05.04.2018

Bilanz

«Die Transparenz hat massiv zugenommen»

Seit 40 Jahren gibt es das Wirtschaftsmagazin, seit zehn Jahren ist Dirk Schütz Chefredaktor. Aus der «Annabelle der Prokuristen» ist der Gradmesser für diejenigen Wirtschaftsbosse geworden, deren Aktien steigen oder gerade sinken. Letztere sind mittlerweile weitaus häufiger.
Bilanz: «Die Transparenz hat massiv zugenommen»
«Es ist letztendlich nicht unser Ziel, die Wirtschaft und ihre Exponenten schlechtzumachen. Im Gegenteil», sagt Dirk Schütz, Chefredaktor der «Bilanz». (Bilder: Marc Wetli)
von Matthias Ackeret

Herr Schütz, die «Bilanz» feiert ihr 40-Jahr-Jubiläum. Spüren Sie jetzt eher Festlaune oder eher Midlife-Crisis?
Eindeutig Festlaune. 40 Jahre sind für ein Magazin eine beachtliche Leistung, von einer Midlife-Crisis spüren wir nichts. Wir sind ja im letzten Jahr vom zweiwöchentlichen Erscheinungsrhythmus auf das Monatsformat zurückgegangen (persoenlich.com berichtete). Das hat uns einen Energieschub verliehen. Wir können uns dadurch noch besser auf unsere Stärken konzentrieren.

Wie hat sich die Zeitschrift in den letzten 40 Jahren verändert?
Rein optisch gibt es markante Unterschiede: Bei den ersten «Bilanz»-Ausgaben gab es kleine Schwarz-Weiss-Fotos, die von riesigen Textflächen umgeben waren. Dies ist mit den heutigen, durchgestylten Magazinen nicht mehr vergleichbar. Auch inhaltlich hat sich sehr viel getan: In den 70er-Jahren war der Respekt vor den handelnden Personen deutlich grösser als heute. Zudem hatten wir sehr viele Politiker im Blatt. Es war Tradition, dass jeweils der Bundespräsident in der Januarausgabe «Mann des Monats» war. Dies wäre heute undenkbar. Das Primat der Politik war in den Gründungsjahren deutlich spürbar. Die Wirtschaft war formalisierter und hierarchischer organisiert als heute.

«Plötzlich bekam die Wirtschaft ein Gesicht.»

Auch anonymer.
Zweifelsohne. Emotionalisierung und Personifizierung war unser Erfolgskonzept. Plötzlich bekam die Wirtschaft ein Gesicht. Die «Bilanz» ging mit weitaus weniger Respekt an die Entscheidungsträger heran als beispielsweise die NZZ.

Der «Blick der Wirtschaft» oder die «Annabelle der Prokuristen»…
Die «Bilanz» machte nur, was mit Fortune in den USA und dem «Manager-Magazin» in Deutschland bereits Usus war. Doch für die Schweiz war ein Magazin, das sich auf die People-Perspektive der Wirtschaft fokussierte, ein absolutes Novum.

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Sie sind seit den 90er-Jahren im Schweizer Wirtschaftsjournalismus tätig, seit zehn Jahren nach einem Abstecher nach Deutschland und zu «Cash» auch Chefredaktor. Moralisch gesehen: Ist die Wirtschaft in den vergangenen 40 Jahren unanständiger geworden?
Auch in den 70er- und 80er-Jahren gab es sicher viel Unanständiges in der Wirtschaft, nur passierte es im Verdeckten. Die Transparenz hat in den letzten 40 Jahren massiv zugenommen, nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung. Zudem richtete sich wegen der Lohnexzesse einzelner Manager der Fokus breiter Bevölkerungsschichten verstärkt auf die Wirtschaft. Gerüchte über Insidergeschäfte gab es bereits früher, nur konnte man nichts beweisen. Viele Manager sind hierzulande in den 70er- und 80er-Jahren trotz tieferer Salärpakete extrem reich geworden.

Wer war eigentlich in den vergangenen 40 Jahren am meisten auf dem Titel der «Bilanz»?
Daniel Vasella ist eindeutig der Champion. Er war elfmal auf dem Titel, gefolgt von Christoph Blocher, der in verschiedenen Variationen – auch mit seiner Familie – achtmal unser Blatt zierte. Ich habe diese oft radikale Ablehnung von Blocher nie verstanden. Für mich ist er eine faszinierende Figur. Ich habe ihn in den 90er-Jahren für die «Bilanz» einmal nach China begleitet. Sein Gespür für die Menschen ist beeindruckend.

Aber auch Daniel Vasella ist eine interessante Figur. Er war lange ein Star, auf seinem letzten «Bilanz»-Cover fanden sich allerdings kritische Worte.
Man vergisst gerne, dass Vasella aus zwei mittelmässigen Firmen einen Weltkonzern im Gesundheitsbereich geschaffen hat. Damit hat er zweifelsohne Aussergewöhnliches für die Schweiz geleistet. Das Gleiche gilt auch für Marcel Ospel, der mit dem weitaus kleineren Bankverein die Bankgesellschaft übernahm. Vasella hob in der Salärfrage aber vollkommen ab und wurde letztendlich Opfer seiner eigenen Hybris. Sein 40-Millionen-Franken-Salär und die schlussendlich nicht bezogene Abfindung von 72 Millionen Franken waren einfach zu viel.

«Unsere Recherchen dauern meistens mehrere Wochen.»

Ursprünglich handelte es sich beim «Mann des Monats» immer um eine Erfolgsgeschichte. Das hat sich aber stark verändert – für schweizerische Verhältnisse sind Ihre Porträts oftmals sehr kritisch.
Unsere Recherchen dauern meistens mehrere Wochen. Wir stehen dabei mit den Porträtierten oder zumindest mit ihren Kommunikationsabteilungen in engem Kontakt. Sie wissen fast immer, was wir planen. Klar ist das Gegenüber anschliessend manchmal über die Tonalität des Artikels überrascht, aber dies gehört zum Journalismus. Nach einer kritischen Geschichte versuche ich meist, mit dem Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Dies gehört zu meinem Job als Chefredaktor.

Aus schlechtem Gewissen?
Nein, überhaupt nicht, aber die Schweiz ist klein, und man begegnet sich immer wieder.

In jüngster Vergangenheit hatten Sie Autokönig Walter Frey oder die beiden Blocher-Kinder, Markus Blocher und Magdalena Martullo-Blocher, auf dem Titel. Obwohl die beiden nicht mit der «Bilanz» gesprochen haben, kürten Sie diese zum «Mann» respektive zur «Frau des Monats». Ist dies seriös?
Für die Story mit Markus Blocher hat unser Autor mit 20 Personen aus seinem Umfeld gesprochen, auch mit seinem Vater Christoph. Markus Blocher haben wir sieben Monate lang angefragt, doch er hatte oder wollte keine Zeit haben, um mit uns zu reden. Dasselbe galt für seine Schwester, die seit Jahren jeglichen Kontakt zu uns meidet und unseren Journalisten sogar einmal aus einer Pressekonferenz geworfen hat. Trotzdem haben wir auch sie porträtiert.

Aber das Resultat kam für alle drei Beteiligten doch nicht so schlecht heraus?
Wir sagen nicht: Nur weil jemand nicht mit uns spricht, hauen wir ihn in die Pfanne.

Aber Sie könnten doch auch auf das Porträt verzichten.
Was wäre das für ein Journalismus? Damit wären wir erpressbar, und jeder, der nicht in der «Bilanz» erscheinen möchte, könnte sich uns gegenüber verweigern. Zudem würde es unser Spielfeld erheblich verkleinern.

Aber warum wollten Markus Blocher, Magdalena Martullo-Blocher und Walter Frey nicht mit der «Bilanz» sprechen? Das ist doch auch ungewöhnlich.
Jeder hatte wohl seine eigenen Gründe. Es sind alles familiendominierte Firmen mit sehr kontrollierter Kommunikation. Diese wollten die Verantwortlichen offenbar nicht aus der Hand geben.

«Gesprächsverweigerung ist äusserst selten.»

Kann man es nicht auf den einfachen Nenner bringen: Ein Politiker spricht auch mit denjenigen Journalisten, die nicht mit ihm sprechen wollen – bei den Wirtschaftsführern ist es umgekehrt?
Jeder Fall ist anders. Bei den drei Genannten handelt es sich um Patrons, von denen offenbar jeder negative Erfahrungen mit den Medien gemacht hat. Bei den börsenkotierten Firmen sieht es anders aus. Dort hat die «Bilanz» ein sehr gutes Standing, und Gesprächsverweigerung ist äusserst selten.

Aber gab es nach einem negativen Artikel auch schon negative Reaktionen, wie
beispielsweise einen Anzeigenboykott?
(denkt lange nach) Nein, solche Erfahrungen habe ich bei der «Bilanz» nicht gemacht. Dazu sind die Betroffenen auch professionell genug. Selbst bei der Credit Suisse, wo wir doch – zugegebenermassen – sehr kritisch waren.

Überkritisch?
Was heisst überkritisch? Als Brady Dougan vor drei Jahren abtrat, hatte niemand das Gefühl, die Bank sei ein Sanierungsfall. Der neue CEO Tidjan Thiam trat bei einem Aktienkurs von 26 Franken an. Dann fiel der Kurs unter die magische Grenze von 10 Franken. Dabei haben Anleger und Pensionskassen viel Geld verloren. Früher war es bei der CS bereits ein Alarmsignal, wenn der Kurs unter 20 Franken fiel.

Aber mittlerweile steigt er wieder.
Jetzt liegt der Aktienkurs bei 17 Franken, und man schreibt schon wieder, der Turnaround sei geschafft. Angefangen hat Thiam aber eben bei 26 Franken. Wir versuchen in unseren Artikeln immer sachlich zu analysieren, ohne auf die persönliche Ebene zu gehen.

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Sie waren fünf Jahre Chefredaktor von «Cash». Was waren die grössten Unterschiede zu Ihrer jetzigen Tätigkeit bei der «Bilanz»?
«Cash» war eine Wochenzeitung, das war ein ganz anderer Rhythmus. Zudem ist die Marke «Bilanz» sehr stark. Viele Kollegen, die zu uns kommen, sind immer wieder erstaunt, welche Türen sich plötzlich öffnen, wenn man sich als «Bilanz»-Journalist ausgibt.

«Cash» wurde unter Ihrer Ägide eingestellt.
(lacht) Ja, ich war sozusagen der Bestatter. Man versuchte noch, mit der Gratiszeitung «Cash daily» die Marke zu retten, doch das funktionierte nicht. Heute gibt es noch das Internetportal.

Nach dem «Cash»-Abenteuer galten Sie als Kandidat für die Bankenwelt. Warum sind Sie trotzdem im Journalismus geblieben?
Journalismus ist meine Leidenschaft. Ich fühle mich privilegiert, sie ausleben zu dürfen. Und ich schätze die intellektuellen Freiheitsgrade extrem.

Ist das Klima in den letzten Jahren wirtschaftsfeindlicher geworden?
Die Manager hatten in den vergangenen 15 Jahren ein Glaubwürdigkeitsproblem wegen der Salärproblematik, die sie nie befriedigend erklären konnten. Und wegen Missmanagements: Swissair-Grounding, Fast-Bankrott der UBS. Das Bild ihrer Unfehlbarkeit ist nachhaltig beschädigt.

Wirklich?
Das sehen Sie schon an der Tatsache, dass in vielen Betrieben mittlerweile die Compliance-Manager dominieren. Aus Angst, etwas falsch zu machen, geht fast niemand mehr ein Risiko ein. Was ich vermisse, sind die Leader oder die Patrons, die zur Gründung von Weltkonzernen wie Novartis oder UBS antreiben.

Werden Sie nicht ein bisschen nostalgisch? Dafür haben wir mittlerweile eine tolle Start-up-Szene.
Das ist schon gut, aber wir sollten sie auch nicht überbewerten. Im ganzen Digital- und Start-up-Hype sollte nicht vergessen werden, dass die grossen Firmen und die zahlreichen Hidden Champions den entscheidenden Wert der Schweizer Wirtschaft ausmachen. Ihnen müssen wir mehr Sorge tragen. Man vergisst etwa gerne, dass sich die beiden grössten Pharmafirmen der Welt in der Schweiz befinden.



Dirk Schütz studierte Ökonomie und Journalistik und absolvierte die Hamburger Journalistenschule. Er begann 1994 als Redaktor bei der «Bilanz» und wurde dort 1997 stellvertretender Chefredaktor. Im Jahr 2000 wechselte er in gleicher Funktion zur deutschen «Wirtschafts-Woche». 2002 übernahm er die Chefredaktion von «Cash», seit 2008 ist der heute 53-jährige Chefredaktor der «Bilanz».

Die erste «Bilanz»-Ausgabe erschien im November 1977. Als Gründungsvater gilt der damalige Jean-Frey-Manager und Detailhändler Beat Curti, erster Chefredaktor war Andreas Z’Graggen, der später von Medard Meier (und Peter Hartmeier als Herausgeber) sowie von René Lüchinger abgelöst wurde. Heute gehört die «Bilanz» zur Ringier Axel Springer Schweiz AG.

Das ausführliche Interview lesen Sie in der März-Ausgabe von «persönlich».

 



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