28.03.2018

Der Bund

Drei ausgezeichnete Essays über Einwanderung

Lorenz Belser gewinnt den ersten Preis mit einem Beitrag über die 98-jährige Kunstfigur Beata.
Der Bund: Drei ausgezeichnete Essays über Einwanderung
Die drei Gewinner von links: Peter Fahr, Lorenz Belser, Daniel Schläppi (Bild: Franziska Rothenbühler)

Die Gewinner des 12. «Der Bund»-Essay-Wettbewerbs sind gekürt. An der Lesung am Dienstagabend in der ausverkauften Berner Dampfzentrale wählte das Publikum seinen Lieblings-Essay zum Thema «Wir sind ein Einwanderungsland - schmeckt Ihnen das?». Die dreiköpfige Jury mit Francesco Micieli, Irena Brežná, und «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz, würdigten anlässlich der Preisübergabe die drei Finalisten mit einer Laudatio, wie es in einer Mitteilung heisst.

«Der Bund»-Essay-Wettbewerb ist mit insgesamt 9000 Franken dotiert: 1. Rang 5000 Franken, 2. Rang 2500 Franken und 3. Rang 1500 Franken. Die drei auserwählten Autoren lasen vor ausverkauften Rängen. Das Publikum durfte sich von den drei von der Jury auserkorenen Essays überraschen lassen und live über die Platzierungen der Finalisten entscheiden.

Christoph Simon, Träger des Salzburger Stiers 2018, führte durch den Abend und für die musikalischen Zwischentöne sorgten die Mezzosopranistin Judith Lüpold, begleitet von der Pianistin Monika Nagy. Die drei Siegertexte sind auf www.essay.derbund.ch publiziert und erscheinen im «Bund».

1. Preis: Lorenz Belser gewann mit «Beata bricht auf»
Ihr Name ist Programm: «Beata von Fehrn. Zugewandert auch ich», wie sie sagt. Die 98-Jährige ist eine Kunstfigur, die realen Flüchtlingshelferinnen nachempfunden sein dürfte, sie stimmt ein trunkenes Loblied auf das «Wunder des Wanderns» an, auf die Schönheit und die Arbeitskraft der Migranten, auf eine Gesellschaft, die alle willkommen heisst, weil alle Menschen sind. Es ist eine von leidenschaftlicher Humanität geprägte Rebellion gegen die politische Vernunft, sprachlich virtuos, raffiniert komponiert und abgerundet mit einem starken Schluss: der Reise der alten Frau zu den afrikanischen Schwestern und Brüdern in der libyschen Wüste. Ein wuchtiger Text, der lustvoll zum Querdenken anstiftet und gleichzeitig durch das Karikaturhafte wunderbar ambivalent bleibt, urteilt die Jury.

2. Preis: Peter Fahr, «Herr Vogel»
Der Essay «Herr Vogel» ist eine verstörende Parabel über eine gescheiterte Einwanderungsgesellschaft. In der Pension Blümlisalp blüht nichts, und schon gar nicht, wenn sich darin zwei Männer begegnen: der soeben geschiedene Erzähler und der syrische Flüchtling, dessen Familie auf der Flucht umgekommen ist. Der Fremde ergiesst einen Schwall humanistischer Bildung über den Einheimischen, worauf dieser sich überfordert zurückzieht. Das mysteriöse Ende ist eine Art Erlösung – allerdings nicht im Diesseits. Der Text hallt lange nach: Unter welchen Umständen sind wir fähig, uns über die verschiedenen kulturellen Prägungen hinweg für das gemeinsame Menschliche zu öffnen?

3. Preis: Daniel Schläppi, «Wir sind ein Einwanderungsland – Are you kidding!»
«Wir sind ein Einwanderungsland – Are you kidding!» ist ein fundiert recherchierter Essay, der in einer präzisen und stimmigen Sprache die Beziehung der Schweiz zum «Fremden» historisch aufrollt und damit auch die heutige Befindlichkeit erklärt. Ausgemacht wird eine Ambivalenz der Haltung, die zwischen «reservierter Skepsis bis zur offenen Antipathie» laviert. Die eigene Vergangenheit als «Auswanderungsland» wird aus der gemeinsamen Erinnerung ausgeblendet und macht einem «Überlegenheitsgefühl» Platz. Am Ende seines Essays wagt der Autor den Entwurf einer Utopie. Sie trägt den Titel «Was wäre, wenn...» und ist eine Einladung für eine weniger ängstliche Gesellschaft. (pd/wid)



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