14.03.2017

«Blick» auf Türkisch

«Die Erdogan-Anhänger sind gut organisiert»

«Jetzt mischen wir uns ein!», titelte der «Blick» am Montag. Ist das nicht unangebracht, jetzt wo die Wogen hochgehen zwischen der Türkei und einigen europäischen Ländern? Laut «Blick»-Chefredaktor Christian Dorer gab es viel Echo auf den ungewöhnlichen Appell, auch in der Türkei.
«Blick» auf Türkisch: «Die Erdogan-Anhänger sind gut organisiert»
Seit etwas mehr als einem Monat Chefredaktor beim «Blick»: Christian Dorer (Bild: Twitter/@ChristianDorer)
von Edith Hollenstein

Herr Dorer, wie kamen Sie auf die Idee, den «Blick» auf Türkisch zu drucken?
Der Blick ist eine Zeitung und ein Onlineportal, die Position beziehen, die Werte vertreten, die für Demokratie einstehen. Deshalb haben wir uns gesagt: Wir publizieren nicht nur einen üblichen Kommentar. Sondern wir richten uns mit einem Appell an die Türkinnen und Türken in der Schweiz: Diejenigen von ihnen, die für die Schweizer Grundwerte wie gleiche Rechte für alle, Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung einstehen, sollen Nein stimmen.

Worauf gab es besonders viele oder prominente Rückmeldungen?
Wir erhalten Tausende von Reaktionen. Auf Twitter kommt derzeit Hass im Sekundentakt - aber das war zu erwarten und ist nicht repräsentativ. Die Anhänger von Präsident Erdogan sind gut organisiert. Unsere Titelseite ist auf allen grossen Newsportalen der Türkei prominent präsent - die «AK Gazete» zeigt ein Blick-Logo mit Hakenkreuz - analog zu Erdogan, der die Holländer als Nazis beschimpf hat (vgl. Beispiele unten). Andere berichten differenziert. Auch in der Schweiz erhalten wir differenzierte Rückmeldungen: Von «sehr mutig» bis hin zu «mischt euch nicht in innertürkische Angelegenheiten ein». 



twitter

Übersetzung Text des Textes im Tweet: «Noch ein Skandal aus der Schweiz! Schweizer Zeitung Blick schreibt in der Schlagzeile stimmt Nein ab».



twitter 2

Übersetzung d. Hashtag: Heisst in etwa: «die NaziHunde können uns nicht einschüchtern» 


Inwiefern können Sie die Wortmeldungen auf Social Media, welche in Türkisch verfasst sind, überhaupt verstehen, um darauf eingehen zu können?
Das ist in der Tat ein Problem: Die meisten Reaktionen verstehen wir nicht... Wir haben nun eine Übersetzerin auf die Redaktion geholt - dank ihr sind wir im Bild.

Es leben ja lediglich 70'000 Türken in der Schweiz, von denen nur ein Bruchteil überhaupt abstimmen wird. Bei insgesamt 57 Millionen Abstimmungsberechtigten ist das doch ein Tröpfchen auf den heissen Stein! 
Die Schweiz soll ihre Werte niemandem ausserhalb der Landesgrenzen aufzwingen. Unser Aufruf richtet sich ausschliesslich an die Türkinnen und Türken in der Schweiz. Von ihnen nahmen laut unserer Quelle vor zwei Jahren mehr als 93'000 an den Parlamentswahlen teil. Es geht nicht an, dass jemand in der Schweiz von Freiheit und Rechtsstaat profitiert und diese Werte in der Heimat abschaffen will. Dann soll er konsequenterweise dorthin ziehen.

Damit geht also eine klare innenpolitische Positionierung einher. 
Wir haben in dieser Frage eine klare Meinung: Wer bei uns leben will, muss die Grundwerte respektieren, die bei uns gelten - gleiche Rechte für alle, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung. 

Was denken Sie, wie gefährlich könnte Ihr Vorgehen sein, z.B. mit Blick auf mögliche diplomatische Verstimmungen zwischen der Schweiz und der Türkei wie in Deutschland oder Holland?
Das kann ich nicht beurteilen. In der Schweiz jedoch gilt, im Gegensatz zur Türkei, zum Glück Meinungsfreiheit. Deshalb schreiben wir das, was wir für richtig halten.

Muss Boulevard Ihrer Ansicht nach so stark politisch sein, damit er sich weiterhin verkauft? 
Der Blick hat eine Haltung, hat eine Meinung - und tut diese auch kund. Der Blick will Diskussionen ermöglichen und anregen. Und ja: Dabei wollen wir immer mal wieder aus den üblichen Formen ausbrechen wie vergangene Woche mit der Frauen-Blick zum Frauentag und heute mit dem offene Brief an die Türken. Nicht als Gag, sondern als starke Botschaft. 


*Christian Dorer hat die Fragen schriftlich beantwortet.



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Kommentare

  • Nico Herger, 14.03.2017 10:22 Uhr
    Nichts als billiger Populismus. Für die Trump-Wahl kam der vorübergehende Chefredaktor zu spät, und bei der nächsten US-Wahl ist er kaum mehr an der Dufourstrasse.
  • Dieter Widmer, 14.03.2017 09:24 Uhr
    Ich finde die Aktion des "Blick"-Chefredaktors daneben. Wie würde sein Blatt wohl reagieren, wenn die grösste türkische Zeitung vor den Nationalratswahlen bei uns die Wahl einer Partei unterstützen würde. Chefredaktor Dorer hat derzeit ohnehin kein kluges Händchen. Schon sein Kommentar zur Unternehmenssteuerreform III mit dem Titel: "Kauf die Katze im Sack" zeigt, nach welchen Kriterien er Abstimmungsvorlagen beurteilt.
  • Ramazan Şıvğın, 13.03.2017 23:28 Uhr
    Der Herr Dorer sollte sich dringend einen Dolmetscher besorgen, Wenn möglich Dipl. türkisch Dolmetscher, wenn er schon türkisch Blick druckt. Ich weiß "Deutsche Sprache schwierige Sprache" aber türkische Sprache um so schwieriger. Herr Dorer sollte mal Erdogan's Antwort auf den "türkisch Blick" übersetzen lassen und bisschen nachdenken was genau diese 5 Wörter auf dem Blick in der Türkei bewirkt haben. Gruss
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