie mit eigener unabhängiger Chefredaktion. Sie bestimmen auch, was auf die Front der Zeitung kommt.

Wie funktioniert das Modell auf der Verlagsseite?

Im Kopfblattsystem erhält die Gesamtausgabe die nationalen Inserate und die Stellen, das hat auch die NZZ dem Berner Oberland vorgeschlagen, das kann für sie aber zu wenig interessant sein. Wir gehen davon aus, dass das Thuner Tagblatt und der Berner Oberländer auch aus den nationalen Inseraten und Stellen etwas bekommen müssen, damit sie eine gute Zeitung herstellen können. Deshalb verteilen wir dieses Geld nach einem ausgeklügelten Schlüssel. Die Auflage der Gesamtausgabe erhöht sich von 135'000 auf 172'000 Exemplare. Dies bringt beim nationalen Inserat wegen der Mitwirkung des Berner Oberlandes mehr Werbegeld, das doch wieder dorthin fliessen soll.

Die BTM-Gruppe hat an der neuen Berner Oberland Medien AG einen Anteil von 24 Prozent. Ist ein Zukauf für die Mehrheit vorgesehen?

Das ist nicht ganz so. Wir haben eine 49-Prozent-Beteiligung an der Schaer Thun AG, welche wiederum 50 Prozent an der Berner Oberland Medien AG (BOM) hält. Die anderen 50 Prozent hält die Firma G. Maurer AG, die bis anhin den Berner Oberländer und das Oberländische Volksblatt herausgegeben hat. Unser Einfluss an der BOM ergibt rechnerisch nur 24.4 Prozent. Aber die BTM ist in der BOM nicht vertreten. Es gibt sechs Oberländer Persönlichkeiten im Verwaltungsrat. Präsident der neuen Berner Oberland Medien AG soll Peter Maurer, Delegierter Konrad Maurer und Chefredaktor René Gygax werden.

In den Medienberichten über Sie werden Sie als Patron dargestellt, der die Fäden der Macht in Händen hält. Stimmt diese Einschätzung?

Nein. Weil ich nicht gerne oder nur ausnahmsweise an die Öffentlichkeit gehe, kriegt man dieses Cliché. Damit kann ich leben, es stört mich nicht.

Warum bleibt diese Meinung so hartnäckig bestehen?

Da ist viel Neid mit dabei. Ist man mit einer Firma erfolgreich, ist das bei uns in der Schweiz die Reaktion. Das ist nicht wie in Amerika, wo man für den Erfolg mit Applaus bedacht wird. Das hat mit unserer schweizerischen und besonders bernischen Mentalität zu tun.



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